Hamburg. Wenn die Zettelwirtschaft überhand nimmt, scheint es kaum noch einen Ausweg zu geben. Eine Aufräumexpertin erklärt, wie es geht.
Es gab Fälle, in denen hatten ihre Kunden mehrere Wäschekörbe mit Unterlagen und ungeöffneten Briefen zu Hause stehen. So extrem sieht es bei den meisten Menschen nicht aus, aber die Erledigung des Papierkrams, wie er meist schon unliebsam genannt wird, rangiert bei vielen in einer Kategorie mit dem Zahnarzttermin und dem Besuch eines Elternabends. Also Dinge, vor denen man sich lieber drücken würde.
Im Falle des Papiers heißt das, dass sich in Scheibtischecken hohe Stapel bilden, unbearbeitete Post in Schubladen verschwindet und man in den seit Jahren nicht mehr ausgemisteten Ordnern im Arbeitszimmerregal nichts mehr wiederfindet. Denn bevor die Ablage gemacht wird, putzen die meisten lieber dreimal das Badezimmer.
Aufräumen: Die Zettelwirtschaft kann schnell teuer werden
Dabei wäre es wichtiger, Ordnung in seine Post und die Unterlagen zu bringen. Ungeputzte Klos verschicken keine Mahnungen, müssen weder eingereicht noch beantwortet und auch nicht bei der nächsten Steuer angegeben werden. Dennoch kann ein Stapel Papier eine sehr viel abschreckendere Wirkung haben.
„Viele denken vorher: ,Oh Gott, das ganze Papier!’“, sagt Wiebke Unger, die seit zehn Jahren als Aufräumcoach Menschen dabei hilft, Chaos zu beseitigen, auszumisten und ihren Hausstand zu strukturieren. Neben kompletten Privathaushalten organisiert die 50-Jährige mit ihrer Firma „Ordnungsglück“ auch Büros. Sie weiß deshalb, dass sich selbst Wäschekörbe an Unterlagen gut bewältigen lassen, wenn man in Etappen vorgeht und zunächst grob sortiert, bevor es kleinteiliger wird.
Papierkram ordnen: der erste Schritt
„Ich empfehle, mit den losen Blättern zu beginnen und zunächst den Schreibtisch frei zu räumen, bevor man sich an vielleicht schon vorhandene Ordner macht“, sagt die Ordnungsexpertin. Dafür bildet man wieder Stapel, allerdings sortiert: Einen für alle „To Dos“ und einen für die Ablage.
Unter To Do fällt alles, was noch bearbeitet werden muss, wie beispielsweise Rechnungen, die zu bezahlen sind, oder Schreiben, die beantwortet werden müssen. Auf den Ablage-Stapel wandert alles, was einfach aufbewahrt werden soll, wie beispielsweise die aktuelle Stromrechnung, Gehaltsabrechnungen oder Schreiben der Versicherung. Auf einen dritten Haufen kommt alles, was gar nicht mehr gebraucht wird – ein Lieblingsstapel, denn der wandert direkt ins Altpapier.
"Mit einem guten System hat man alles in zwei Minuten griffbereit"
Sind alle Papiere auf diese Weise vorsortiert, geht es mit dem Ablage-Stapel weiter. „Jetzt geht es darum, die Unterlagen nach Kategorien zu sortieren, die dann jeweils in einem Ordner abgeheftet oder in einer Registermappe abgelegt werden“, sagt Wiebke Unger, die zuvor als Eventmanagerin tätig war. Mögliche Kategorien seien zum Beispiel „Haushalt“, zu der Mietvertrag, Verträge mit den Versorgern, Telefon- und Internetanbietern gehören, „Job“ (Arbeitsvertrag, Zeugnisse, Gehaltsabrechnungen), „Kind“ (Kita-Vertrag, Vereinsmitgliedschaften, U-Heft) oder auch „Bankunterlagen“, „Auto“ oder „Versicherungen“.
„Ziel soll es sein, dass man jedes Dokument schnell findet, wenn man es sucht“, sagt Wiebke Unger, die betont, dass das Ordnungsprinzip immer an den jeweiligen Kunden angepasst sein muss. „Mit einem guten System hat man alles in zwei Minuten griffbereit – selbst man um drei Uhr nachts geweckt wird.“
Entscheidendes Prinzip: Nur abheften, was man wirklich braucht
Entscheidend dabei: Es wird nur das abgeheftet, was man wirklich braucht. „Die Menschen tendieren dazu, aus Vorsicht viel zu viel aufzubewahren“, weiß die Expertin, die den Beruf des Ordnungscoaches während ihrer Elternzeit in Australien kennenlernte. Sie empfiehlt, Unterlagen in der Regel maximal drei Jahre lang zu behalten – längere Zeiträume machten meist keinen Sinn.
