Hamburg. Der Femizid an einer jungen Schweizerin in Hamburg gibt Rätsel auf. War der Täter ein Stalker? Was zu dem Fall bislang bekannt ist.

Ottensen nimmt Anteil: Im Nieselregen flackern am Mittwoch mehrere Teelichter vor dem Eingangsbereich des vierstöckigen Mehrfamilienhauses an der Scheel-Plessen-Straße. Nachdem hier am Dienstag um 8.45 Uhr zwei Menschen tot im Treppenhaus gefunden wurden, herrscht mittlerweile etwas mehr Klarheit über den Ablauf.

Nach Abendblatt-Informationen hatte eine Nachbarin am Morgen mehrere Schüsse gehört, durch den Türspion geschaut und eine Person am Boden liegen gesehen. Sie rief daraufhin die Polizei Hamburg. Eine 22 Jahre alte Bewohnerin des Hauses und der ebenfalls 22 Jahre alte mutmaßliche Schütze lagen im Treppenhaus, als die Beamten eintrafen. Die Bewohnerin soll zu diesem Zeitpunkt noch gelebt haben und durch Notarzt und Notfallsanitäter behandelt worden sein. Vergeblich. Später sei festgestellt worden, dass die 22-Jährige durch zwei Kugeln getroffen wurde, eine davon im Oberkörper.

Mutmaßlicher Täter war ein Schweizer Nachwuchs-Politiker

Wie die Staatsanwaltschaft auf Abendblatt-Anfrage mitteilte, handelt es sich bei beiden Personen um gebürtige Schweizer. Weder die erschossene Anwohnerin noch der mutmaßliche Schütze waren in Hamburg bisher strafrechtlich in Erscheinung getreten.

Die Identität des aufgefundenen Mannes konnte nach Angaben der Polizei inzwischen zweifelsfrei festgestellt werden. Nach Abendblatt-Informationen soll es sich dabei um einen Jung-Politiker handeln. Er soll aus einer kleinen Gemeinde am Bodensee stammen und in einem Familienunternehmen für Veranstaltungstechnik und Bestattungen gearbeitet haben. Mit 19 Jahren soll er in die Politik gegangen sein und sich bei der damaligen Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) – heute „Die Mitte“ – engagiert haben, die eine bürgerliche Wählerschaft anspricht.

Polizei schließt aus, dass weitere Menschen an der Tat beteiligt waren

Der mutmaßliche Täter war wohl mit dem Zug nach Hamburg gereist, um erst die 22-Jährige und dann sich selbst zu töten. Wann genau er in Hamburg eintraf, ist noch unbekannt. Er wurde nach Abendblatt-Information mit einer Schussverletzung in der Brust aufgefunden, die er sich anscheinend selbst beigebracht hatte. Bei ihm wurde ein Revolver gefunden, beim Eintreffen des Notarztes soll der mutmaßliche Schütze bereits tot gewesen sein. Ob er die Schusswaffe aus der Schweiz mitbrachte, ist noch ungeklärt. Die Vermutung liegt nahe, da das Waffengesetz des Landes als eines der liberalsten der Welt gilt. Dort darf jeder unbescholtene Bürger eine Waffe kaufen.

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Die Polizei schließt mittlerweile aus, dass weitere Personen an der Tat beteiligt waren. Das Motiv ist weiter unklar. Die beiden Verstorbenen sollen sich gekannt haben. Darüber, ob sie ein Paar waren, gibt es unterschiedliche Angaben – unklar ist ebenfalls, ob der mutmaßliche Täter sein Opfer als Stalker verfolgte. Die Ermittlungen der Mordkommission und der Staatsanwaltschaft dauern an. Nach Abendblatt-Informationen haben die Hamburger Beamten ein Rechtshilfeersuchen über das Bundeskriminalamt gestellt und bereits Kontakt zur Schweizer Polizei aufgenommen.

Opfer kam aus der gleichen Gegend wie der mutmaßliche Schütze

Die 22-Jährige, die in Hamburg eine Ausbildung in Tanz, Gesang und Schauspiel gemacht haben soll, war ein „unbeschriebenes Blatt“ bei der Polizei und auch kein bekanntes Opfer von Belästigungen. Die junge Frau, die nach Abendblatt-Informationen aus der gleichen Gegend wie der mutmaßliche Schütze stammte, lebte offenbar schon länger in Deutschland. Im Mai hätte sie ihren Abschluss machen sollen, heißt es aus ihrem Umfeld. In Ottensen lebte die 22-Jährige in einer Zweier-WG.

Am Mittwoch kommt ein Anwohner mit seiner Tochter zum Tatort, um einen weiteren Blumenstrauß vor die Haustür zu legen – hier stapeln sich bereits Rosen, Gerberas und Lilien. Am Geländer im Eingangsbereich hängen rosa und weiße Ballons in Herzform. Mehrere Passanten bleiben stehen. Sie kannten die Toten nicht, doch sie alle stellen sich dieselbe Frage: Was ist hier passiert?