Hamburg (dpa/lno). Nach dem Zweitliga-Aufstieg könnte den Fußballerinnen des Hamburger SV der Durchmarsch in die erste Liga gelingen. Der Verein hat nun die Chance, Hamburg wieder als Frauenfußball-Stadt zu etablieren.
Volle Konzentration zu später Stunde: Im Scheinwerferlicht des Trainingsplatzes in Norderstedt trainieren die Zweitliga-Fußballerinnen des Hamburger SV. Auf der Sportanlage für die HSV-Amateurteams wird in dieser Saison an einem ganz besonderen Erfolg gearbeitet: Die Zweitliga-Fußballerinnen könnten den Sprung in die Bundesliga schaffen - zwölf Jahre, nachdem der HSV seine Frauen aus finanziellen Gründen aus dem Oberhaus abgemeldet hatte.
Nach einer starken ersten Saisonhälfte - acht Siege in 13 Spielen - haben sich die Zweitliga-Aufsteigerinnen an der Tabellenspitze eingerichtet. Beim ersten Heimspiel der Rückrunde gegen Eintracht Frankfurt II (Sonntag/11.00 Uhr) will das Team seine Position als Tabellenführer festigen. „Ich bin jeden Tag unfassbar gerne hier und auch unfassbar gerne in meiner Rolle als Kapitänin“, sagt die Abwehrspielerin Sarah Stöckmann. Mit ihren 30 Jahren gehört sie zu den erfahrenen Spielerinnen des Kaders. „Ich glaube, wir haben eine sehr gute Mischung aus alten Hasen und vielen jungen Talenten“, erzählt sie weiter. Der Altersdurchschnitt des 32 Spielerinnen umfassenden Kaders liegt bei 21,2 Jahren.
Dass sich die Spielerinnen mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen in der zweiten Liga so schnell zurechtgefunden haben, hat auch etwas mit Trainer Marwin Bolz zu tun. „Es ist ein enorm talentiertes Team, und es gibt nichts Schöneres, als mit so einer coolen Gruppe, mit so einer intensiven Gruppe Tag für Tag ins Training oder ein Spiel reinzugehen“, sagt der erst 26-Jährige, der seit dieser Saison als Cheftrainer die Verantwortung trägt. Vorher arbeitete Bolz schon als Assistenztrainer unter seinem Vorgänger Lewe Timm mit den Spielerinnen.
Was käme nach dem Aufstieg?
Seiner „coolen Gruppe“ (Bolz) wird nun auch der Durchmarsch in die erste Liga zugetraut. Darauf angesprochen, geben sich Kapitänin und Trainer im schlichten Besprechungsraum auf dem HSV-Trainingsgelände zurückhaltend. „Wir haben in der Hinrunde gezeigt, dass wir alles können. Aber wir müssen nichts. Diese Lockerheit dürfen wir uns gerne bewahren, damit wir weiter erfrischenden Fußball spielen“, sagt Bolz.
Ein Aufstieg wäre für Team und Verein mit logistischen Herausforderungen verbunden. An erster Stelle steht die Frage nach der Spielstätte. Bislang bestritt das Team seine Heimspiele teils in Norderstedt, teils im Hamburger Sportpark Eimsbüttel. Bei der Suche nach einem erstligatauglichen Stadion zieht der HSV auch Plätze anderer Vereine in Erwägung. Entschieden ist noch nichts. In Hamburg wird schon lange um ein Stadion gestritten, dass tauglich für einen möglichen Männer-Drittligisten und einen Frauen-Erstligisten ist.
Auch ihr Training müssten die HSV-Fußballerinnen bei einem Aufstieg an die höheren Ansprüche anpassen. Schon jetzt steht für das Team um Stöckmann viermal pro Woche Mannschaftstraining auf dem Programm - stets abends. Tagsüber arbeiten die Spielerinnen in anderen Berufen, studieren oder gehen zur Schule. Wer Zeit hat, nimmt vormittags dann noch individuelles Training und Physiotherapie wahr.
