Hamburg. Ein neuer Bildband zeigt die Stadt nach dem Krieg und die rasante Veränderung in den ersten beiden Jahrzehnten.

Luftaufnahmen sind Wimmelbilder der Vergangenheit. Auf ihnen entdeckt der Betrachter nicht nur immer wieder etwas Neues oder Fremdes, sie geben zugleich einen ehrlicheren Blick auf das Gestern. Heute schauen viele Zeitgenossen mit Verachtung auf Bauten der Fünfziger- und Sechzigerjahre. Sie sind meist in die Jahre gekommen, schlecht gepflegt oder durch Sanierungen bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

Der Bildband „Hamburgs Wiederaufbau“ aus dem Schubert-Verlag rückt diese Zeit in einen neuen Kontext. Er eröffnet Blicke auf eine Stadt, die seltsam bekannt und zugleich fremd wirkt, eine Stadt im Wiederaufbau. „Wo immer die Bomben gewütet haben oder wo auf neuem Gelände neue Stadtteile entstanden sind, wurde unsere Heimatstadt schöner als zuvor“, lobt der Rechenschaftsbericht des Senats, den der kundige Autor Joachim Paschen zitiert.

Der langjährige Direktor der Staatlichen Landesbildstelle fügt hinzu: „Die hier zusammengestellten und erläuterten Luftaufnahmen von 1954 bis 1965 belegen das eindrücklich.“

Bildband „Hamburgs Wiederaufbau

Das klingt gewagt. Viele der einst gefeierten Neubauten kamen nie an die Qualität ihrer Vorgänger heran: Im Buch werden die Hochhäuser dieser Jahre gefeiert, die längst wieder zu Staub zerfallen: die Türme des City-Hofs oder das C&A-Geschäftshaus in der Mönckebergstraße.

Eine Kirche ohne Gemeinde: Der Michel verlor durch die Bomben und den Bau der Ost-West-Straße sein Einzugsgebiet.
Eine Kirche ohne Gemeinde: Der Michel verlor durch die Bomben und den Bau der Ost-West-Straße sein Einzugsgebiet. © Medien-Verlag Schubert | Medien-Verlag Schubert

Die Verkehrsplanung nimmt im Bildband einen wichtigen Raum ein: Die Motorisierung war in der Nachkriegszeit erst Verheißung, bald ein Problem: Trotz der Schneisen, hochgelegter Schnellstraßen und vieler Tunnel wuchsen die Staus weiter – und mussten neue Verkehrsflächen her.

Die Luftbilder zeigen eindrucksvoll, wie Hinterhöfe und Baulücken zugeparkt wurden. Selbst der Rathausmarkt präsentierte sich damals als Stellplatz, Straßenbahnhaltestelle und Straßengewirr. Besonders beeindruckend ist das Kleeblatt der sechsspurigen Billhorner Brückenstraße, das 1960 in die Hansestadt betoniert wurde – oder eine fast verwaiste Raststätte in Stillhorn aus der Luft betrachtet.

Rund um den Hauptbahnhof hielten sich die Zerstörungen in Grenzen.
Rund um den Hauptbahnhof hielten sich die Zerstörungen in Grenzen. © Medien-Verlag Schubert | Medien-Verlag Schubert

Der Bau der Ost-West-Straße erinnert nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs an eine zweite Zerstörung: Manche Straßenzüge, die der Bombenterror unversehrt gelassen hatte, fielen für diese Autoschneise quer durch die Stadt.

Die Bilder zeigen zugleich, wie die spätere Randbebauung dieser Bundesstraße mehr und mehr das Hamburgische Wahrzeichen – den Michel – versperrte. Paschen spricht von einem „Schnitt durch die Innenstadt: Eine 36 Meter breite Spur teilt die ehemaligen Wohngebiete der Neustadt in einen südlichen und einen nördlichen Teil.“ Die Wunde ist bis heute nicht verheilt.

Nach dem Krieg entstand zwischen 1964 und 1966 das Iduna-Hochhochhaus am Millerntor. Schon 1995 wurde es gesprengt.
Nach dem Krieg entstand zwischen 1964 und 1966 das Iduna-Hochhochhaus am Millerntor. Schon 1995 wurde es gesprengt. © Medien-Verlag Schubert | Medien-Verlag Schubert

Bustouren zeigten den Hamburgern ihre neue Stadt

Das allerdings konnte oder wollte niemand in den Wirtschaftswunderjahren ahnen. „Sieh dir an, wie Hamburg baut!“ nannte sich eine von der Baubehörde veranstaltete Bustour: Sie sollte Menschen vermitteln, wie sich das neue Stadtbild entwickelte. Hamburg verfolgte dabei drei Schwerpunkte: Der Bau von Wohnungen, von Schulen und von Straßen.

Zudem ging es um die Förderung von Handel und Industrie sowie um die Versorgung der Bevölkerung – auch diese In­frastruktur findet Platz im Buch. Faszinierend wirken heute die Bauarbeiten für den Kaispeicher A, der Blick auf den Petroleumhafen Waltershof oder den Fischereihafen in Altona. Die Fotos dokumentieren den Strukturwandel der Stadt: Die florierende Werftindustrie ist längst Geschichte, während der Flugzeugbau auf Finkenwerder rasant gewachsen ist.

Manchen Vierteln sieht man das Reißbrett an, auf dem sie entstanden

Einer der Fotografen war Günther Krüger (1919–2003), der in diesen Jahren für das Hamburger Abendblatt aus dem Hubschrauber Wachsen und Werden seiner Heimatstadt verfolgte. Zugleich finden sich im Buch aber auch bislang nie veröffentlichte Bilder.

Der Blick in die Stadtteile zeigt einen Wandel, der nicht so im Fokus stand, aber ähnlich radikal ist – ob beim Bau des Elbe-Einkaufszentrums in Osdorf oder des Bahnhofs in Langenfelde. In vielen Außenbereichen der Stadt entstehen in dieser Zeit neue Schlafstädte, ob in Nettelnburg, Lohbrügge, Billstedt oder Horn, ob in Wandsbek oder Wilstorf, in Farmsen oder Fischbek.

Ein Blick in das alte Volksparkstadion
Ein Blick in das alte Volksparkstadion © Medien-Verlag Schubert | Medien-Verlag Schubert

Besonders sehenswert sind nicht nur die Luftbilder dieser neuen Viertel, deren Reißbrett-Charakter ins Auge sticht, sondern auch die Luftfotografien zu besonderen Anlässen: Die langen Schlangen zur Lebensmittel-Fachausstellung LEFA mit der „Schau für die Frau“, der Empfang für die Deutschen Meister vom HSV (lang ist’s her) am Dammtor, der Rummel auf dem Schwarzenberg oder ein Sonnentag in Planten un Blomen. Luftaufnahmen sind eben Wimmelbilder der Vergangenheit.