Hamburg (dpa/lno). Noch nie ist die Zahl der Schülerinnen und Schüler an Hamburgs Schulen so stark gestiegen wie derzeit. Der Flüchtlingszustrom stellt das ohnehin wachsende Schulsystem vor Herausforderungen - und könnte es an seine Grenzen bringen, wie der Schulsenator befürchtet.
Vor dem Hintergrund des Flüchtlingszustroms aus der Ukraine haben Hamburgs Schulen im laufenden Schuljahr mit zusätzlich 7490 Schülerinnen und Schülern so viele Neuzugänge verzeichnet wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen in den 1960er Jahren. Schulsenator Ties Rabe (SPD) sprach am Dienstag bei der Vorlage der Schuljahresstatistik von einem „historischen Schülerzuwachs“. „Das entspricht der Schülerzahl der gesamten Elbinsel Wilhelmsburg/Veddel oder sämtlicher Elbvororte von Rissen über Blankenese bis Nienstedten und Flottbek.“
Insgesamt besuchen aktuell rund 259.000 Schülerinnen und Schüler die allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen in Hamburg. Auch das ist laut Schulbehörde ein neuer Höchststand.
Das Hamburger Schulsystem sei auf ein deutliches Schülerwachstum eingestellt, sagte Rabe. „Aber angesichts einer Vervierfachung des jahresüblichen Zuwachses in nur einem Jahr stößt das Schulsystem langsam an seine Grenzen.“ Der Zuwachs entspreche rund 350 zusätzlichen Klassen. „Dafür mussten die Schulen rund 400 zusätzliche Klassenräume und bis zu 600 zusätzliche Pädagogen bereitstellen.“
Und der Anstieg der Schülerzahlen halte weiter an. „Allein in den fünf Monaten nach dem Erhebungszeitpunkt der Schuljahresstatistik im September sind weitere rund 940 Schülerinnen und Schüler mit Fluchthintergrund dazugekommen“, sagte der Senator. Der Anteil der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in den Klassen eins bis zehn stieg laut Statistik von 51,8 auf aktuell 53,0 Prozent; der Anteil derjenigen, bei denen zu Hause überwiegend kein Deutsch gesprochen wird, von 28,8 im vorherigen Schuljahr auf aktuell 31,4 Prozent.
Derzeit würden rund 7600 Schülerinnen und Schüler an den staatlichen allgemein- und berufsbildenden Schulen sogenannte Flüchtlingsklassen besuchen, um sich auf einen Wechsel in Regelklassen vorzubereiten, der in der Regel nach einem Jahr erfolge. Solche Flüchtlingsklassen gebe es an 58 Grundschulen, 55 Stadtteilschulen, 51 Gymnasien sowie an drei Sonderschulen, sagte Rabe.
Die Klassengrößen hätten sich trotz des Schülerzuwachses nicht gravierend verändert. „Wir schaffen es, die kleinen Klassen beizubehalten, obwohl es schwieriger wird“, sagte er. Die Zahl der Vollzeitstellen für Lehrer stieg zum Vorherigen Schuljahr auf aktuell 19.789.
Der Schülerzuwachs stelle das gesamte Schulsystem vor Herausforderungen, sagte die bildungspolitische Sprecherin der CDU, Birgit Stöver. „Gerade bei der Beschulung von Schülerinnen und Schülern mit Flucht- oder direkter Einwanderungsgeschichte muss ein stärkerer Fokus auf die Sprachförderung gelegt werden. Der Grundschule kommt hierbei eine zentrale Funktion zu.“ Zudem forderte sie verstärkte Anstrengungen zur Gewinnung neuer Lehrer und zur Steigerung der Attraktivität des Lehrerberufs.
Die von Rabe vorgelegte Statistik verschleiere „eine enorme Ungleichheit im Bildungssystem“, sagte die Expertin der Linksfraktion, Sabine Boeddinghaus. „Schulen in schwierigen sozialen und räumlichen Lagen haben deutlich mehr Probleme, zum Beispiel damit, ausreichend Lehrkräfte zu finden und zu binden.“
Die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels-Frowein forderte den Schulsenator auf, sich auch im kommenden Schuljahr auf weiter steigende Flüchtlings- und damit Schülerzahlen einzustellen. „Der rot-grüne Senat sollte angesichts der absehbar hohen Kosten für neue Lehrkräfte und zügig zu errichtende Schulbauten teure Wunschprojekte in anderen Bereichen auf den Prüfstand stellen.“