Hamburg. Kurzmitteilungen erleichtern die schnelle Kommunikation. Aber oft bleibt dabei gutes Benehmen auf der Strecke.
Wir sehen Menschen auf der Straße, die ihr Smartphone besser im Blick haben als die Bordsteinkante oder gar die rote Ampel. Es sitzen Pärchen im Café, die ihre Blicke bedauerlicherweise sehr gut voneinander, nicht aber vom Display in ihrer Hand lassen können. Und längst fragen wir uns, ob unser digitaler Begleiter zu Tisch links oder rechts neben den Teller gehört.
WhatsApp und Co.: Fast jeder schreibt Kurznachrichten per Smartphone
Der Anblick nervt. Zumindest all die, die ihr Smartphone gerade nicht in der Hand halten und sich mit ihrer Aufmerksamkeit tatsächlich im Hier und Jetzt befinden. Alle anderen sind irgendwo anders: In der WhatsApp-Familiengruppe, um das Sonntagsessen zu planen, in der Bürogruppe, um über den Chef zu lästern, in der Statusmeldung des Ex, um beim Anblick seiner Fotos mit der Neuen in Selbstmitleid zu zerfließen oder im Chat mit dem Kind, das sich vom Pausenhof aus über den falschen Käse auf dem Butterbrot beschwert.
Anstatt mit dem Menschen zu sprechen, der ihnen gegenübersitzt, kümmern sie sich unentwegt um diejenigen, die gerade von irgendwo wegen irgendwas ihre Aufmerksamkeit fordern. Das killt Kommunikation und benachteiligt Beziehungen – könnte man meinen. Doch gleichzeitig ist genau diese Tatsache, mit Menschen kommunizieren zu können, die gerade nicht neben uns sitzen, auch ein großer Vorteil. Wir können Kontakt halten, ohne lange Autofahrten in Kauf nehmen oder stundenlang telefonieren zu müssen. Wir können uns gegenseitig auf dem Laufenden halten und am Leben des anderen teilhaben, auch wenn wir uns über Wochen oder Monate weder hören noch sehen.
Zwar schwächen Text- und Sprachnachrichten langfristig unsere Kommunikationsfähigkeit – schließlich müssen wir nicht mehr wie in einem Gespräch direkt reagieren, sondern haben Zeit, uns unsere Worte zurechtzulegen. Aber wir können uns bemühen, auch via Messaging aufrichtig und anständig zu bleiben.
Sind Shortmessages eigentlich in jeder Situation erlaubt?
Ob eine Shortmessage angebracht ist, hängt davon ab, mit wem und in welcher Sache ich kommuniziere. Meinem Mann von unterwegs den Einkaufszettel via Shortmessage zu schicken, ist sicher in Ordnung. Überhaupt läuft viel private Kommunikation über Messengerdienste. Im Business-Kontext empfiehlt es sich aber, den seriösen Weg über die E-Mail zu wählen – nicht zuletzt aus rechtlichen und Datenschutzgründen. Wobei das Ankündigen einer Verspätung zum Termin auch mal knapp per Kurznachricht erfolgen darf. Insgesamt gilt: „Je besser ich jemanden kenne und je informeller das Thema, desto eher ,Ja‘ zur Shortmessage.“
Sind Satzzeichen bei Whatsapp & Co. wirklich wichtig?
Auf jeden Fall! Wer auf Satzzeichen verzichtet oder sie kreativ und zufällig verteilt, mutet dem anderen zu, lange über der Botschaft einer Nachricht zu brüten. Missverständnisse werden ja fast mutmaßlich provoziert. Wir alle kennen den Witz über die Nachricht im Gruppenchat „Wir grillen Opa kommt auch.“ Da sieht man mal, wie wichtig Kommas sind. Zudem wirkt es – genauso wie dauerhafte Kleinschreibung – oberflächlich und wenig sorgfältig.
Gibt es eine Empfehlung für die Länge von Kurznachrichten?
Keep it short and simple. Spätestens, sobald am Ende einer Nachricht der „Mehr lesen“-Hinweis zu erscheinen droht, sollten wir besser zum Telefon greifen. Auch mehrere Themen in einer Mitteilung zu kombinieren, ist eher ungeschickt. Kurznachrichten wurden nicht erfunden, um die Satzungsänderung des Sportvereins zu besprechen.
Soll der Hinweiston an oder aus gestellt werden?
Ich nenne das gerne den Status-Ping. Wie für den Klingelton gilt aber in Gesellschaft auch hier: Bitte sämtliche Hinweistöne ausschalten. Niemand sollte sich über eine hohe Nachrichtenfrequenz als vielgefragten Menschen darstellen. Unsere soziale Kompatibilität stellen wir vorteilhafter unter Beweis, wenn wir unser Smartphone in der Tasche belassen und uns voll und ganz auf die Live-Situation konzentrieren.
