Hamburg. Kohlekraftwerk Moorburg ist idealer Standort für Herstellung von Wasserstoff. Produktion könnte 2025 starten. Doch es gibt einen Haken.

Wenn grüner Wasserstoff die Lösung für viele der aktuellen Klima- und Energiesorgen ist, dann gibt es derzeit wohl vor allem einen Ort im deutschen Norden, der als dessen ideale Produktionsstätte infrage kommt: Hamburg-Moorburg. So jedenfalls sehen es Experten – und so sieht es auch der rot-grüne Hamburger Senat.

Das Gelände des kürzlich abgeschalteten Kohlekraftwerks im Hamburger Hafen bietet fast alles, was man sich an Infrastruktur für die Produktion dieses nachhaltigen Energieträgers wünschen kann: Es ist bereits an das 380.000-Volt-Höchstspannungsnetz und an das 110.000-Volt-Netz der Stadt Hamburg angeschlossen.

In Moorburg soll ab 2025 Wasserstoff produziert werden

Die vorhandenen Kaianlagen, über die bisher Kohlelieferungen nach Moorburg kamen, ermöglichen künftig die Anlieferung von Energieträgern wie Ammoniak oder auch von importiertem Wasserstoff, der zusätzlich von hier aus verteilt werden könnte. In der Umgebung gibt es zahlreiche große Industriebetriebe, die Wasserstoff in ihrer Produktion nutzen wollen. Und die bei der Herstellung entstehende Wärme könnte ins Fernwärmenetz eingespeist werden – und nach Berechnungen des städtischen Versorgers Hamburg Wärme bis zu 6000 Wohnungen in der Hansestadt beheizen.

„Würde man einen Wunschstandort für einen Wasserstoff-Hub beschreiben, könnte man sich von Moorburg geradezu inspirieren lassen“, schrieb angesichts dieser Ausgangsbedingungen kürzlich das auf Wasserstoffthemen spezialisierte Magazin „HZwei“.

Es liegt also nahe, was die Stadt und ihre Partnerfirmen nun planen: Bis 2025 wollen der bisherige Betreiber des Kohlekraftwerks und Grundstückseigentümer Vattenfall, die Firmen Mitsubishi Heavy Industries und Shell sowie die Wärme Hamburg GmbH hier gemeinsam einen Elektrolyseur mit einer Leistung von 100 Megawatt für grünen Wasserstoff aufbauen – einen sogenannten Green Hydrogen Hub.

Erster Schritt: Funktioniert die H2-Produktion überhaupt?

Zwar würde dessen zunächst im Vergleich zum früher hier arbeitenden 1,6-Gigawatt-Kohlekraftwerk eher geringe Leistung nicht einmal reichen, um den Gesamtbedarf eines Industriegroß­betriebs wie Arcelor Mittal von mehr als 500 Megawatt zu decken, heißt es von den Experten – aber bei Bedarf könnte man die Anlage auch erweitern. Zunächst einmal soll gezeigt werden, dass die Produktion hier funktioniert.

Vattenfall-Ingenieur und Wasserstoffexperte Arne Jacobsen
Vattenfall-Ingenieur und Wasserstoffexperte Arne Jacobsen © Kristian Scheffler | Kristian Scheffler

Dabei soll der Wasserstoff auch wegen der noch sehr hohen Kosten erst einmal für bestimmte Industrieproduktionen eingesetzt werden, um deren bisher hohen Ausstoß am klimaschädlichen CO2 zu senken – oder auch im Verkehrssektor (Lkw-Flotten, ÖPNV und eventuell kleinere Schiffe). Langfristig hat man auch die wirtschaftlich herausforderndere Umstellung der Luftfahrt, den Erdgas­ersatz in Industrieunternehmen und die Wärmebereitstellung als Ziel. Dass Airbus quasi um die Ecke arbeitet, könnte also künftig ein weiterer Vorteil sein.

Wasserstoff ist nicht zwangsläufig „grün“

Um all die möglichen Nachfrager zu beliefern, bräuchte man allerdings genügend (bezahlbaren) Ökostrom, etwa aus Sonnen-, Wind- oder Wasserenergie. Denn die Elektrolyse, bei der Wasserstoff aus Wasser gewonnen wird, braucht viel Energie. Und damit Wasserstoff als grün, also als klimaneutral gilt, muss der Strom aus erneuerbarer Energie stammen.

„Der Strom soll über die 380.000-Volt-Leitung aus den Windkraftanlagen im Norden nach Moorburg fließen“, sagt Arne Jacobsen, Wasserstoffexperte und Vattenfall-Ingenieur. „Früher wurde der im Kohlekraftwerk gewonnene Strom von Moorburg aus in dieses Netz eingespeist, wir drehen also die Fließrichtung um.“

Das „Erdöl der Zukunft“?

