Hamburg. Klavierbauerin Yvonne Trübger spricht über die Entwicklung ihres Stadtteils, Musikunterricht und die Zukunft ihres Berufs.

Das Schanzenviertel ist bekannt für seine Bars, Restaurants, die Rote Flora – und für Klaviere. Mitten in Hamburgs alternativem Stadtteil hat seit anderthalb Jahrhunderten ein Unternehmen seinen Sitz, das man eher in bürgerlichen Regionen erwarten würde.

In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ geht es um die lange Geschichte des Pianohauses Trübger, um E-Pianos, die man mieten kann, und um die Suche nach der richtigen Klavierlehrerin. Zu Gast ist Inhaber­ Yvonne Trübger, zu hören ist das komplette Gespräch unter www.abendblatt.de/entscheider.

Das sagt Pianohaus-Eigentümerin Yvonne Trübger über …

… das Schanzenviertel, das früher das Viertel der Klavierbauer war:

„Das Schanzenviertel war 1872, als mein Urgroßvater das Unternehmen gegründet hat, richtig bürgerlich. Damals gab es hier mindestens 30 bis 40 Firmen, die Klaviere hergestellt haben, wenn man als Klaviermacher, so hieß die Zunft damals, etwas gelten wollte, war man im Schanzenviertel. Wir sind die Einzigen, die aus dieser Zeit übrig geblieben sind, und deshalb haben wir nach wie vor hier unseren Firmensitz. 1872 bis 1906 waren wir in der Altonaer Straße, dann hat mein Urgroßvater das Unternehmen in die Schanzenstraße übergeführt, wo wir bis heute zu finden sind.“

… schwierige Zeiten im Schanzenviertel und eine richtige Entscheidung:

„Es gab tatsächlich Zeiten, in denen wir uns überlegt hatten wegzuziehen. In den 90er-Jahren hatten wir leider den einen oder anderen Baggerstein im Schaufenster, einmal sogar in einem Flügel, was mich besonders geschmerzt hat. In den 2000er-Jahren hatten wir dann ein großes Drogenproblem im Schanzenviertel, unter dem wir gelitten haben, weil Kunden sich nicht mehr getraut haben, zu uns zu kommen. Morgens mussten wir erst mal die Spritzen aus dem Eingang fegen. Das war eine sehr herausfordernde Zeit, in der wir nicht wussten, wie lange wir es uns leisten können, noch in der Schanze zu bleiben. Damals habe ich mich auch in anderen Teilen Hamburgs nach Flächen umgesehen, aber nichts Passendes beziehungsweise Bezahlbares gefunden. Wir sind geblieben, und das war aus der heutigen Sicht eine gute Entscheidung. Wir sind voll akzeptiert als eine Institution im Viertel, wir sind nicht ein Teil der Gentrifizierung, uns gibt es immerhin schon 150 Jahre.“

… Klaviere mit Kopfhörern:

„Das Silent-Piano ist das Klavier, das wir am meisten verkaufen oder vermieten, und zwar zu 80 Prozent. Es ist ein richtiges Klavier, das man sowohl ganz normal, aber auch über Kopfhörer hören kann, wohlgemerkt mit dem authentischen Tastenanschlag. Ein Einsteigerklavier mit Silent-Funktion gibt es ab etwa 6000 Euro, ohne die Funktion kann man ein Klavier schon ab 4000 Euro kaufen.“

… Klaviere zum Mieten:

„Viele Kunden mieten ihr Klavier erst einmal mit der Möglichkeit, es dann irgendwann doch zu kaufen. Zurzeit haben wir mehr als 600 Mietklaviere in Hamburg, die bespielt werden, das kostet ab 50 Euro im Monat, und es gibt tatsächlich Menschen, die Klaviere ihr Leben lang mieten. Wobei wir die Kunden nach der Mindestmietzeit schon daran erinnern, dass die Miete allmählich unrentabel wird.“

… die Lebensdauer eines Klaviers:

„Ein Klavier hält ungefähr 60 bis 70 Jahre lang, und es wird anders als ein Streichinstrument mit den Jahren nicht wertvoller, weil es aus 13.000 Verschleißteilen besteht, die einem Alterungsprozess unterliegen.“

… Klavierlehrer und Klavierlehrerin:

„Ich halte von Youtube oder anderen Tutorials nur bedingt etwas, die sind gut als Motivation und zur Unterstützung, mehr aber nicht. Der Klavierlehrer als Korrektiv ist unverzichtbar. Meine Klavierlehrerin war für mich viel mehr, sie war auch Psychologin und Philosophin. Das Geheimnis ist, den Richtigen zu finden, die Chemie muss stimmen, und beide müssen Spaß haben. Darum geht es, die wenigsten Schülerinnen und Schüler wollen ja auf einer Bühne auftreten. Wir kennen im Raum Hamburg zwischen 600 und 800 Klavierlehrerinnen und Klavierlehrer, eine Stunde kostet etwa 40 bis 60 Euro. Ich würde übrigens empfehlen, zum Unterricht zu den Klavierlehrern zu gehen, das hat etwas mit Respekt zu tun, und außerdem spielt man dann nicht selten an einem Flügel oder an einem besonderen Klavier.“

