Hamburg. Chefredakteur Lars Haider und der ehemalige Uni-Präsident Dieter Lenzen sprechen in dieser Podcast-Folge über gesunde Ernährung.

In ihrem gemeinsamen Podcast „Wie jetzt?“ unterhalten sich Lars Haider und Dieter Lenzen über Themen, die Wissenschaft und Journalismus gleichermaßen bewegen. Heute geht es um die Frage, wie man Kinder dazu bringt, weniger Süßigkeiten zu essen, und ob das Verbot von Werbung dabei irgendwie helfen kann. Zu hören ist das komplette Gespräch unter www.abendblatt.de/podcast.

Lars Haider: „Der Landwirtschafts- und Verbraucherschutzminister Cem Özdemir hat die Idee, Werbung für Süßigkeiten, die sich an Kinder richtet, zu verbieten. Was halten Sie davon? Aus meiner Sicht ist das aus mehreren Gründen Quatsch; einer davon: Wenn man Werbung für Lebensmittel verbieten wollte, die ungesund sind, müsste man ganz schön viel verbieten …

Dieter Lenzen: „Was ich seltsam finde, ist, dass Cem Özdemir einerseits den Genuss von Cannabis genehmigen möchte, und andererseits den Genuss von Süßigkeiten kriminalisiert. Umgekehrt wäre das verständlicher. Ich glaube, wir müssen uns das Thema unter verschiedenen Gesichtspunkten anschauen.

Hat der Staat überhaupt das Recht, ist es legitim, Werbung für solche Produkte zu untersagen? Wären diese Verbote überhaupt das geeignete Mittel, um Kinder dazu zu bringen, weniger Süßes zu essen? Und sind sie notwendig beziehungsweise angemessen? Aus meiner Sicht: Nein.“

„Das Beispiel mit dem Cannabis ist sehr gut. Man könnte auch genauso gut Werbung für Fleisch verbieten, von dem die Deutschen seit Jahren viel zu viel essen, wenn man sich die entsprechenden Empfehlungen ansieht.

Werbung für Süßigkeiten zu verbieten ist aus meiner Sicht kein geeignetes und auch kein legitimes Mittel, im Zweifel führt dieses Verbot dazu, dass Kinder noch neugieriger auf die entsprechenden Produkte werden, als sie es ohnehin schon sind. Und nur weil die Werbung weg wäre, würden die Produkte weder aus den Supermarktregalen noch aus dem Küchenschrank verschwinden.“

„Man stelle sich vor, wenn Werbung für Schokolade nur noch nach 23 Uhr ausgestrahlt werden dürfte: Die Eltern gucken sozusagen Schoko-Pornos, das wäre völlig absurd, und das ist so etwas von weltfremd, dass ich mich frage, ob es eigentlich nur um symbolisches Handeln geht.

Es kommt noch etwas anderes dazu, wir kennen das aus den Debatten über Alkohol und Zigaretten: Die Steuereinnahmen aus dem Verkauf dieser ungesunden Genussmittel kassiert der Staat gern, auf die will er nicht verzichten. Das ist alles inkonsequent.“

„Haben Sie eine Erklärung dafür, dass ausgerechnet die Grünen mit solchen Ansagen ihrem Image als Verbotspartei immer wieder neue Nahrung geben, im wahrsten Sinne des Wortes?“

„Das Problem fängt damit an, dass so ein Thema wie Werbung für Süßigkeiten nicht in das Ministerium von Herrn Özdemir, sondern ins Bildungsministerium gehört. Es darf nicht um Verbote, es muss um Gesundheitserziehung gehen, um Aufklärung durch die Schulen und die Eltern. Ich habe Herrn Özdemir bisher für einen klugen Menschen gehalten, auf was der da reingefallen ist, ist schade.“

„Es geht noch weiter: Einerseits will die Regierung Werbung für Süßigkeiten, die sich an Kinder richtet, verbieten, andererseits lässt sie die Verbraucherinnen und Verbraucher im Supermarkt beim Einkaufen ziemlich allein.

Der Gründer der Organisation Foodwatch, Thilo Bode, schreibt in seinem aktuellen Buch „Der Supermarkt-Kompass“, dass Bürgerinnen und Bürger nicht feststellen können, wie gesund oder ungesund ein Lebensmittel ist, und wirft der Politik in diesem Bereich komplettes Versagen vor.“

„Es kommt die generelle Frage dazu, ob der Staat das Recht oder die Pflicht hat zu entscheiden, ob man gesund oder ungesund leben will.“

„Sie haben gerade darüber gesprochen, dass das Thema insgesamt eher in den Bereich der Bildung oder ins Elternhaus gehört. Eigentlich würde es doch reichen, wenn Eltern sich um die Ernährung ihrer Kinder kümmern würden, dafür braucht man in der Regel den Staat nicht.“

„Die Eltern haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass es ihrem Kind gut geht, und wenn ein übermäßiger Zuckergenuss dem entgegensteht, dann werden sie dieser Pflicht nicht gerecht. In diesem Sinn sind die Eltern die erste Adresse, und der Staat muss alles dafür tun, sie in die Lage zu versetzen, zwischen gesunden und ungesunden Lebensmitteln unterscheiden zu können.

