Hamburg. Alois Krtil möchte die Angst vor künstlicher Intelligenz nehmen. Im Interview spricht der Gründer des Hamburger KI-Zentrums über die Arbeitswelt der Zukunft
Künstliche Intelligenz sollte uns keine Angst machen, sagt Alois Krtil. Kein Wunder: Als CEO des Artificial Intelligence Centers Hamburg berät er Unternehmen im Umgang mit KI – und als Technikvorstand der e-Lerningplattform Pinktum setzt er sich für den Einsatz von KI in der Bildung ein. Alois Krtil blickt nach vorn – ein Gespräch über die Kraft der KI – und wie wir damit umgehen sollten.
Herr Krtil, bevor wir richtig einsteigen: Sie sind Gründer und CEO des Artificial Intelligence Centers Hamburg (kurz ARIC genannt) sowie Chief Technical Officer des E-Learning-Anbieters Pinktum. Das sind zwei Namen, die wahrscheinlich den wenigsten Leserinnen und Lesern etwas sagen. Was macht das ARIC und was das Pinktum? Und was sind Ihre Aufgaben?
Alois Krtil: Das Artificial Intelligence Center ist ein KI-Zentrum, das in Hamburg an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Wissenschaft aufgebaut worden ist. Ziel ist es, eine kritische Masse an Know-how im Bereich der künstlichen Intelligenz zusammenzubringen und dann den Mitgliedern, das heißt Unternehmen und Wissenschaft, bereitzustellen. Es gibt zwei Säulen, mit denen wir uns beschäftigen: Eine ist die Kompetenzvermittlung zum Thema KI, die andere ist die Auswertung und Bereitstellung von Informationen über die Entwicklung der künstlichen Intelligenz speziell für die Bedürfnisse von Unternehmen.
Also Sie unterstützen Hamburger Firmen und Start-ups oder arbeiten Sie bundesweit?
Wir fokussieren uns immer auf Hamburg, aber blicken auch über den Tellerrand hinaus. Denn natürlich findet die technologische Entwicklung ja nicht nur in Hamburg statt. Die Hamburger Firmen profitieren von unserem internationalen Netzwerk.
Das neue Abendblatt-Magazin
Das neue Abendblatt-Magazin „Kraftvoll - die Zukunft gestalten“ erscheint am 24. November 2023. Es enthält Interviews unter anderem mit Markus Lanz und Richard David Precht, Herbert Diess, Lothar Matthäus, Carsten Brosda, Diana Kinnert, Wolfgang Ischinger sowie Reportagen und Hintergründe zum Thema. Das 108-seitige Magazin ist im gut sortierten Zeitschriftenhandel, in der Geschäftsstelle des Hamburger Abendblatts sowie online unter www.abendblatt.de/magazine erhältlich. Das Magazin kostet 9,90 Euro. Treuepreis für Abonnenten (Kauf beim Abendblatt) 8 Euro.
Das zweite Standbein ist Pinktum. Wie ergänzt sich das?
Pinktum ist einer der führenden E-Learning-Anbieter in Europa. Der Fokus von Pinktum liegt auf der Vermittlung von Soft Skills. Die Verbindung beider Aufgaben ist tatsächlich die KI. Ich bin bei Pinktum für den technologischen Entwicklungsbereich verantwortlich. Pinktum setzt stark auf KI, um digitales Lernen methodisch zu verbessern und Menschen in ihrer Weiterentwicklung gezielter zu unterstützen.
Damit sind wir dann auch schon voll im Thema: Macht die KI künftig Lehrer überflüssig?
Das ist eine häufig gestellte Frage. Und die ehrliche Antwort ist: Der Mensch wird bestimmte Rollen und Aufgaben durch die KI abgenommen bekommen. Aber am Ende geht es natürlich nicht darum, die Lehrer zu ersetzen, sondern die Arbeit von Lehrern zu unterstützen. Mit KI können wir – wo immer es sinnvoll ist – ein weiteres Training anbieten, auch wenn die Lehrerin oder der Lehrer gerade nicht zur Verfügung steht. KI wird die klassische Lehre sehr gut ergänzen.
Das klingt ja erst mal sehr positiv. Dennoch sind viele Menschen verunsichert und fragen sich: Was kommt da auf uns zu? Werde ich an meinem Arbeitsplatz durch KI ersetzt? Werde ich in meinem Job entmündigt?