… den Beruf des Klavierbauers:

„Es gibt leider viel zu wenige Menschen, die noch Klavierbauer lernen, Dabei hat der Beruf so viel Potenzial, und wir suchen händeringend welche.“

Der Fragebogen: Wobei Kickboxen hilft

Was wollten Sie als Kind werden und warum?

Ich wollte schon immer das werden, was ich geworden bin: Klavierbauerin. Mit zehn Jahren hatte ich schon meine erste eigene Hobelbank, weil mein Vater es leid war, dass ich ihm ständig seine Werkzeuge entwendete und stumpf in den Schrank zurücklegte.

Was war der beste Rat Ihrer Eltern?

Meine Eltern haben mir früh einen sehr wichtigen Rat mitgegeben, der mich bis heute jeden Tag begleitet und nach dem ich lebe: Egal, was du tust, aber mach es mit Freude und Herzblut.

Wer war oder ist Ihr Vorbild?

Mein Vater war ein prägendes Vorbild, der mir immer vermittelt hat, dass man alles schaffen kann, wenn man es nur will. Wir haben oft auch kontrovers diskutiert, und so lernte ich früh, mir gute Argumente zu überlegen, damit ich meine Ideen, die bei meinem Vater nicht immer alle auf Zuspruch stießen, möglichst erfolgreich durchsetzen konnte. Auch mein Italienischlehrer war eines meiner mentalen Vorbilder – er war ein sehr weiser Philosoph, der mich so viel mehr als nur das Verständnis der Sprache gelehrt hat.

Was haben Ihre Lehrer/Professoren über Sie gesagt?

Neben der Tatsache, dass meine Klavierlehrerin so viel mehr Potenzial in mir sah als ich und sie mich daher oft als zu faul an den Tasten tadelte, wurde mir ansonsten Talent, Kreativität und Durchhaltevermögen attestiert.

Wann und warum haben Sie sich für den Beruf entschieden, den Sie heute ausüben?

Ich habe mich eigentlich schon mit 16 Jahren, noch vor dem Abitur entschieden, dass ich das Familienunternehmen übernehmen möchte. Na klar gab es auch noch andere Optionen, aber ich fühlte mich immer sehr stark mit der Familientradition unseres Unternehmens verbunden – es hätte mir das Herz gebrochen, diese nicht fortzuführen.

Wer waren Ihre wichtigsten Förderer?

Meine wichtigsten Förderer waren meine Eltern. Sie haben mich immer in allem unterstützt, was mir wichtig war, und ich habe es ihnen zu verdanken, dass ich in meiner Jugend viel ausprobieren durfte, um herauszufinden, wo meine Vorlieben und Stärken liegen. Vor allem habe ich meinen Eltern mein Urvertrauen zu verdanken, das mich durch alle Situationen trägt, auch wenn mal unangenehmer Gegenwind im Anmarsch ist.

Auf wen hören Sie?

Nach Abwägung aller sachlichen Argumente höre ich maßgeblich auf mein Bauchgefühl, das hat mich noch nie betrogen. Dann gibt es noch ein oder zwei wichtige Menschen in meinem Leben, deren Sichtweise mir sehr viel wert ist und denen ich vertraue.

Was sind Eigenschaften, die Sie an Ihren Chefs bewundert haben?

Ich hatte in meinem Leben nur drei Chefs. Zwei davon waren in meinen Ausbildungen, und der dritte war mein Vater im eigenen Unternehmen. Er hat die schwierige Aufgabe, Vater und Chef zugleich zu sein, sehr fair und vorbildlich gelöst. Ich hatte zunächst meine Bedenken, wie das wohl werden würde – aber er hat mich wie jeden anderen Mitarbeiter auch behandelt. Ich fing bei uns in der Werkstatt an und durchlief dann alle Abteilungen, um mir das nötige Know-how anzueignen. Es gab keine „Extrawürste“, im Gegenteil, und ich habe gelernt, dass man sich die Dinge erarbeiten muss. Mich hat immer beeindruckt, wenn mir die Werte des Unternehmens durch die Eigenschaften, die der Chef vermittelt, vorgelebt wurden. Nur dann sind Werte für mich authentisch, nachvollziehbar, lebbar und regen zur Nachahmung und Weiterentwicklung an.

Was sollte man als Chefin auf keinen Fall tun?