Wenn viele mitreden, wird es schon mal anstrengend
Ich finde Gruppenchats genauso praktisch wie nervenaufreibend. Für mich gibt es drei No-Go-Typen, die mir in Gruppenchats immer wieder begegnen. Vorneweg der Selbstdarsteller, der Geburtstagskindern nicht persönlich, sondern morgens vor 6 Uhr im Gruppenchat gratuliert. Das schreit förmlich nach „Seht alle her, ich habe als Erster dran gedacht! Und nun könnt ihr es mir alle nachtun!“ Überhaupt ist es der Sache nicht dienlich, Botschaften in Gruppen zu teilen, die nur für einen Einzigen relevant sind. Ein weiterer Typ ist der Immer-Antwortende.
Auf die Aufforderung „Bitte mal ‚Daumen hoch‘, wer heute Abend dabei ist“ folgt von ihm mit Sicherheit ein nicht erfragter ‚Daumen runter‘, oft sogar mit einer Erklärung, warum er nicht dabei sein kann. Das ist überflüssig und hält alle anderen unnötig auf. Und schließlich gibt es den „Mr. um den Brei herum“. Er antwortet niemals präzise, auch dann nicht, wenn jemand eine geschlossene Frage stellt. Oft kommt er nach einer langen Ausführung der eigenen Meinung zu gar keinem Ergebnis und lässt sogar offen, ob er zustimmt oder ablehnt. Aber mal ehrlich, der Ruf des ewig Komplizierten ist wenig erstrebenswert, oder?
Sind Emojis in Kurznachrichten aus Knigge-Sicht praktisch?
Im Business-Kontext haben sie nichts verloren, privat sind sie kaum noch wegzudenken. Mit Emojis können wir unsere Gefühle ausdrücken und sichergehen, dass Ironie auch als solche verstanden wird. Manchmal entschärfen sie niedlich und charmant einen strengen Unterton.
Es spricht überhaupt nichts dagegen, Emojis einzusetzen, solange wir drei Regeln beachten: Emojis in Maßen verwenden, denn je geringer ihr Anteil, desto seriöser wirkt unsere Nachricht. Außerdem müssen wir kulturell unterschiedliche Deutungen berücksichtigen. Während wir Mitteleuropäer ein „Okay“ durch das Emoji ausdrücken, das aus Zeigefinger und Daumen einen Kreis bildet („Taucher-Okay“), steht dieses Symbol in Brasilien und der Türkei für eine Beleidigung, in Argentinien bestellen wir damit einen kleinen Kaffee. Zu guter Letzt sollten wir niemals einen ganzen Satz durch ein einzelnes Emoticon ersetzen. Da ist die Gefahr eines Missverständnisses zu groß.
Gibt es auch für Sprachnachrichten einen Verhaltenskodex?
Manchmal bin ich geneigt, mir für die viereinhalbminütige Voicemail Stift und Papier zurechtzulegen. Viele Menschen leiden zeitweise unter waschechtem Logorrhö (zu Deutsch: Sprechdurchfall). Es ist leicht, sich mit einer Voicenachricht unbeliebt zu machen, indem wir zum Beispiel die erste halbe Minute damit vergeuden, laut zu überlegen, warum wir noch mal diese Nachricht aufnehmen und was wir überhaupt sagen wollten.
Unterhaltsam wird es anschließend, wenn wir vom Thema abschweifen – vom Wetter über die verbrannte Tiefkühlpizza bis zur katastrophalen Krawattenwahl von Onkel Horst auf der letzten Familienfeier. Wenn wir Voicenachrichten aber als sinnvolles Kommunikationstool einsetzen und unser sorgsam aufgebautes Image eines guten Gesprächspartners nicht aufs Spiel setzen möchten, sollten wir konkret und präzise formulieren, im Vorfeld überlegen, was wir sagen möchten und während des Aufnehmens nicht abgelenkt sein.
Ob Shortmessages nun Freund oder Feind eines guten Miteinanders sind, liegt schlussendlich daran, wie wir unsere digitalen Gespräche führen. Manchmal kann für einen guten Ton an der Tastatur auch der gute alte Brief ein Vorbild sein. Da waren eine Begrüßung zu Beginn und ein Gruß zum Abschluss schließlich selbstverständlich. Und wie wäre es jetzt passend zur Erinnerung an die analoge Zeit mit einer kleinen Shortmessage-Praxisübung? Nehmen Sie Ihr Smartphone, schreiben Sie einem Ihrer Kontakte und verabreden Sie sich zum Kaffee mit netter Plauderei. Denn sind wir ganz ehrlich, wird kein noch so aufrichtiger Chat jemals das Lächeln ersetzen, das Ihnen live und in Farbe entgegenstrahlt.
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