Hamburg (dpa/lno). Die Anklage gegen den früheren Bezirksfraktionschef der Grünen in Hamburg-Mitte wiegen schwer. Es geht um die Veruntreuung von Fraktionsgeldern. Am zweiten Prozesstag werden erste Zeugen gehört.
Im Untreue-Prozess gegen den früheren Bezirksfraktionschef der Grünen in Hamburg-Mitte haben erste Zeugen schwere Vorwürfe gegen Michael Osterburg erhoben. Für ihn seien die Erstattungen, die sich der 55-Jährige jahrelang aus der Fraktionskasse habe zahlen lassen, nicht logisch nachvollziehbar, sagte dessen Nachfolger an der Fraktionsspitze, Manuel Muja, am Donnerstag vor dem Landgericht. Die frühere Fraktionsgeschäftsführerin Nina Fabricius beschrieb Osterburg als herrisch und aufbrausend. Die Stimmung im Fraktionsbüro sei unter ihm „sehr angespannt und zum Teil auch schrecklich“ gewesen.
Osterburg wird gewerbsmäßige Untreue teilweise in Tateinheit mit Betrug und Urkundenfälschung vorgeworfen. Laut Anklage soll er in den Jahren von 2015 bis 2019 private Ausgaben etwa für Restaurantbesuche oder Kinderbetreuung als Fraktionskosten abgerechnet und sich erstatten lassen haben. Angeklagt sind 121 Fälle mit einer Schadensumme von knapp 33 000 Euro.
Die Taten fallen in eine Zeit, als der 55-Jährige noch Lebensgefährte der damaligen Parteichefin und heutigen Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) war. Beide haben eine gemeinsame Tochter.
Fabricius erinnerte sich an Bestellungen von Harry-Potter-Kostümen oder einer Super-Nintendo-Spielekonsole, die von Osterburg über den Fraktions-Account bei Amazon getätigt worden seien. Während er bei den Kostümen eingeräumt habe, sie versehentlich über die Fraktion bestellt zu haben, habe er bei der Spielekonsole zunächst argumentiert, dass sie doch im Aufenthaltsraum der Fraktion genutzt werden könne. Schließlich habe er sie dann jedoch privat bezahlt.
Insgesamt sei es schwer gewesen, mit Osterburg über solche Abrechnungen zu sprechen. „Man wusste nie, wann er aus der Haut fährt“, sagte Fabricius. „Er hatte eine sehr einschüchternde Art. Und sein dominantes Wesen als Chef hat es mir nicht möglich gemacht, da weiter nachzufragen.“ Auch bei den stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden habe sie im Zusammenhang mit Osterburg kein offenes Ohr gefunden. „Parallel war ja auch die Parteivorsitzende seine Freundin. Das hat es auch nicht einfacher gemacht.“
Muja führte aus, dass die neue Fraktionsführung nach der Bezirkswahl 2019 schnell Auffälligkeiten bei der Finanzführung festgestellt habe. „Dabei ist uns erst einmal die Menge an Belegen aufgefallen, die wir ungewöhnlich fanden.“ Auch Mitglieder des neuen Vorstands seien von Osterburg als Bewirtungsgäste bei angeblichen Treffen aufgeführt worden, „von denen wir sicher waren, nicht teilgenommen zu haben“. Daraufhin habe man sich die Zeit genommen, alle Ordner mit Belegen zu sichten.
Dabei habe sich gezeigt, dass Osterburg „Unmengen“ an Kabeln und technischem Gerät bestellt und abgerechnet habe, „die man in den Räumlichkeiten der Fraktion gar nicht sinnvoll hätte verbauen können“, sagte Muja. Außerdem seien Mietwagen abgerechnet worden, was ebenfalls nicht der gängigen Praxis bei den Grünen entsprochen habe. Zudem gab es Zahlungen an einen Fraktionsmitarbeiter, die über Osterburg geflossen seien und deutlich über dem Üblichen gelegen hätten. Auch gebe ihm der Aufgabenbereich dieses Mitarbeiters bis heute Rätsel auf.
Schließlich habe sich die Fraktion anwaltlichen Beistand gesucht und versucht, mit Osterburg eine einvernehmliche Lösung zu finden. Dieser habe dann bei einem Treffen durch einen Anwalt Abbuchungsfehler in geringem Umfang einräumen lassen und eine Zahlung von 20 000 bis 25 000 Euro an die Fraktion angeboten, sagte Muja. Angesichts des Umfangs der Vorwürfe habe man dies jedoch für zu gering befunden und schließlich Strafanzeige erstattet. Anfänglich war von knapp 70 000 Euro die Rede, die Osterburg zu Unrecht von der Fraktion erstattet wurden.
Zwischenzeitlich habe Osterburg der Fraktion „drei oder vier“ Kisten mit Kabeln und Technikteilen sowie mehrere Geräte, darunter auch Apple-Rechner zukommen lassen, sagte Muja. Auf die Frage von Richter André Hienzsch, ob er sich erklären könne, warum sein Vorgänger so viel Technik für die Fraktion bestellt habe, sagte er: „Ich habe viel darüber nachgedacht, aber ich habe keine schlüssige Erklärung dafür.“
Im Raum stand auch die Vermutung, dass Osterburg sich nach seinem Ausscheiden aus der Politik als technischer Dienstleister betätigen wollte. Nach der Bezirkswahl 2019 habe er ihm einen Vertrag vorgelegt, in dem er eine technische Beratung und Betreuung der Fraktion angeboten habe, sagte Muja. „Solche Verträge hat er wohl auch anderen Bezirksfraktionen angeboten. Vielleicht hat er die Sachen so nutzen wollen.“