Hamburg. Die Unfälle ereigneten sich Sonntag und Dienstag. Politik spricht Angehörigen Mitgefühl aus und diskutiert über Sicherheit im Verkehr.
Jeweils drei Radfahrer kamen 2020 und 2021 in Hamburg durch Unfälle ums Leben. Nun sind innerhalb nur weniger Tage gleich zwei Fahrradfahrer in der Stadt tödlich verunglückt – und beide auf ähnliche Weise: Beide kollidierten zunächst mit Fußgängern. In beiden Fällen flüchteten die Fußgänger vom Unfallort.
Der erste Unfall ereignete sich bereits am Sonntagmorgen auf der Reeperbahn. Ein 19-Jähriger sprang über ein Absperrgitter auf die Straße und touchierte einen 64 Jahre alten Radfahrer. Der Mann geriet ins Straucheln, prallte gegen ein neben ihm fahrendes Taxi, stürzte und erlitt schwerste Kopfverletzungen. Der Fußgänger lief offenbar einfach weiter.
Tödlicher Unfall: In beiden Fälle flüchten Fußgänger
Am Dienstagnachmittag dann stürzte ein 67 Jahre alter Radfahrer auf einem kombinierten Fuß- und Radweg an der Meiendorfer Straße in Rahlstedt schwer. Auch er war zuvor mit einem Fußgänger kollidiert. Auch er erlitt schwerste Kopfverletzungen. Und auch in diesem Fall lief der Fußgänger, der beim dem Unfall ebenfalls gestürzt war, anschließend weg.
In beiden Fällen kamen die verletzten Radfahrer unter Notarztbegleitung in Krankenhäuser. Passanten hatten noch Erste Hilfe geleistet, bis Rettungskräfte eintrafen. Beide Radfahrer erlagen später im Krankenhaus ihren Verletzungen. Beide hatten nach Erkenntnissen der Polizei zum Unfallzeitpunkt keinen Fahrradhelm getragen. Im Fall des Unfalls auf der Reeperbahn meldete sich der 19-jährige Fußgänger später telefonisch bei der Polizei. Ihm wurde eine Blutprobe entnommen.
Polizei sucht Unfallflüchtigen
Im Rahlstedter Fall sucht die Polizei Zeugen. Bei dem flüchtigen Fußgänger soll es sich um einen etwa 40 Jahre alten Mann mit dunklen kurzen Haaren handeln. Zum Unfallzeitpunkt trug er eine helle Hose und ein weißes Oberteil mit schwarzen Streifen. „Der Mann wurde beim Sturz am Arm verletzt, den er sich hielt, als er weglief“, so ein Beamter.
Der Unfalldienst der Polizei ermittelt in beiden Fällen wegen Unfallflucht und fahrlässiger Tötung. Im Fall Rahlstedt haben die Beamten wohl gute Chancen, den flüchtigen Fußgänger zu ermitteln. Denn sein Begleiter war vor Ort geblieben und hatte den verletzten Radfahrer mit versorgt. Eine Vernehmung war allerdings zunächst nicht möglich, weil der Mann nur Georgisch spricht.
Politik spricht Angehörigen Mitgefühl aus
„Wir sind zutiefst bestürzt über die tragischen Unfälle und sind nun zusammen mit der Verkehrsdirektion der Polizei um die Aufklärung der genauen Umstände und des Unfallhergangs bemüht, die zur Zeit noch andauert“, sagte Dennis Krämer, Sprecher von Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne). „Um es deutlich zu sagen, jedes einzelne Opfer im Zuge eines Verkehrsunfalls ist eines zu viel.“ Der Senat verfolge grundsätzlich das Ziel, die Verkehrssicherheit für alle Verkehrsteilnehmer durch die klare und wo möglich auch bauliche Trennung von Fuß,- Rad- und Kfz-Verkehr zu erhöhen.
