Hamburg. Erneut gehen Lichter in einem Traditionsgeschäft des Stadtteils aus: Bei Hermes an der Moorstraße ist im Dezember Schluss. Die Gründe.
In der Wohnung über dem Hermes-Reisebüro an der Moorstraße in Hamburg-Harburg hat Jan Boberg laufen gelernt. Seinem Vater gehörte das Unternehmen und die Wohnung gehörte damals dazu. Seit fünf Jahren ist Jan Boberg selbst Chef des Reisebüros – und am übernächsten Dienstag wird er es schließen. Damit verlässt eines der letzten Traditionsunternehmen die Harburger Innenstadt.
„Ich gehe mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, sagt Boberg. „Ich bin hier ja quasi aufgewachsen. Wir sind zwar in meiner Kindheit ins Grüne gezogen, aber auch nicht allzu weit. Ich habe hier meine Ausbildung gemacht, Berufserfahrung gesammelt und das Geschäft übernommen. Es zu schließen, tut weh.“
Angestellte behalten ihren Job, es geht anders weitere
Das lachende Auge habe er, weil die Firma in einer anderen Form weiterlebt und trotz Corona-Krise in der Reisebranche alle Angestellten ihren Job behalten und auch er an anderer Stelle weitermachen könne.
Dass das Hermes-Reisebüro schließt, liegt nur zu einem geringen Teil an Corona. Die anderen Gründe gibt es schon länger und sie wiegen schwerer: Die Reisebranche hat sich verändert. Das Buchungsverhalten der Kunden ebenso. Das Umfeld hat sich gewandelt und auch die Laufkundschaft ist eine andere geworden. Mit der klassischen Kundenberatung am Counter können nur spezialisierte Reisebüros noch überleben.
„Mit Fernbusfahrkarten und Sparpreis-Bahntickets nimmt man weniger ein, als man Aufwand hat“, berichtet Boberg. „Aber das ist es, was sehr viele Kunden hier kaufen wollen. Wir haben das lange gerne gemacht, weil wir an anderen Produkten, gerade im Geschäftsreisebereich, genug verdient haben. Aber das Verhältnis stimmt nicht mehr. Außerdem verkaufen auch wir mittlerweile viel am Telefon oder per E-Mail, so dass das 120 Quadratmeter große Geschäft auch schon lange überdimensioniert ist.“
Aus geplanter Zusammenarbeit wurde am Ende eine Übernahme
Schon vor Corona verhandelte Jan Boberg mit einem anderen Großen des Geschäftsreise-Geschäfts, dem rheinländischen Filialisten Papendieck, über eine Zusammenarbeit. Boberg bringt die Expertise im maritimen Geschäft – Crew-Transfers, schnelle Transporte von Technikern samt Teilen zu reparaturbedürftigen Schiffen, Reisen von Reedereiangestellten – ein. Das fehlte Papendieck noch. Letztendlich wurde aus der Zusammenarbeit eine Übernahme, aber die Hermes-Mannschaft geht erhobenen Hauptes und auf Augenhöhe in der Papendieck-Crew an der Lübecker Straße in Hamburg auf. „Wir behalten auch unsere Kunden“, sagt Boberg. „Sie erreichen uns unter der alten Telefonnummer - nur nicht mehr in Harburg.“
Das Hermes-Reisebüro gibt es seit 1950. Es war das erste Reisebüro, das nach dem Krieg in Harburg eröffnete. Reisebüros waren damals etwas ganz Seltenes. Wirklich groß war es auch nicht. Das Haus in der Moorstraße hatte zwei Geschäfte im Erdgeschoss. Den Juwelier links und das Reisebüro rechts von der Haustür. Der erste Inhaber Ernst Krüger war promovierter Akademiker und wurde von vielen Kunden auch mit „Herr Doktor“ angeredet. Krüger zog sich ab 1969 langsam aus dem Geschäft zurück, blieb aber bis zu seinem Tod 1989 stiller Teilhaber. Seit 1969 liegt das Geschäft in den Händen der Familie Boberg. Hauptgeschäft waren Bahnreisen. Die Reiseplanung erfolgte mit dem Kursbuch, die Hotels fand man in gedruckten Verzeichnissen und die Reisebüroangestellten mussten eine Menge telefonieren.
Das änderte sich auch nicht großartig, als Flugreisen immer populärer wurden. „Um einen komplizierten Flug zusammenzukriegen, haben sich mein Vater und seine Leute bei den Fluggesellschaften die Finger wundtelefoniert“, erinnert sich Boberg. „Die Flugscheine wurden noch noch mit der Hand ausgefüllt, jeder einzeln. Bei einem Flug in die USA mit Hin- und Rückflug und je einmal Umsteigen in Europa und in Amerika kam da schnell ein dickes Heft zusammen – da war jede Flugnummer mit Kugelschreiber in Kästchen eingetragen. Und wenn sich unterwegs der Flugplan änderte, wurden neue Flugscheine mit Büroklammern eingeheftet und das Heft wurde noch dicker.“
Manchmal trügerisch: Umstieg ins digitale Zeitalter erfolgte schrittweise
Der Umstieg ins digitale Zeitalter erfolgte schrittweise und führte manchmal auf trügerische Pfade. Das musste auch Michael Boberg Ende der 80er-Jahre in der Ausbildung feststellen: „Ich hatte für Kunden, die verzweifelt noch kurzfristig eine Winterreise über Weihnachten suchten, im Computersystem ein günstiges Angebot gefunden, im Hotel Alpinski – dachte ich jedenfalls“, erinnert er sich. „Bis sich herausstellte, dass Alpinski kein Hotelname war, wie etwa Kempinski, sondern nur eine Wintersport-Zusatzleistung für Kunden, die schon eine Reise hatten.“
Mit solchen Erinnerungen im tonnenschweren Herzen wird Michael Boberg am 30. November zum letzten Mal die Eingangstür abschließen. Bis dahin ist das Reisebüro immer noch mit einer Fachkraft besetzt – allerdings nur noch zu eingeschränkten Zeiten.