Hamburg. Eine Gruppe von „Reichsbürgern“ soll einen Umsturz in Deutschland geplant haben. In einem Prozess in Hamburg räumt ein 66-Jähriger eine Unterstützung des Vorhabens ein - und distanziert sich zugleich.

Ein Prozess um Umsturzpläne sogenannter Reichsbürger hat am Montag in Hamburg mit einem weitgehenden Geständnis des Angeklagten begonnen. Die Anklagevorwürfe seien zutreffend, hieß es in einer Erklärung, die seine Verteidigerin Ina Franck-Holst am Montag vor dem Staatsschutzsenat am Hanseatischen Oberlandesgericht verlas. Der 66-Jährige machte sich jedoch nicht die Bewertung der Reichsbürger-Gruppe durch die Hamburger Generalstaatsanwaltschaft zu eigen. Mitglieder der auch unter dem Namen „Vereinte Patrioten“ bekannten Vereinigung stehen seit über einem Jahr in Koblenz vor Gericht.

Die Anklage wirft dem Schleswig-Holsteiner aus dem Raum Bad Bramstedt vor, eine terroristische Vereinigung unterstützt und ein hochverräterisches Unternehmen vorbereitet zu haben. Er soll sich der sogenannten „Kaiserreichsgruppe“ angeschlossen haben. Diese Gruppierung habe das Ziel verfolgt, in Deutschland ein autoritär geprägtes Regierungssystem nach dem Vorbild der Verfassung des Deutschen Reiches von 1871 zu errichten.

Segeltour nach Kaliningrad

Der Angeklagte soll sich bereiterklärt haben, mit anderen per Schiff in russische Hoheitsgewässer bei Kaliningrad einzudringen. Nach Aufbringung ihres Segelboots durch die russische Marine hätten die Seefahrer als Delegation Kontakt zum russischen Präsidenten aufnehmen wollen. Die Gruppe habe sich von Wladimir Putin Unterstützung erhofft. Ob die Kaiserreichsgruppe die Zugehörigkeit des einstigen Königsbergs zu Russland akzeptieren wollte, blieb unklar.

Lauterbach-Entführung und Blackout geplant

Vor dem Umsturz wollte die Vereinigung nach Angaben der Hamburger Generalstaatsanwaltschaft einen länger andauernden und flächendeckenden Stromausfall in Deutschland herbeiführen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sollte von Bewaffneten während einer live übertragenen Talkshow entführt werden. Die Umstürzler hätten Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für abgesetzt erklären wollen. Eine konstituierende Versammlung hätte eine neue Führung bestimmen sollen. Ein Mitglied der Koblenzer Gruppe und der Angeklagte seien sich einig gewesen, dass die Staatsform eine parlamentarische Monarchie sein sollte, hieß es in der Anklage.

Pistole und Munition gefunden

Der Beschuldigte sei beauftragt gewesen, Waffen zu beschaffen. In seinem Wohnmobil habe er in einem Schließfach eine Pistole und über 100 Schuss Munition verwahrt. Bei seiner Verhaftung am 29. November 2023 sei Gewehrmunition in einem Werkzeugschrank im Keller seiner Wohnung gefunden worden.

In Corona-Zeit in Szene reingerutscht

Der Angeklagte erklärte, er habe sich schon immer sehr für deutsche Geschichte interessiert und während der Corona-Maßnahmen Kontakt zu Gleichgesinnten gefunden. Man habe in Chatgruppen über Telegram kommuniziert. „Dadurch rutschte man in diese Szene rein“, sagte der 66-Jährige auf Nachfrage der Vorsitzenden Richterin Petra Wende-Spors. Seit dem 22. Februar 2022 habe er von den Umsturzplänen gewusst. Die Chatgruppen hießen unter anderem „Deutsches Reich 1871“ oder „Deutsches Reich intern“.

Angeklagter wollte Verfassungsschutz warnen

Der Plan für einen großen Stromausfall sei ihm zu weit gegangen. Waffen habe er zwar besorgen wollen, aber nicht für den Umsturz. Er habe beim Verfassungsschutz angerufen, um die Behörde zu warnen. Nach Angaben eines Gerichtssprechers wandte sich der Angeklagte zweimal an den Verfassungsschutz, ohne allerdings zu einem Mitarbeiter durchgestellt zu werden. Die Angaben seien der Behörde „zu unspezifisch“ erschienen. Der Beschuldigte erklärte zu seinem damaligen Verhältnis zur Kaiserreichsgruppe: „Es wäre auffällig gewesen, wenn ich mich von jetzt auf gleich rausgezogen hätte.“

Der 66-Jährige - große Statur, kahlköpfig mit Brille, gekleidet mit einem beigefarbenem Hemd und Cargohose - erklärte, wie belastend die Haft für ihn sei. Seine Frau und die Familie hielten aber zu ihm. Nach Angaben des Gerichtssprechers arbeitete er vor seiner Verhaftung als Fahrer eines Flughafen-Shuttles.

Ist „Kaiserreichsgruppe“ eine terroristische Vereinigung?

Im Prozess werde es sehr darauf ankommen, dass das Gericht die „Kaiserreichsgruppe“ als terroristische Vereinigung einstufe. Nur dann könnte der Angeklagte in Hamburg wegen Unterstützung einer solchen Vereinigung verurteilt werden, erläuterte der Gerichtssprecher. Bei der Bewertung werde der Staatsschutzsenat zwar ein mögliches Urteil des Oberlandesgerichts in Koblenz berücksichtigen, aber das Hamburger Gericht müsse zu einer eigenen Bewertung kommen.

Weitere Prozesse gegen Reichsbürger

Zurzeit laufen gibt es weitere Verfahren gegen Reichsbürger in Deutschland. Seit Dienstag vergangener Woche läuft vor dem Oberlandesgericht Frankfurt der Prozess um die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß. Die Gerichtsverhandlung um den militärischen Arm der Gruppe „Reuß“ hatte Ende April in Stuttgart begonnen. Die übrigen mutmaßlichen Mitglieder der Reuß-Gruppe sollen sich ab 18. Juni in München vor Gericht verantworten.