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Viele Schreiben, die wie die Stromrechnung jährlich kommen, könnten immer direkt ersetzt werden. Andere Rechnungen, zum Beispiel für Elektrogeräte, sollte so lange behalten, wie die Garantie gilt, also in der Regel zwei oder drei Jahre. Nur Belege für hochwertige Gegenstände könne man eventuell länger aufbewahren, um diese im Falle eines Einbruchs bei der Haftpflichtversicherung vorlegen zu können.
Eine gesetzliche Pflicht, Unterlagen aufzubewahren, gebe es für Privathaushalte übrigens nicht – mit der Ausnahme von Handwerkerrechnungen, die man laut Wiebke Unger zwei Jahre lang behalten muss. Nur wenige Dokumente wie zum Beispiel Geburts- oder Heiratsurkunden, Abschlusszeugnisse oder auch Meldungen zur Sozialversicherung (solange man den Renteneintritt noch nicht erreicht hat) sollte man dauerhaft aufbewahren.
Die Studienunterlagen können weg – wie man die Nostalgie bekämpft
Dennoch tun sich selbst sonst sehr ordentliche Menschen schwer, Papiere wegzugeben, zum Beispiel die Studienunterlagen. „Die finde ich oft ordnerweise vor“, sagt Unger und lacht. „Sich davon zu lösen ist oft schwer, weil man da so viel Arbeit reingesteckt hat.“ Noch einmal reingucken würden die meisten Menschen trotzdem nicht. „Das kann zu 98 Prozent weg, auch weil es einen veralteten Stand hat“, sagt die Ahrensburgerin, die Kunden in ganz Norddeutschland, vor allem aber in Hamburg betreut.
Wer aus nostalgischen Gründen an etwas festhalten möchte, könne eine besondere Arbeit oder einen ganz wichtigen Schein stellvertretend für das ganze Material aufzubewahren. Dasselbe gilt für Schulunterlagen und Zeugnisse. „Niemand braucht mehr jede Mathearbeit aus Klasse zwei bis acht“, sagt Unger.
Bei der Ablage auf dem PC gilt: „Lieber ein Unterordner zu viel als zu wenig“, sagt Wiebke Unger. Das Tolle sei ja, dass man nicht extra losgehen und einen Ordner kaufen müsse, sondern nur einmal zu klicken brauche. Mit einer kleinteiligeren Struktur sei sofort klar, wo ein Dokument hineingehöre. Wichtig sei nur, alles entsprechend gut zu benennen. Und gar nicht erst damit anzufangen, etwas nur schnell auf dem Desktop zu speichern.
Aufräumen mit System: Selbst Ordnungsmuffel heften ungern falsch ab
Aber auch die realen Ordner mit echtem Papier – nach Ungers Erfahrung komme ein normaler Haushalt im Schnitt mit etwa zehn Stück ganz gut aus – solle man möglichst noch mit Registerkarten unterteilen. Das helfe doppelt: „Zum einen findet man ein Dokument schneller, zum anderen hilft es dabei, neue sauber abzulegen“, so Aufräumcoach Unger. Oder anders gesagt: Die Überwindung, etwas unter der falschen Überschrift abzuheften, ist selbst bei Ordnungsmuffeln hoch.
Und wie schafft man es, dass sich nicht wieder ständig ungeöffnete Post irgendwo stapelt? „Ich empfehle, den Briefkasten nur zu leeren, wenn man danach drei Minuten Zeit hat, um alle Briefe zu öffnen, was nicht gebraucht wird, direkt zu entsorgen und alles andere unmittelbar grob nach Ablage und To Do zu sortieren“, sagt die Ordnungsexpertin, die warnt: „Ablage-Mappen, die nicht sortiert sind, sind gefährlich.“
Aufräumen bringt mehr Entspannung als ein Urlaub – verspricht die Expertin
Seinen Papierkram auf diese Weise im Griff zu haben, sei ein „ganz tolles Gefühl“ – zudem spare man Zeit und Geld (Stichwort Mahngebühren oder Belege für Garantien), vermeide Stress und Frust und gewinne einen klaren Kopf. Sich dabei Hilfe von einem Experten zu holen, sei nichts, wofür man sich schämen müsse, so Wiebke Unger, die für eine Coachingstunde 120 Euro nimmt. Man habe eine ganz andere Motivation, gehe Dinge an, vor denen man alleine zu großen Respekt habe und finde Lösungen, auf die man alleine nicht kommen würde, so die Ordnungsexpertin, die überzeugt ist: „Das Ergebnis bringt mehr innere Entspannung als ein Urlaub.“
Weitere Informationen unter ordnungsglueck.de