In der ersten Liga würde sich der Fokus noch weiter auf den Fußball verlagern, abendliches Mannschaftstraining würde da nicht mehr ausreichen. Damit die Spielerinnen auch nachmittags trainieren können, muss der Verein in den kommenden Monaten Perspektiven schaffen und will das für jede Spielerin individuell angehen. „Da wird sich von den Rahmenbedingungen und der gesamten Struktur ein bisschen was verändern“, meint Stöckmann, die als Erzieherin arbeitet.
Neue Strukturen sind im Frauenfußball derzeit auch ein clubübergreifendes Thema. Ein Projektteam des DFB arbeitet bereits seit Monaten an einem Plan für mehr Wachstum und stärkere Professionalisierung in der Frauen-Bundesliga. Dazu gehört auch die Idee, ein Mindestgrundgehalt für die Spielerinnen einzuführen. Der HSV hat zu dem Wachstumsplan bisher noch nicht öffentlich Stellung bezogen.
Unterstützung für Frauen-Team wächst
Je nach Spielstätte verfolgen im Schnitt bis zu 1500 Zuschauerinnen und Zuschauer die Zweitliga-Spiele der HSV-Frauen. „Der Fan-Support ist insgesamt enorm gewachsen“, sagt Kapitänin Stöckmann. Einen prominenten Anhänger weiß die Mannschaft im eigenen Haus: HSV-Nachwuchschef und Interims-Frauen-Bundestrainer Horst Hrubesch. „Ich bin sehr stolz auf sie und kann ihnen nur ein ganz großes Kompliment aussprechen“, sagt der 72-Jährige. „Sie haben sich noch nicht ein einziges Mal über etwas beschwert oder gejammert. Sie nehmen die Dinge so an, wie sie sind.“
„Horst“ habe auch das Sommertrainingslager in Dänemark begleitet, erzählt Stöckmann. „Und ist, soweit es eben möglich ist, dann auch gerne da, richtet mal das eine oder andere Wort an uns und gibt uns gute Wünsche mit.“ Insgesamt unterstütze der Verein das Team enorm, was sich auch in der Infrastruktur zeige. So sei es der Mannschaft etwa möglich, bei Winterwetter auch auf den beheizten Plätzen am Volksparkstadion zu trainieren.
Wertschätzung für den Frauenfußball war in der Vergangenheit beim HSV nicht immer spürbar. 2012 meldete der damalige Club-Vorstand mit Carl Jarchow an der Spitze das Frauen-Team aus der Bundesliga ab. Als Begründung wurden wirtschaftliche Gründe genannt. Die Einsparung: laut Medienberichten 750.000 Euro.
Der radikale Schnitt hat Spuren hinterlassen. „Früher war der HSV ein ambitionierter Bundesligist, heute sind wir im Vergleich zu Wolfsburg, Bayern oder Frankfurt ein Underdog“, sagte Hrubesch zum Saisonstart der „Hamburger Morgenpost“.
Spannendes Rennen um den Aufstieg
Die Rückkehr in die erste Liga könnte also auch ein Comeback für Hamburg als wichtiger Frauenfußball-Standort werden. „Jetzt haben wir im Hintergrund viele Leute am Werk, die ganz, ganz viel Zeit und Kraft investieren, damit beim HSV wieder nachhaltig erfolgreicher Fußball der Frauen gespielt wird“, sagt Stöckmann. „Wir als Team sind am Ende dann diejenigen, die das Ganze natürlich in Leistung und Erfolgen auch wieder zurückzahlen wollen.“
Das Aufstiegsrennen in der 2. Bundesliga ist allerdings eng: Die Teams des SV Meppen und des SC Sand belegen punktgleich mit dem HSV die Tabellenplätze zwei und drei. In der Tordifferenz trennen den HSV nur zwei Treffer zum Verfolger SV Meppen und drei zum SC Sand. Der Tabellenerste und -zweite steigen am Saisonende auf.