„Wir sind zutiefst geschockt; und unser Mitgefühl gilt den Angehörigen und Freunden der getöteten Radfahrer“, sagte Dirk Lau, Sprecher des Fahrrad-Clubs ADFC. „Das Ziel ,Vision Zero‘, das sich der Senat seit Jahren auf die Fahnen geschrieben hat, bedeutet null Getötete und Schwerverletzte im Straßenverkehr. Städte wie Helsinki oder Brüssel zeigen, wie dieses Ziel zu erreichen ist: durch drastische Beruhigung und Reduzierung des motorisierten Verkehrs, Einführung von Tempo 30 und weniger Straßenraum.“
Getrennte Verkehrwege für mehr Sicherheit
Vor allem aber müsse der Straßenraum so umgestaltet werden, dass menschliches Fehlverhalten einkalkuliert und das Risiko von Konflikten minimiert werde. Für mehrstreifige Hauptstraßen wie die Reeperbahn fordere der ADFC „seit Langem eine eigene, bestenfalls geschützte Spur für Radfahrende, die schnell mittels der Einrichtung einer Pop-up-Bike-Lane realisiert werden kann“.
SPD-Radfahrpolitiker Lars Pochnicht betonte am Mittwoch: „Mit dem Ziel einer sicheren Mobilität für alle schaffen wir getrennte Verkehrswege, wo es möglich ist – etwa durch Fahrradstraßen und Protected Bike Lanes.“ Nicht überall aber biete der Stadtraum die Möglichkeit, alle Verkehrsarten voneinander zu trennen, so Pochnicht. „Der beste Schutz vor Unfällen ist weiterhin gegenseitige Rücksichtnahme und die erhöhte Aufmerksamkeit im Straßenverkehr, gerade in einer stark verdichteten Stadt.“
Die tragischen Unfälle machten betroffen, sagte Linken-Verkehrspolitikerin Heike Sudmann. „Fehlverhalten, wie auf die Straße laufen, ohne zu gucken, lässt sich nie komplett verhindern. Möglich ist es aber, durch gute Infrastruktur Unfallgefahren zu verringern. Dazu gehören selbstverständlich ausreichend breite Fuß- und Radwege, die voneinander und erst recht von dem Autoverkehr getrennt sind.“ Geschützte Radstreifen, die baulich zum Fuß- und Autoverkehr abgegrenzt würden, seien ein wichtiger Baustein. „Auf der Reeperbahn gibt es noch nicht mal einen Radweg oder gar einen Radfahrstreifen, obwohl der seit Jahren von Radfahrerinnen und Radfahrern, dem ADFC, dem Bezirk und natürlich auch von uns Linken gefordert wird.“
Auch der CDU-Verkehrspolitiker Richard Seelmaecker sprach den Angehörigen der Unfallopfer sein Mitgefühl aus. „Hamburg soll laut Rot-Grün zur Fahrradstadt umgebaut werden. Das geschieht aber nicht durch hippe Kampagnen und bunte Flyer“, so Seelmaecker. „Fahrradfahren wird in Hamburg immer gefährlicher, die Unfallzahlen steigen. So kann es nicht weitergehen. Sicherheit muss im Straßenverkehr oberste Priorität haben. Verschiedene Verkehrsteilnehmer dürfen nicht länger gegeneinander ausgespielt werden. Verkehrssenator Tjarks muss endlich umdenken.“
Moderne Verkehrsführung: Geschützte Radwege
Grünen-Verkehrspolitikerin Rosa Domm sagte: „Die tödlichen Verkehrsunfälle erfüllen uns mit Trauer. Wir wollen eine Stadt, in der alle sicher unterwegs sein können und in der es keine Verkehrstoten mehr gibt.“ Es sei für die Grünen ein zentrales Anliegen, Konflikte zwischen Autofahrern, Radfahrern und Fußgängern zu minimieren. „Aus diesem Grund trennen wir Auto- und Fahrradspuren sowie Fußwege in Hamburg, wie beispielsweise am Dammtordamm oder in der Hannoverschen Straße.“ Diese geschützten Radwege seien Beispiele für die „moderne Hamburger Verkehrsführung“, die das Risiko für Kollisionen verringere und damit die Sicherheit aller erhöhe, so Domm. „Diesen Weg wollen wir an mehrspurigen Straßen weiterverfolgen.“
Im Jahr 2021 sind in Hamburg 20 Menschen im Straßenverkehr ums Leben gekommen, (2020 waren es 15, 2019 sogar 28. Betroffen waren 2021 zehn Fußgänger, drei Radfahrer, drei Personen in Lkw, zwei auf Motorrädern und zwei in Pkw.