Dass die Leistung des geplanten Elektrolyseurs nicht ganz gering ist, zeigt eine Umrechnung des dort produzierten Wasserstoffs in die Reichweite von mit Wasserstoff getriebenen Pkw. Da Wasserstoffautos etwa 1 Kilo Wasserstoff pro 100 Kilometer verbrauchten, könnten die rund 11.500 Tonnen Wasserstoff, die im Jahr in Moorburg produziert werden sollen, für insgesamt 1,15 Milliarden Kilometer Fahrt reichen, rechnet Vattenfall-Ingenieur Jacobsen vor.

Obwohl grüner Wasserstoff auch der Bundesregierung schon länger als „Erdöl der Zukunft“ gilt – es gibt doch ein paar Haken. So wird bisher noch viel zu wenig Ökostrom produziert, um den Bedarf zu decken. Und grüner Wasserstoff ist noch immer deutlich teurer als andere Energieträger.

Deswegen setzen auch die Planer des Green Hydrogen Hubs im Hamburger Hafen zunächst auf staatliche Förderung. Damit diese möglich wird, muss die EU zustimmen – denn die europä­ischen Wettbewerbswächter wittern bekanntlich bei staatlichen Subventionen schnell eine Wettbewerbsverzerrung und schreiten ein.

Ambitioniert: Schon ab 2025 soll Moorburg Wasserstoff liefern

In diesem Fall aber stehen die Chancen gut, dass die EU es Bund und Stadt erlaubt, das Moorburg-Projekt massiv finanziell zu unterstützen. Denn die Bundesregierung hat es bereits als zentrales Vorhaben für die Liste der „Important Projects of Common European Interest (IPCEI)“ angemeldet.

Die Planer rechnen mit einer EU-Entscheidung Anfang 2022. Sollte der Moorburger Green Hydrogen­ Hub wie erhofft den EU-Stempel bekommen, könnten in der zweiten Jahreshälfte 2022 die nationalen staatlichen Mittel freigegeben werden und Anfang 2023 die Investitionsentscheidungen der beteiligten Firmen fallen. Zwei Jahre später soll der Elektrolyseur dann den Betrieb aufnehmen. So jedenfalls sieht es der ambitionierte Zeitplan der Stadt und ihrer Mitstreiter bisher vor.

Abbau des Kohlekraftwerks könnte zum „Tetris“-Spiel werden

Parallel zu all dem muss auf dem Gelände allerdings auch das gigantische Kohlekraftwerk zurückgebaut werden. Das werde angesichts des begrenzten Platzes fast eine Art „Tetris“-Spiel, so Vattenfall-Ingenieur Jacobsen: „Ein Kohlekraftwerk ab- und daneben eine Wasserstoffanlage aufzubauen, das ist logistisch interessant.“

Im ehemaligen Kohlekraftwerk soll zukünftig Wasserstoff produziert werden.
Im ehemaligen Kohlekraftwerk soll zukünftig Wasserstoff produziert werden. © Hamburg Green Hydrogen Hub Bild/FH | Unbekannt

Klar scheint mittlerweile, dass eine Weiternutzung des früheren Kohlekraftwerkes mit anderen Energieträgern, wie SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher sie vor der Bürgerschaftswahl im vergangenen Jahr ins Gespräch brachte, kaum infrage kommt. Die auch dafür in Auftrag gegebene Machbarkeitsuntersuchung, die schon Ende Juni dieses Jahres fertig sein sollte, hält der Senat zwar noch zurück – dabei geht es nach Abendblatt-Informationen auch um die Frage, ob in Moorburg zusätzlich zum Wasserstoff-Elek­trolyseur ein Biomassekraftwerk entstehen könnte.

Aber beim Kraftwerkseigentümer Vattenfall geht man bisher davon aus, dass vom abgeschalteten Kohlekraftwerk lediglich elektrische Anlagen, Bürogebäude, Werkstätten, die Wasseraufbereitung sowie gegebenenfalls die ehemaligen Kohlekreislager weiterverwendet werden können – eine teilweise Umstellung des Kraftwerks etwa auf Gasverbrennung scheint man für nicht realistisch zu halten.

Die Zeit läuft davon: Hoffnung auf schnelle Genehmigung

So oder so: Um das alte Kohlekraftwerk abzubauen, bedarf es noch einer Genehmigung der detaillierten Rückbaupläne durch die Umweltbehörde. Und auch für den Betrieb des geplanten Wasserstoffelektrolyseurs muss unter anderem eine „wasserrechtliche Genehmigung“ (für die Nutzung von Elbwasser) her – ein Thema, das im Zusammenhang mit dem Kohlekraftwerk Moorburg jahrelang die Politik und die Gerichte beschäftigte.

Diesmal soll es schneller gehen, so die Hoffnung der Beteiligten – schließlich geht es jetzt um eine Technologie, die der Menschheit in Zukunft klimafreundliche Produktion und Mobilität ermöglichen könnte. Und viel Zeit bleibt da bekanntlich nicht mehr.