Hamburg. Die Hälfte seiner Amtszeit als Kanzler ist rum und er muss fast wieder bei null anfangen. Eine Analyse von Lars Haider.

Der 8. Dezember 2021 war einer der schönsten Tage im Leben des Olaf Scholz, vielleicht der schönste. Es war der Tag, an dem er, aus seiner Sicht endlich, zum Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt wurde. Das war sein Ziel gewesen, nicht seit Jahren, sondern seit Jahrzehnten.

Olaf Scholz: Warum der Bundeskanzler (SPD) weitermacht als wäre nichts gewesen

Jetzt ist die Hälfte der Legislaturperiode schon rum, von der Scholz hofft, dass sie seine erste und nicht seine einzige sein wird. Wobei man sagen muss: Zur Halbzeit spricht nicht viel dafür, dass der ehemalige Hamburger Bürgermeister in zwei Jahren noch einmal ins Kanzleramt gewählt wird. Mehr noch: Vergleicht man die Situation mit 2019, also zwei Jahre vor der Bundestagswahl 2021, haben sich die Ausgangsbedingungen für Scholz deutlich verschlechtert.

Damals lag die SPD in Umfragen zwar wie heute um die 15 Prozent - aber die Beliebtheits- und Kompetenzwerte des Vizekanzlers und Finanzminister waren gut bis sehr gut. Das ist inzwischen anders, Scholz ist auch persönlich in Umfrageregionen abgerutscht, in denen ein Bundeskanzler nichts zu suchen hat. Auch nicht zur Hälfte seiner Amtszeit, in der Regierungen und ihre Chefs traditionell nicht besonders gut dastehen.

Bundeskanzler: So schlecht war Olaf Scholz in Umfragen noch nie

Zu sagen, dass Olaf Scholz nach zwei Jahren als Kanzler wieder bei null anfangen muss, ist übertrieben. Aber falsch ist es auch nicht. Das Urteil das Bundesverfassungsgericht, dass den Haushalt der Ampel-Regierung kassiert und die Finanzpolitik in die Nähe von Taschenspielertricks gerückt hat, beschädigt Scholz am meisten. Denn seine große Stärke, die Eigenschaft, die ihn von vielen Politikerinnen und Politikern unterscheidet, war bisher, dass man sich darauf verlassen konnte, von ihm ordentlich regiert zu werden.

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Wolfgang Schmidt, der Kanzleramtsminister, nannte Scholz gern eine „Angela Merkel mit Plan“, andere priesen ihn dafür, dass er sich mit dem, was er macht und entscheidet, so gut auskennt wie kaum ein anderer. Soll heißen: Scholz macht zwar rhetorisch wenig her, dafür gute Arbeit. Ein Satz, den man nach dem Verfassungsgerichtsurteil kaum noch ohne ein aber sagen kann.

Kanzler Olaf Scholz hat vor allem eine Stärke

Vielleicht ist das alles mit der Zeit zu vergleichen, in der Olaf Scholz Vorsitzender seiner Partei werden wollte, und die ihn nicht wählte. Damals dachten alle, dass seine Karriere zu Ende sei, und niemand konnte sich vorstellen, dass die Partei diesen Mann schon bald als ihren Kanzlerkandidaten aufstellen würde. Und was tat Scholz? Er machte das, was er wirklich so gut kann wie wenige andere: Er machte einfach weiter, unberührt, fast als wäre nichts gewesen.

Das ist eine Eigenschaft oder Eigenart, die man verstörend oder bewundernswert finden kann. Auf jeden Fall braucht er sie jetzt mindestens so sehr wie damals, als der Plan mit dem SPD-Vorsitz scheiterte.

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Und weil er mit Rückschlägen so umgeht wie oben beschrieben, ist es zur Hälfte der Legislaturperiode auch zu früh, den Kanzler abzuschreiben. Politik hat viel mit Stehvermögen, mit Widerstandsfähigkeit und Ungerührtheit zu tun, und von allem hat Olaf Scholz mehr als genug. Kommt hinzu, dass er, übrigens wie Helmut Schmidt, immer nur nach vorn guckt und selten zurück, so, als würde nur das, was kommt, eine Rolle spielen und nicht das, was passiert ist. Was angesichts der vielen Patzer und Unstimmigkeiten in den ersten 24 Monaten der Ampel-Regierung sicher nicht die schlechteste Art ist, auf das politische Leben zu schauen.

„Wir sind nie beleidigt, wir werden nie hysterisch“ ist einer der Grundsätze von Scholz. Und der gilt selbst jetzt, nach einer ersten Hälfte, die wirklich bitter war.