Kiel (dpa/lno). Die Asylpolitik erhitzt auch die Gemüter im Kieler Landtag: Statt geplanter 30 Minuten diskutiert das Parlament fast zwei Stunden über das Thema. Die Debatte offenbart erneut einen Konfliktpunkt in der schwarz-grünen Koalition.
Schleswig-Holstein erwartet bis Jahresende noch 5300 Asylsuchende und 1500 weitere Flüchtlinge aus der Ukraine. Diese Zahlen nannte Integrationsministerin Aminata Touré am Donnerstag im Landtag. Das Land habe in diesem Jahr bereits rund 6600 Asylsuchende aufgenommen. Dazu kämen die Schutzsuchenden aus der Ukraine, seit Ausbruch des Krieges rund 35.000 Menschen. Touré bescheinigte den Kommunen großartige Arbeit bei Unterbringung und Integration der Schutzsuchenden.
„Wir setzen gemeinsam mit den Kommunen auf pragmatische und nachhaltige Lösungen“, sagte Touré. Zur Migrationspolitik hatte die FDP angesichts der stark gestiegenen Flüchtlingszahlen einen Antrag mit einem Forderungskatalog eingebracht. Demnach sollen die Plätze in Landesunterkünften aufgestockt, ein konsequentes Rückführungsmanagement umgesetzt und irreguläre Migration unterbunden werden. Sozialleistungen für Asylsuchende sollen gesenkt, mehr Sach- statt Geldleistungen gewährt werden. Der Antrag wurde abgelehnt.
Es stehe den Kommunen nach dem Asylgesetz frei, Sachleistungen statt Geld auszuzahlen, erläuterte Touré. „Die meisten tun dies aber nicht, denn es bedeutet vor allem mehr Verwaltungs- und Kostenaufwand und hat somit nicht mit Entlastung zu tun.“ Das Land werde die Kommunen nicht dazu verpflichten.
Neue Dynamik erhielt die Debatte durch Vereinbarungen der Bundesregierung zur erleichterten Beschäftigungsaufnahme für Flüchtlinge und zur Erleichterung von Abschiebungen. Der Themenkomplex stand auch auf der Tagesordnung einer Ministerpräsidentenkonferenz am Donnerstag und Freitag.
Für die Landesunterkünfte im Norden plant die Regierung eine Aufstockung auf 10 000 Plätze, während FDP und SPD 15 000 für erforderlich halten. Damit sollen die Kommunen entlastet werden. Die Regierung bleibe bei der Zusage, weitere Kapazitäten zu schaffen, wenn das notwendig sei, sagte Touré. Eine Aufstockung sei überfällig gewesen, meinte der FDP-Politiker Bernd Buchholz.
Zur Forderung, Sozialleistungen für Asylsuchende zu senken, sagte Touré, laut Bundesverfassungsgericht dürfe sich das Existenzminimum für Menschen in Deutschland nur an den hiesigen Gegebenheiten orientieren, nicht also an denen in anderen Ländern.
Auf Forderungen der CDU-Ministerpräsidenten nach Ausweitung sicherer Herkunftsstaaten auf Marokko, Tunesien und Algerien sowie Indien und Armenien reagierte Touré ausweichend. „Zu den sicheren Herkunftsstaaten werden wir uns verhalten, wenn es einen konkreten Vorschlag der Bundesregierung gibt“, sagte sie. Touré machte klar, dass die Koalitionspartner CDU und Grüne hier unterschiedliche Auffassungen haben. Einer Ausweitung der Länderliste auf Moldau und Georgien hatte Schleswig-Holstein nur zugestimmt, weil Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) ein Machtwort gesprochen hatte.
„Weitere sogenannte sichere Herkunftsländer, so wie sie momentan gestaltet sind, sind für uns einfach keine Option“, sagte SSW-Fraktionschef Lars Harms. Es sei sehr befremdlich, wenn der Ministerpräsident eine Position auf Bundesebene vertrete und einen konkreten Vorschlag mache, der nicht mit dem grünen Koalitionspartner abgestimmt ist. Hier hätte er mehr Rückgrat von den Grünen erwartet. Auch SPD-Fraktionschef Thomas Losse-Müller vermisste eine abgestimmte Position der Koalition.
SPD-Landeschefin Serpil Midyatli kritisierte den Umgang der Regierung mit der Flüchtlingssituation. Die Kommunen hätten bis an ihre Belastungsgrenze gehen müssen. „Versprechen wurden nicht eingehalten, vertröstet wurden sie und wenn sie gar nicht weiterkamen, auf den Bund verwiesen“, sagte Midyatli. Sie machte deutlich, dass sie Touré nicht für eine verantwortungsvolle Ministerin hält.
„Nicht zuletzt bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen haben Umfragen gezeigt, dass 80 Prozent der dortigen Wählerinnen und Wähler eine andere Migrationspolitik wollen“, sagte die CDU-Politikerin Seyran Papo mit Verweis auf entsprechende Umfrageergebnisse. Die Landespolitik müsse weitere Anstrengungen für eine konsequente und unverzügliche Rückführung von Personen unternehmen, die nicht in Deutschland bleiben können.
SSW-Fraktionschef Lars Harms mahnte Realismus an. „Solange die Bundesregierung keine weiteren Rückführungsabkommen mit anderen Staaten hat, müssen die Leute weiterverteilt werden“, sagte er. „Dann ist davon auszugehen, dass sie über lange Zeiträume hier sind.“
Ministerpräsident Günther forderte die Bundesregierung auf, eine Begrenzung des Zuzugs von Flüchtlingen und eine bessere Steuerung umzusetzen. Dazu habe es schon am 10. Mai eine Verständigung mit dem Bund gegeben, sagte Günther im Blick auf den Flüchtlingsgipfel mit dem Kanzler am 6. November. Die damals verabredeten Dinge müsse der Bund jetzt umsetzen. Bei steigenden Flüchtlingszahlen werde eine menschenwürdige Integration immer schwieriger, argumentierte Günther.