Ich möchte es gerne positiv formulieren. Man sollte als Chef oder Chefin auf alle Fälle transparent in seinen Entscheidungen sein, verlässlich, nachvollziehbar in seinen Handlungen, möglichst immer für die Belange der Mitarbeiter ansprechbar sein und ein Vorbild in den Werten, die man selbst in der Kommunikation und im vertrauensvollen Umgang miteinander auf Augenhöhe erwartet und schätzt.

Was sind die Prinzipien Ihres Führungsstils?

Vertrauen, Leidenschaft für die Sache, genug Freiheit und Freiraum für eigene Ideen und Kreativität zu schaffen, damit ein eigenverantwortliches Handeln möglich wie auch erwünscht ist.

Wie wichtig war/ist Ihnen Geld?

Geld ist für mich nie ein Antrieb gewesen. Der Unternehmenserfolg ist für mich nicht in erster Linie monetär zu messen, sondern er hat etwas mit persönlicher Erfolgsgeschichte zu tun, wenn man für seine Sache brennt und die eigenen Ziele erreicht. Für mich ist das bis heute der Motivator und meine persönliche Herzensangelegenheit – und gleichzeitig ist es angenehm, wenn man sich mit monetären Mitteln Wünsche erfüllen kann, die das Leben nachhaltig bereichern.

Was erwarten Sie von Mitarbeitern?

Absolute Identifikation mit den Unternehmenswerten. Es ist für mich das erste Gebot, dass sich jeder Mitarbeiter individuell und zuvorkommend auf die persönlichen Bedürfnisse eines jeden Kunden einstellen kann, so wie man es von einem Familienunternehmen erwarten darf. Unser Ziel ist es, dass unsere Kunden sich wie Freunde des Hauses fühlen, denn wir pflegen unsere Kundenkontakte oft über mehrere Generationen. Ich erwarte Engagement, manchmal auch über die normale Arbeitszeit hinaus, denn wir haben viele Abendveranstaltungen und Hauskonzerte im Hause, die wir hoffentlich jetzt auch langsam wieder intensivieren können.

Worauf achten Sie bei Bewerbungen?

Bei schriftlichen Bewerbungen ist für mich die Form ebenso wichtig wie die beschriebene Professionalität bei der Arbeit. Beim Vorstellungsgespräch ist für mich Authentizität, Leidenschaft für den Beruf, die Kultur und die Musik, das Erscheinungsbild, Eloquenz und Sympathie entscheidend.

Was sind Ihre größten Stärken?

Fairness, Durchhaltevermögen, Vision und Optimismus. In schwierigen Situationen und Krisen bin ich sachlich und fokussiert. Verlässlichkeit und Authentizität sind mir sehr wichtig, ebenso ist Empathie und Einfühlungsvermögen eine große Stärke von mir.

Was sind Ihre größten Schwächen?

Eine Schwäche ist die Ungeduld mir selbst gegenüber, anderen Menschen gegenüber habe ich dafür umso mehr Geduld.

Welchen anderen Entscheider würden Sie gern näher kennenlernen?

Die Queen, Gott hab sie selig.

Was hätten Sie sie gefragt?

Wie haben Sie es geschafft, Ihr privates Leben so sehr hinter den Dienst Ihrer royalen, beruflichen Verpflichtungen zu stellen und trotzdem Sie selbst zu bleiben?

Was denken Sie über Betriebsräte?

Da wir ein so kleines Unternehmen sind, mussten wir uns nie mit Betriebsräten auseinandersetzen. Aber ich habe auch schon in großen Unternehmen gearbeitet, in denen Betriebsräte eine wichtige Rolle spielten. Für mich wäre wichtig, dass der Betriebsrat die Interessen der Mitarbeiter und gleichzeitig die Ziele des Unternehmens zusammen mit der Unternehmensführung in Einklang bringt.

Wann haben Sie zuletzt einen Fehler gemacht?

Ich habe bei einer Entscheidung mein klares Bauchgefühl missachtet, das mir von Anfang an ein Warnsignal übermittelte. Das Resultat sind ein unterschlagenes Digitalpiano­ und untergetauchter Kunde.

Wie gehen Sie mit Stress um?

Durchatmen, Reflexion, Meditieren, Durchhaltevermögen – und neu ausrichten. Kickboxen hilft mir auch dabei, den Körper wieder in die Balance zu bringen.

Und zum Schluss: Was wollten Sie immer schon mal sagen?

Kultur erfährt weder von der Politik noch von der Gesellschaft genug Wertschätzung. Es muss endlich im Denken der Bevölkerung ankommen, dass Kultur nicht umsonst sein darf und als Stellenwert in der Bildung deutlich höher angesiedelt wird. In der Schule fällt oft zuerst der Musikunterricht aus – aber eine Gesellschaft ohne Kultur wäre mental und emotional absolut verarmt.