Kiel (dpa/lno). Große Betroffenheit, Forderungen nach Konsequenzen, Kritik in diverse Richtungen - der tödliche Messerangriff in einem Regionalzug beschäftigt auch vier Wochen nach der Tat den Landtag intensiv. Besonders im Fokus steht auch die Bundesinnenministerin.
In großer Ernsthaftigkeit hat der Landtag in Kiel am Mittwoch über Konsequenzen aus der tödlichen Messerattacke in einem Regionalzug bei Brokstedt diskutiert. In einer Aktuellen Stunde wurden parteienübergreifend eine bessere Kommunikation zwischen Behörden und zügigere Verfahren zur Abschiebung ausländischer Straftäter gefordert. Einigkeit bestand darin, dass auch ohne die zwischenzeitlich bekanntgewordenen Kommunikationspannen die Tat aller Wahrscheinlichkeit nach nicht hätte verhindert werden können.
Der Palästinenser Ibrahim A. soll am 25. Januar in einem Zug von Kiel nach Hamburg Fahrgäste mit einem Messer angegriffen und zwei junge Menschen getötet haben. Fünf weitere wurden verletzt. Erst wenige Tage zuvor war der Mann aus der Untersuchungshaft in Hamburg entlassen worden. „Es hätte quasi jeden von uns treffen können“, sagte FDP-Fraktionschef Christopher Vogt. Das Risiko für eine solche Tat müsse verringert werden, forderte Niclas Dürbrook von der SPD.
Die Aufarbeitung erbrachte klare Mängel im Informationsaustausch zwischen Behörden in Hamburg, Kiel und Nordrhein-Westfalen, wo Ibrahim A. jeweils gelebt und auch Straftaten begangen hatte.
Die Regierung wolle die Sicherheit im Nahverkehr, die Gewaltprävention, den Zugriff der Behörden auf Informationen und das Übergangsmanagement nach Haftentlassungen verbessern, sagte Integrationsministerin Aminata Touré (Grüne). Zudem sollten Beschleunigungsmöglichkeiten in Strafverfahren genutzt und Menschen schneller zurückgeführt werden, die schwere Straftaten begangen haben. „Die Tat hat uns auf furchtbarste Weise gezeigt, wo wir als Staat in Zusammenarbeit mit anderen Bundesländern, im behördlichen Zusammenarbeiten schlichtweg besser werden müssen.“
Touré widersprach der Aussage von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), bei besserer Behördenkommunikation hätte Ibrahim A. abgeschoben werden können. „Leider müssen wir feststellen, dass selbst im Falle einer besseren Zusammenarbeit die Ausweisung nicht hätte erfolgen können“, sagte sie. „Der Täter hatte einen subsidiären Schutzstatus und damit einen erhöhten Ausweisungsschutz; eine Ausweisung vor dem 25. Januar 2023 war daher nicht möglich.“
Touré verwies auch auf lange Verfahrensdauern. Und: „Es hätte außerdem ein aufnahmebereiter Staat gefunden werden müssen, weil die Staatsangehörigkeit des Täters ungeklärt war.“ Allen klar sei aber, dass Straftäter schnell zurückgeführt werden müssten, nachdem sie ihre Strafe verbüßt hätten.
Touré zufolge sind in Deutschland 304.000 Menschen ausreisepflichtig, in Schleswig-Holstein 12.400. Bei 10.730 davon sei eine Rückführung nicht möglich. Zu den Gründen gehörten die Sicherheitslage im Herkunftsland und das Fehlen von Ausweisdokumenten. Zudem gebe es Herkunftsländer, die nicht kooperierten; hier seien Bund und EU gefordert.
Die Bundesinnenministerin habe den Anschein erweckt, die Tat hätte verhindert werden können, kritisierte CDU-Fraktionschef Tobias Koch. „Das ist wirklich ein Hohn für die Hinterbliebenen der Toten und für die Verletzten.“ Für Faesers Aussage, Ibrahim A. hätte abgeschoben werden können, wären keine Behördenfehler aufgetreten, gebe es nicht den geringsten Anhaltspunkt.
Koch kritisierte Kommunikationsmängel von Behörden in Hamburg und Kiel. Er forderte von der Hamburger Justizbehörde eine „deutlich stärker ausgeprägte Fehlerkultur, verbunden mit der Fähigkeit zur Selbstkritik“.
Behördenversagen habe es auf allen Ebenen gegeben, sagte FDP-Innenexperte Bernd Buchholz. Es sei beschämend zu behaupten, man habe alles richtig gemacht und die Fehler seien woanders geschehen. Buchholz forderte Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) zu einem konsequenten Rückführungsmanagement auf. Wer keine Bleibeperspektive habe und kriminell geworden sei, müsse das Land verlassen, verlangte FDP-Fraktionschef Vogt.
Auch ohne die begangenen Fehler hätte man die Tat nicht verhindern können, sagte Grünen-Fraktionschef Lasse Petersdotter. Auch er wies Faesers Aussage zurück, bei früherer Information hätte Ibrahim A. abgeschoben werden können. Eine Rückführung in die palästinensischen Gebiete gelinge ausgesprochen selten.
„Wir sprechen hier nicht über einen Unfall infolge von menschlichem Versagen, sondern über ein Verbrechen mit ganz klarer Verantwortlichkeit, vollkommen unabhängig davon, was zuvor passiert ist“, betonte der SPD-Politiker Dürbrook. Kommunikationspannen in Behörden lägen auch an Überlastung und fehlenden Ressourcen. Haftentlassene in Obdachlosigkeit zu schicken sei schon aus Sicherheitsgründen falsch.
Hilfe bei Wohnungssuche und psychologische Betreuung forderte auch SSW-Fraktionschef Lars Harms. Die Menschen dürften nicht allein gelassen werden. Es gebe auch viel zu wenige Rückführungsabkommen mit anderen Staaten, kritisierte Harms.