Erst wenn das geschieht, erst wenn Eltern auch ohne Chemie-Studium erkennen können, woraus Lebensmitteln bestehen, die sie für sich und ihre Kinder kaufen, kann sich etwas verändern“

„Es gibt eine europaweit geltende Richtlinie, dass die Schrift über die Zutaten auf Lebensmitteln auf einer Verpackung mindestens 1,2 Millimeter groß sein muss. Ich kann das nicht lesen.“

„Es geht ihnen wahrscheinlich wie mir, wenn man im Supermarkt anfängt, die Liste mit den Zutaten zu lesen: Irgendwann verzweifelt man, weil man die meisten Ausdrücke nicht kennt und Zucker sich beispielsweise in irgendeinem anderen Wort versteckt, etwa Fructose.

Da muss der Staat ansetzen, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher die Möglichkeit haben, mündig zu entscheiden. Erst die Mündigkeit der Eltern kann zur Mündigkeit der Kinder führen.“

„Welche Rolle muss aus Ihrer Sicht in diesem Zusammenhang die Schule spielen?“

„Letztlich brauchen wir so etwas wie einen Gesundheitsunterricht, weil die Kinder nur dort etwas über das alltägliche Leben und so eine wichtige Frage wie die richtige Ernährung lernen können. Hier haben wir ganz klar ein Defizit.“

„Was mich auch an solchen Ansagen wie der von Cem Özdemir stört, ist, dass der Staat uns Bürgerinnen und Bürger immer öfter behandelt, als seien wir kleine Kinder, als wüssten wir nicht selbst, was zu tun ist. Und weil das so ist, besteht die Gefahr, dass Menschen verlernen, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen, und einfach darauf setzen, dass der Staat das schon für sie tun wird.

Mein Gefühl ist so oder so, dass der Staat uns Bürgerinnen und Bürgern immer weniger zutraut. Das beginnt bei dem Werbeverbot, über das wir gerade sprechen, betrifft aber auch Robert Habecks Ansagen, was Öl- und Gasheizungen beziehungsweise Wärmepumpen betrifft. In einem Unternehmen würde man Chefs, die solche Äußerungen machen, zur Seite nehmen und sagen: Vorsicht, ihr müsst die Leute mitnehmen, wenn ihr wirklich etwas verändern wollt.“

„Das hat etwas mit dem Politikertypus zu tun, den Demokratien hervorbringen. Leute wie Robert Habeck haben zwischen zwei Wahlen nur vier Jahre Zeit, Entscheidungen zu treffen, und müssen alles dafür tun, dass man die Folgen dieser Entscheidungen in dieser Zeit auch schon erkennt.

Das ist in vielen Fällen aber unmöglich, bei der Umstellung der Ernährung genauso wie bei der Umstellung der Energieversorgung. Ich würde gern noch eine andere Frage stellen.“

„Nämlich?“

„Wenn Zucker augenscheinlich in Deutschland so geliebt wird, warum ist das eigentlich so? Er macht das Leben schöner, das lässt sich nicht bestreiten.

Also haben wir in Deutschland offensichtlich ein Defizit an Schönem und Angenehmen, das man über diesen Weg, über Schokolade oder Eis oder was auch immer, ausgleichen muss.“

„Das ist ein interessantes Argument, weil es ja auch für den Genuss von Alkohol gilt.“

„Wilhelm Busch hat den schönen Satz geprägt: Wer Sorgen hat, hat auch Likör. Der Likör wird gesehen als Reaktion auf eine schwierige Lebenssituation. Das ist vielleicht extrem formuliert, aber beim Zucker ist es nicht viel anders. Er versüßt unangenehme Ereignisse…“

„Ihre These wäre also: Lieber Staat, sorge dafür, dass es deinen Menschen besser geht, dann brauchen sie weder so viel Süßigkeiten noch so viel Alkohol. Vielleicht wäre das auch für die Grünen mal ein neuer Ansatz, wenn sie damit begönnen, das Leben der Menschen einfacher und besser zu machen, als irgendetwas zu verbieten. So oder so ähnlich steht es auch im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung.“

„Dann wäre der Zucker nur noch ein Ersatz-Glück, das die Abwesenheit des wirklichen Glücks verdeckt.“