Lüneburg. Vor 50 Jahren verarbeitete der Schriftsteller Arno Surminski seine Flucht aus Ostpreußen in „Jokehnen“. Das Buch trug zur deutsch-polnischen Versöhnung bei, doch der Autor fühlt sich heute ohnmächtig.

Fast 50 Jahre nach dem Erscheinen seines ersten Buches „Jokehnen oder Wie lange fährt man von Ostpreußen nach Deutschland?“ hat der Hamburger Schriftsteller Arno Surminski über seine Ohnmacht im Angesicht des Ukraine-Kriegs gesprochen. „Ich kann nur Bücher schreiben. Ich weiß es einfach nicht, was man da machen kann“, sagte der 89-Jährige am Mittwoch bei einer Lesung in Lüneburg unter dem Motto „Für Versöhnung, gegen das Vergessen“. Sein neuestes Buch „Als die Stadt brannte“ habe er unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs begonnen. Alle, die heute Krieg führten, hätten zuvor keinen erlebt. Sie wollten sich durchsetzen, egal was passiert, zeigte sich der aus Ostpreußen stammende Autor überzeugt. Er fügte hinzu: „Wer das mitgemacht hat, was ich mitgemacht habe, der würde auf solche Ideen gar nicht kommen.“

Surminski verarbeitete seine Flucht im Winter 1945 in „Jokehnen“, eine literarische Verfremdung seines Heimatdorfes Jäglack. Seine Eltern waren kurz nach dem Einmarsch der Roten Armee in Ostpreußen nach Russland verschleppt worden. Als Elfjähriger war er allein zurückgeblieben und wartete auf die Rückkehr der Eltern. Auf der Suche nach Essbarem habe er mit anderen Kindern die verlassenen Dörfer durchstreift. Die zum Teil niedergebrannten Bauernhöfe seien von Menschen, aber auch von allen Tieren - Hunden, Katzen, Kühen - verlassen gewesen. „Es ist unvorstellbar, wie einem diese Leere aufs Gemüt schlägt“, sagte Surminski über jene Zeit. Schließlich gaben die neuen polnischen Behörden den verbliebenen Deutschen den Befehl, das Land zu verlassen. Zwölf Tage lang saß der Elfjährige in einem Güterzug, bis er in Berlin ankam.

Als er 1974 das Manuskript von „Jokehnen“ fertig hatte, habe er für 100 Mark eine Zeitungsannonce aufgegeben, berichtete Surminski. „Ungewöhnliches Manuskript über Ostpreußen sucht einen Verleger“ - darauf habe er sechs Zuschriften bekommen. Er habe damals befürchtet, dass er nach dem Erscheinen des Buches nicht mehr nach Polen fahren dürfe. Darum habe er sein Heimatdorf kurz zuvor noch besucht. Inzwischen hat er mehr als 30 weitere Bücher geschrieben und ist Ehrenbürger der polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren.

Die Titelgeschichte seines neuen Buches „Als die Stadt brannte“ bezieht sich auf die Bombardierung Dresdens. Ein Kind versteht die Gefahren der Bomben nicht und stirbt offenbar in den Armen seiner Mutter. Alle 22 Erzählungen des Buches beruhen auf realen Kriegserfahrungen, seinen eigenen oder denen seiner zahlreichen Leser.