Ich kann die Verunsicherung absolut nachvollziehen. Aber da werden auch sehr viele Mythen verbreitet, und die Verunsicherung entsteht auch teilweise durch die Kommunikation über das Thema. Da werden ja gern Schreckensbilder projiziert, in der Art „KI wird Millionen von Jobs ersetzen …“ Diesen Untergangsszenarien halte ich immer entgegen und sage: Höchstwahrscheinlich wird es eher so sein, dass KI dem Menschen als Werkzeug hilft. Stellen Sie sich den Menschen als Künstler vor, der einen deutlich besseren Pinsel, ja bessere Farben, vielleicht auch eine bessere Leinwand bekommt. Aber der Künstler wird durch den besseren Pinsel nicht ersetzt.
Also eher Chance als Bedrohung.
Unbedingt!
Wie wird sich unsere Arbeitswelt durch KI verändern?
Ich denke, dass wir uns in Zukunft mehr auf die menschlichen Eigenschaften zurückbesinnen werden. Also das, was uns Menschen ausmacht: Empathie, ein gewisses Einschätzungsvermögen und Erfahrungen. Die Menschen können doch mehr, als irgendwelche Exceltabellen vergleichen oder eine Inventur durchführen und stundenlang Sachen zählen. Da gibt es wirklich noch viele Prozesse, die eine große Wertschöpfung haben und mithilfe von KI – zumindest teilweise – automatisiert werden können. Wir sehen jetzt schon beispielsweise im Bereich der Informatik, dass viele Programmierer inzwischen KI nutzen. Sozusagen als Co-Piloten oder digitale Assistenten. Das beschleunigt und optimiert den Programmiervorgang. Dadurch werden die Experten produktiver und befassen sich nicht immer wieder mit Standardroutinen, sondern mit dem Kern der Softwareentwicklung.
Wird uns die künstliche Intelligenz dabei helfen, die Zukunft zu gestalten?
Ich bin überzeugt davon, dass KI sogar Kraft in uns wecken kann. Warum? Weil sie uns viele Tätigkeiten abnehmen kann, die uns eher vom Wesentlichen ablenken. Ich glaube aber auch, dass wir selbst überdenken müssen, wie wir arbeiten und wo unsere Stärken liegen.
Wird jedes Unternehmen in Zukunft ein eigenes Regelwerk für den Umgang mit KI benötigen? So etwas wie eine KI-Compliance: Was darf man machen – und was nicht? Und vor allem: Wie transparent gehe ich damit um?
Das ist sehr wichtig. Die EU erarbeitet gerade eine eigene KI-Verordnung, um Risiken zu begegnen. Diese wird irgendwann auch in Gesetze einfließen. Aber darüber hinaus sind Selbstverpflichtungen extrem wichtig – wie es sie in den Industriebereichen, die KI schon früh eingesetzt haben, gibt. Wir haben das bei Pinktum bereits eingeführt. Aber ich würde das nicht „Compliance“ nennen. Es geht vielmehr um ganzheitliche Leitplanken.
Am Ende geht es um einen verantwortungsvollen Umgang mit Technologie …
Der Einsatz von KI erfordert immer auch ethische Entscheidungen. Und natürlich geht es auch um die Fragen: Wie qualitativ hochwertig ist eigentlich die KI-Lösung, die ich einsetzen möchte? Wie gut sind die Trainingsdaten der KI? Wo kommt der Mensch ins Spiel? Das Thema „Human in the Loop“ ist elementar: An einer entscheidenden Stelle muss ein Mensch mitarbeiten und entscheiden. Wir müssen wissen, wie robust die Systeme sind. Und schließlich: Wie sicher sind sie? All diese Eigenschaften sind wichtig, damit wir verantwortlich mit diesem sehr mächtigen Tool umgehen können. Da benötigt jedes Unternehmen, jede Institution Leitplanken, in denen es sich bewegt. Nur so wird der Einsatz der KI wirklich zielgerichtet, nur so werden die Lösungen gut.
Also neben EU-Regeln und staatlichen Gesetzen muss es ganz bewusst im Unternehmen Regeln geben – als Ergänzung?
Absolut.
Welche Rolle spielt die KI in Hamburg?
Wenn man sich die großen Wirtschaftscluster in der Hansestadt anschaut, eine große Rolle: Hamburgs Wirtschaft ist stark in der Logistik, der maritimen Wirtschaft und der Luftfahrt sowie in der Gesundheitswirtschaft. In all diesen Bereichen gibt es bereits heute diverse kleine und große Anwendungsbeispiele für KI. KI kann die Lieferwege optimieren, insgesamt Prozesse verbessern oder beispielsweise dabei helfen, Medikamente schneller zu entwickeln. Bereits heute, davon bin ich überzeugt, gibt es eigentlich keinen Bereich in Hamburgs Wirtschaftsschwerpunkten, in dem KI nicht zumindest schon angedacht ist. Auch in der öffentlichen Verwaltung, in allen relevanten Funktionseinheiten der Stadt, wird darüber nachgedacht und bereits erprobt, wie KI heute und in Zukunft eingesetzt werden kann.
