Hamburg/Gaziantep. Nora Parasie aus Eimsbüttel ist ehrenamtlich im Krisengebiet in der Türkei im Einsatz. Die Lage sei sehr „sehr beunruhigend“.
Normalerweise würde sie jetzt unterrichten. Englisch und Deutsch an der Grundschule Rellinger Straße in Eimsbüttel. Doch die Nachricht hat alles auf den Kopf gestellt. Die Alarmierung der gemeinnützigen Hilfsorganisation Humedica erreichte sie per SMS und per E-Mail. Und da hieß es, dass dringend erfahrende Helfer für die Türkei gesucht werden, die dort nach dem großen Erdbeben mit anpacken können.
Eigentlich würde es passen, dachte Parasie, die seit mehreren Jahren ehrenamtlich für Humedica als Koordinatorin tätig ist. Dennoch zögerte sie mit der Antwort.
Hamburger Lehrerin war schon mehrfach in Krisengebieten unterwegs
Zwar war sie schon mehrfach in Krisengebieten unterwegs, etwa in Haiti, in Äthiopien und im Libanon. Aber die Einsätze bisher waren entweder nur tageweise oder fanden in den Schulferien statt. Aber dieses Mal wäre es im laufenden Schulbetrieb. Und so wartete sie erst mal, ob sich andere Freiwillige finden würden.
Am vergangenen Freitag folgte dann die zweite Alarmierung von Humedica. Und die klang noch dringender. So sprach Parasie dann doch mit der Schulleitung, und schnell war klar: Sie befürwortet Parasies Einsatz. Schließlich gibt auch die Schulbehörde ihr Okay, und Nora Parasie bekommt zwei Wochen Sonderurlaub.
Hamburgerin im Krisengebiet: „Man kann sich nicht wirklich darauf vorbereiten"
Seit Sonntag ist sie nun mit einem siebenköpfigen Team vor Ort. Vier Ärzte, eine Pflegekraft und zwei Koordinatoren. Parasie erinnert sich an die Anreise: „Wir sind in Adana gelandet, und dort fanden wir ein ganz normales Leben vor.“ Mit dem Auto ging es weiter Richtung Gaziantep, das im Epizentrum des Erdbebens liegt. „Und mit jedem Meter verließen wir die geordnete Welt. Mit jedem Meter nahmen die Verwüstung und das Leid zu.“
Parasie sagt: „Man kann sich nicht wirklich darauf vorbereiten. Man sieht zwar die Bilder im Fernsehen, aber die Zerstörung mit eigenen Augen zu sehen, ist etwas ganz anderes.“ Sie und ihr Team arbeiten in einem Zeltdorf für 6000 Menschen, die durch das Erdbeben obdachlos geworden sind. „Wir sind derzeit in Phase zwei“, erklärt Parasie. „Das bedeutet, dass die erste Hilfe weitestgehend abgeschlossen ist und es jetzt um die Nachsorge geht und darum, die medizinische Basisversorgung sicherzustellen.“
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Hamburgerin über Lage im Krisengebiet: „sehr beunruhigend“
Als Koordination schafft Parasie die Rahmenbedingungen dafür, dass das auch möglich ist. Das heißt: Sie organisiert Dolmetscher, Fahrzeuge, klärt Zollfragen, besorgt Arbeitserlaubnisse und vieles mehr. „Weiter kommuniziere ich mit den Akteuren vor Ort, damit alles aufeinander abgestimmt ist.“
Die Lage in der Zeltstadt sei derzeit „sehr beunruhigend“, sagt Parasie, die seit zwölf Jahren in Hamburg lebt. „Die sanitären Anlagen sind kaum noch nutzbar, und die Trinkwasseraufbereitung funktioniert auch nicht richtig.“ Zustände, die schnell gefährlich werden können. „Wir müssen hier mit Infektionen und weiteren Krankheiten rechnen.“
Wie sie mit Einsätzen wie diesen mental umgeht, mit den persönlichen Schicksalen und dem Leid? „Es ist wichtig, dass wir uns abends im Team Zeit nehmen, um das Erlebte zu verarbeiten“, sagt Parasie. „Aber grundsätzlich überwiegt bei mir das Gefühl der Dankbarkeit, dass ich hier sein und helfen darf. Das empfinde ich als Privileg.“