Kiel (dpa/lno). Bürgerbegehren gegen Infrastrukturvorhaben werden schwerer im Norden. Wegen der höheren Hürden bescheinigt die Opposition Schwarz-Grün Demokratieabbau. Politische Konsequenzen zeichnen sich ab.
Der Landtag in Kiel hat am Donnerstag nach kontroverser Debatte und gegen heftige Oppositionskritik mit der schwarz-grünen Mehrheit Änderungen am Kommunalrecht beschlossen. Dazu gehören Einschnitte bei Bürgerbegehren und eine Erhöhung der Mindestgröße von Fraktionen in Gemeindevertretungen und Kreistagen. Mit den Änderungen sollen der schwarz-grünen Koalition zufolge Baugenehmigungen für Infrastrukturprojekte wie Schulen, Krankenhäuser, Wohnhäuser und Windräder beschleunigt und Kommunen mehr Planungssicherheit bekommen.
Nunmehr werden solche Bürgerbegehren gegen Bauleitplanungen ausgeschlossen, für die in der Kommunalvertretung eine Zweidrittelmehrheit nötig war. Erneute Begehren gegen ein Vorhaben werden erst nach zwei Jahren möglich. Und Bürgerbegehren gegen einen Beschluss einer Kommunalvertretung müssen binnen drei Monaten folgen. Noch weitergehende Maßnahmen hatte Schwarz-Grün nach massiver Kritik aus den Plänen gestrichen. Die Opposition warf der Koalition in der Landtagsdebatte Demokratieabbau vor.
Kritiker befürchten infolge der Änderungen negative Folgen für Umwelt-, Natur- und Klimaschutz. Sie beklagen zudem einen Eingriff in die direkte Demokratie.
Der Landtag beschloss auch, dass in Kreistagen und in Gemeindevertretungen größerer Orte die Mindestgröße von Fraktionen von zwei auf drei Mitglieder angehoben wird. Aus der zunächst geplanten Optionsmöglichkeit hatten CDU und Grüne im Zuge der Beratungen eine Soll-Bestimmung gemacht.
Kai Dolgner von der SPD bescheinigte der Koalition, sie drehe nach dem Motto „Back to the Fifties“ („Zurück in die Fünfziger“) die Bürgerbeteiligung zurück. Gefühlte Wirklichkeit ersetze keine stichhaltige Begründung. Mit den Änderungen würden Bürgerentscheide gegen Bauleitplanungen in einem Drittel der Gemeinden abgeschafft. „Gemeinsam werden wir mit vielen Akteuren der Zivilgesellschaft und der SPD in einer Volksinitiative dafür kämpfen, den heutigen Beschluss wieder aufzuheben, damit dieser schwarze Tag für die Bürgerbeteiligung schnellstmöglich wieder Geschichte ist“, kündigte Dolgner an.
Der FDP-Politiker Bernd Buchholz warf der Koalition eine unnötige massive Einschränkung der Bürgerbeteiligung vor. Sie habe keinen empirischen Nachweis für die Notwendigkeit der Änderungen geliefert. Statt des erhofften Bürokratieabbaus gebe es Demokratieabbau. Buchholz plädierte dafür, die Änderungen vom Landesverfassungsgericht überprüfen zu lassen.
Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) sprach von einem ausgewogenen Gesetz. Im Hinblick auf die Änderungen bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden könne von einer Abschaffung der Demokratie keine Rede sein. „Das Element der unmittelbaren Demokratie auf kommunaler Ebene bleibt nach wie vor ein wichtiger Baustein - als Ergänzung des unser Gemeinwesen prägenden Repräsentationsmodells.“ Der Grüne Jan Kürschner machte deutlich, dass die Änderungen nicht von seiner Partei ausgingen. Bei der Fraktionsmindestgröße wären die Grünen für eine Kann-Regelung gewesen, aber die Kommunalverbände hätten es anders gewollt. Die Änderungen gingen nicht so weit, wie es die CDU gewünscht habe, sagte Kürschner. „Wir sind in einer Koalition, und dazu stehen wir eben auch.“ Raubbau an der Demokratie werde nicht betrieben.
„CDU und Grüne haben sich dazu entschieden, demokratische Errungenschaften aufgrund von gefühlten Wahrheiten und Empfindungen einzuschränken“, befand SSW-Fraktionschef Lars Harms. Das mache ihn fassungslos. Als erstes Bundesland drehe Schleswig-Holstein Bürgerrechte zurück und dies wegen Nichtigkeiten. „Die frühere Bürgerrechtspartei Bündnis90/Die Grünen schränkt hierzulande Bürgerbeteiligung ein und die CDU kämpft jetzt scheinbar für politische Einheitskultur“, wetterte Harms. „Und deswegen stelle ich fest, dass der Einsatz der Grünen für mehr Bürgerbeteiligung hier und jetzt sein Ende gefunden hat.“ Die Änderungen seien verfassungswidrig.
„Wir wollen wieder schneller werden“, sagte der CDU-Abgeordnete Thomas Jepsen. Nicht bewährte Regelungen würden korrigiert. Vorwürfe der Opposition seien übertrieben und gingen an der Realität vorbei. „Bürgerentscheide wird es auch weiterhin geben“, sagte Jepsen. Schwarz-Grün gehe einen Schritt in die richtige Richtung. Mit der neuen Mindestgröße für Fraktionen solle der zunehmenden Zersplitterung in Kommunalparlamenten begegnet werden.
Die Landesregierung habe sich auf einen Irrweg begeben, kritisierte die Bundesvorstandssprecherin des Vereins „Mehr Demokratie“, Claudine Nierth. „Die Angst vor der direkten Demokratie auf Gemeindeebene ist sachlich nicht begründbar.“ Künftig würden nur noch wenige Bürgerbegehren möglich sein. Die Regierung wolle die Beteiligung der Bürger an der Gemeinde- und Kreispolitik verhindern. Dies laufe dem bundesweiten Trend zum Ausbau der direkten Demokratie zuwider.
Bei 1100 Gemeinden gebe es im Schnitt nicht mehr als zwölf Bürgerentscheide pro Jahr, erläuterte Nierth. Die Landesregierung vergrößere die Kluft zwischen Bürgern und Politik. „Wer Schlichtungswege abschafft, schürt Konflikte.“