Kiel (dpa/lno). Gibt es im Norden einen großen Aufschlag für eine zukunftsfeste Entwicklung der Industrie? Die SPD fordert das und will die Landesregierung in die Pflicht nehmen. Die zuständige Gewerkschaft sieht das genauso.
Schleswig-Holstein muss den ökologischen Umbau der Wirtschaft aus SPD-Sicht mit kräftigen Investitionen und mehr Personal vorantreiben. Erforderlich sei eine neue Struktur- und Industriepolitik, heißt es in einem Landtagsantrag, den Fraktionschef Thomas Losse-Müller am Mittwoch vorstellte. Das Land müsse den Prozess mit einem Mix aus Ordnungsrecht, finanziellen Anreizen und öffentlichen Investitionen begleiten. Der Druck sei wegen der hohen Energiepreise infolge des Ukraine-Kriegs und der Subventionen in den USA viel größer geworden.
Damit haben sich aus Sicht Losse-Müllers die Rahmenbedingungen zu Ungunsten von Deutschland verschoben. „Das ist besorgniserregend, weil die Industrie mit 140 000 Beschäftigten und über elf Milliarden Euro an Wertschöpfung ein entscheidender Wirtschaftsfaktor für unser Land ist.“ Es müsse dringend darüber geredet werden, dass Wertschöpfungen und Arbeitsplätze im Land bedroht seien. Alle Pläne müssten beschleunigt werden. Allein die Chemieindustrie im Norden beschäftige 18 000 Menschen; die Pharmabranche dazu noch einmal 11 000.
In bisherigen Planungen habe man für die Transformation hin zu einer grünen Chemieindustrie in Zeiträumen von 10 bis 15 Jahren gedacht, sagte Losse-Müller unter Hinweis auf den Chemiestandort Brunsbüttel mit seinen Tausenden Arbeitsplätzen. Die damit verbundenen Pilotprojekte seien jetzt bedroht. Die hohen Energiepreise verunsicherten die Chemieindustrie.
Ob der Norden bis 2040 ein starkes klimaneutrales Industrieland wird, entscheide sich in den nächsten Monaten, heißt es in dem SPD-Antrag. Schon das Projekt der geplanten Batteriezellenfabrik von Northvolt beanspruche die Kräfte des Landes über die Belastungsgrenze hinaus. Alle bisherigen Annahmen und Strategieansätze seien überholt und müssten angepasst werden.
Die Landesregierung müsse den Ausbau erneuerbarer Energien sowie den Aufbau von Wasserstoffproduktion und -infrastruktur voranbringen, verlangt die SPD. Erforderlich sei neues Planungspersonal, gebündelt in einer Investitions-Agentur nach dänischem Vorbild. Zudem seien neue Wertschöpfungsketten am Chemie-Standort an der Westküste zu unterstützen und Lücken durch gezielte Ansiedlungen zu schließen. Der Ausbau der dortigen Infrastruktur dürfe nicht von festen Zusagen für Ansiedlungen abhängig gemacht werden. Für Deutschlands Energieimporte sollte Schleswig-Holstein zentrale Drehscheibe werden.
Das Land müsse gemeinsam mit den Unternehmen eine abgestimmte Ansiedlungsstrategie auf den Weg bringen, sagte Losse-Müller. „Wir brauchen eine sehr viel größere Kümmererstruktur.“
Die SPD sei angesichts der Größe der Aufgaben absolut bereit, eine parteienübergreifende Allianz zu bilden, sagte der SPD-Fraktionschef. Dafür müsse sich aber die Landesregierung dazu bekennen, dass sie eine eigene Rolle habe und Geld in die Hand nehmen wolle. „Das ist eine Aufgabe der gesamten Landesregierung.“
Die Beschäftigungs- und Standortsicherung sei eine Aufgabe aller politischen und gesellschaftlichen Gruppen, bekräftigte der Bezirksleiter der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie, Andreas Suß. „Wir brauchen Tempo, Tempo, Tempo.“ Die Arbeitgeber seien auf die Gewerkschaft mit dem Angebot zugekommen, hier gemeinsam voranzugehen. „Das machen wir gerne“, sagte Suß. Das momentan verhaltene Auftragsvolumen und die hohen Energiepreise seien Alarmzeichen für den Standort und die Beschäftigung. „Wir haben uns zu kümmern, gemeinsam mit den Arbeitgebern.“ Zudem müssten Land, Bund und EU ihre Hausaufgaben machen.
Bekomme man die Energiepreise nicht in den Griff, drohten Produktionseinstellungen in Brunsbüttel und Arbeitsplätze seien gefährdet, sagte Suß. Erforderlich sei eine aktive Landespolitik, die konzeptionell und mit Eigeninitiative unterwegs sei und Unternehmen, Verbände und Gewerkschaften zusammenbringe, um Konzepte zu entwickeln und den Standort zu sichern. „Das muss zusammenlaufen in der Staatskanzlei.“ Dies alles könne der Markt nicht allein regeln.
Es gehe auch um die weitere Infrastruktur, um Straßen, um die A20, die Elbquerung, die Gewinnung von Fachkräften, um Bahnanschlüsse an der Westküste, Kitas und Wohnungen. Hier sei das Land in der Pflicht.