Ist für Sie eine Branche oder ein Bereich vorstellbar, in der keine Rolle für die KI vorstellbar ist? Vielleicht einmal von der Kirche ausgenommen …
Selbst die Kirche möchte ich nicht ausschließen: Wir haben beim ARIC gerade eine Anfrage aus dem kirchlichen Bereich erhalten. Daher würde ich sagen: Nein, es gibt keinen Bereich, den ich ausschließen möchte. Die künstliche Intelligenz betrifft wirklich alle Branchen. Manche Bereiche werden früher erfasst, andere später. Und dazukommt noch: Wenn wir über KI sprechen, sprechen wir ja immer über ein Bündel von neuen Technologien. KI ist niemals isoliert zu betrachten.
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Wird die KI auch in der Führung von Mitarbeitern in einem Unternehmen unterstützen?
Auf jeden Fall! Denn für richtige Führung benötige ich Informationen, richtige Kommunikation – und da kann natürlich KI helfen. KI kann Kommunikationskanäle optimieren oder neu schaffen. KI kann Inhalte zusammenfassen und leichter verfügbar machen. Aber künstliche Intelligenz kann auch Schwachstellen im Unternehmen analysieren und dann die Führungsmannschaft darauf aufmerksam machen. Technisch gesehen ist eine der Grundeigenschaften von KI die Mustererkennung. Man kann sie also überall dort gut einsetzen, wo man aus einer großen Datenmenge Muster erkennen will.
Also KI verändert unsere Arbeit, die Führung – was noch?
KI wird die Unternehmen verändern. Der immer größer werdende Einsatz von KI in Unternehmen wird natürlich auch zu Umbrüchen in den Organisationen führen. Auch mit diesen Themen beschäftigen wir uns im ARIC und bei Pinktum intensiv. Es gibt Unternehmen, die gehen das Thema sehr chancenorientiert an. Die sagen: Ja, wir wollen da mitspielen. Wir möchten diese neuartigen Tools und Möglichkeiten nutzen – auch um die großen Herausforderungen, die man im Unternehmen hat, anzugeben. Ein Beispiel: Durch den demografischen Wandel werden viele Mitarbeitende die Unternehmen verlassen. Die Firmen stehen vor der Herausforderung, das Wissen dieser Mitarbeiter aufzufangen. Wissensmanagement ist ein existenzielles Thema für die Unternehmen. Hier kann KI sicherlich gut eingesetzt werden und helfen.
Begegnet Ihnen manchmal auch Skepsis gegenüber der KI? Menschen, die sagen: Mein Gott, das ist jetzt grade mal so ein Hype. Das geht auch wieder vorbei!
Natürlich! Es ist jetzt nicht so, dass alle sagen: Hurra, darauf haben wir gewartet! Es ist doch eher so, dass wir in den vergangenen Jahren verdammt dynamische Zeiten erlebt haben. Kriege, Krisen, Pandemien … Da ist eine Menge auf uns alle eingeprasselt. Und deswegen gibt es natürlich viele Menschen, die eher kraftlos sind und sagen: „Um Gottes willen, jetzt kommt da auch noch so eine große technologische Veränderungswelle. Wir sind doch mit den übrigen Hausaufgaben noch nicht mal fertig. Mit dem ganzen Wandel sind wir so schon überfordert – und jetzt auch noch das!“ Ich kann diese Skepsis gut nachvollziehen. Die allerwenigsten Menschen haben bereits ein wirklich gutes Verständnis dafür, was KI konkret ist und wie man sie gut einsetzen kann. Viele fühlen sich einfach ohnmächtig. Aussitzen wird nicht funktionieren. Und ebenso wenig, wie das Internet wieder verschwunden ist, wird auch KI nicht mehr aus unserem Leben verschwinden. Diejenigen, die das als Chance sehen und vorangehen, werden einfach bessere Karten haben als diejenigen, die zurückbleiben.
Ja, aber wenn ich das richtig verstanden habe, arbeiten Sie genau daran – aufzuklären, zu vermitteln – und die Menschen mitzunehmen.
Unbedingt. Das ist unser großes Ziel.