Hamburg. Mit dem Hubschrauber von Fuhlsbüttel zur Stelle, wo der Zug entgleist war – ein Abendblatt-Reporter erinnert sich.

Es war ein Zugunglück, wie man es sich bis dahin in Deutschland nicht hatte vorstellen können. In voller Fahrt entgleiste am 3. Juni 1998 der ICE 884 „Wilhelm Conrad Röntgen“ bei Eschede. Ein gebrochener Radreifen und eine Verquickung unglücklicher Umstände führten zum Tod von 101 Menschen.

Als die ersten Nachrichten von einem verunglückten ICE in den Redaktionen eintrafen, ließ sich das ganze Ausmaß der Katastrophe noch nicht einmal annähernd abschätzen. Damals gab es noch keine sozialen Netzwerke. Auch konnten Fotos nicht digital verschickt werden. Selbst über Mobiltelefone, 1998 war noch Nokia der führende Hersteller von Handys, verfügten nur verhältnismäßig wenige Menschen.

Eschede: Viele Reporter waren wegen einer Bombendrohung am Flughafen

In den ersten Meldungen war von einem „Unfall mit Verletzten“ die Rede. An diesem Tag waren Reporter am Flughafen in Fuhlsbüttel. Dort hatte es eine Bombendrohung gegen einen Flieger gegeben, mit dem der damalige Erste Bürgermeister Hamburgs, Ortwin Runde, in Richtung Skandinavien fliegen wollte.

Als sie die Nachricht erreichte, waren sie nur ein paar Hundert Meter vom Geschäftsfliegerzentrum entfernt, wo auch ein Flugdienst mit Hubschraubern seinen Sitz hatte. Damals war es kein Problem, sofort einen Hubschrauber zu nehmen. Die Redaktionen gaben sofort ihr Okay. Kurz danach waren die ersten Reporter in der Luft und auf dem Weg nach Eschede.

Aufgetürmt lagen die weißen Waggons des ICE

Noch auf dem Flug zum gut 100 Kilometer Luftlinie entfernten Unfallort im niedersächsischen Landkreis Celle kamen die ersten Meldungen von Toten herein, die es bei dem Zug-Unglück gegeben haben soll. Dann tauchte unter dem Hubschrauber ein Waldstück auf, durch das eine schnurgerade Bahnlinie verlief. Und darauf stand, mitten im Wald, der Triebwagen. Wenig später wurde endlich die Sicht auf die Unglücksstelle frei. Aufgetürmt lagen am westlichen Ortszugang – genau dort, wo die Straße Heeseloh in die Rebberlaher Straße übergeht – die weißen Waggons des ICE „Wilhelm Conrad Röntgen“.

Die Brücke, die dort über die Schienen führte, gab es nicht mehr. Sie war eingestürzt. Kurz dahinter zwei Waggons. Einer stand auf den Gleisen, der hintere Teil offenbar von der einstürzenden Brücke bis auf das Chassis „abgeräumt“. Der andere Waggon lag neben der Strecke auf der Seite. Drumherum standen Einsatzkräfte, vor allem Feuerwehrleute in leuchtend orangen Einsatzanzügen. Dort, wo Tote oder Verletzte lagen, hatten sich Trauben von Helfern gebildet.

Einsatzkräfte suchten in den Trümmern nach Überlebenden

Alle anderen Waggons waren in Höhe der Brücke nach rechts weggedrückt worden und hatten sich zu einem großen Stapel aufgetürmt. Verhältnismäßig unversehrt wirkte nur der hintere Triebwagen, der aber ebenfalls entgleist war.

Zu dem Zeitpunkt waren bereits viele Einsatzkräfte am Unfallort, die damit begannen, auch in dem Knäuel aus Waggons nach Überlebenden zu suchen. Auch ein Telekran war bereits an der Unglücksstelle eingetroffen und wurde auf der Rampe zur Brücke – unmittelbar vor dem eingestürzten Teil – aufgebaut. Überall standen Einsatzfahrzeuge und Rettungswagen auf der Zufahrt und in den parallel verlaufenden Straßen.

Es waren dann mehr Tote als Überlebende, die von den Rettungskräften aus den Trümmern geholt wurden. Die Zahl der Verletzten betrug 70, die der Toten 101. Unter den Getöteten waren auch zwei Männer, die an der Brücke gearbeitet hatten.

Rettungshubschrauber aus ganz Deutschland flogen nach Eschede

So ein Szenario hatte sich vorher niemand ausmalen können. Später hieß es, dass die Leichtbauweise der Waggons mit eine Ursache dafür war, dass die Zahl der Toten derart hoch war. Zunächst war es noch möglich mit dem Hubschrauber in unmittelbarer Nähe des Unglücksortes auf einem Feld zu landen.

Der Aufenthalt war nur kurz. Denn wenig später hieß es, dass der Luftraum gesperrt werden müsse, da Rettungshubschrauber aus ganz Deutschland in Richtung Eschede unterwegs seien. Erste Hubschrauber waren bereits auf einem Feld südlich der Unfallstelle gelandet – sie standen dort aufgereiht wie auf einem Flugfeld.

Eschede: Such- und Bergungsarbeiten auch am nächsten Tag

Um Fotos von dieser unfassbaren Katastrophe schnell in die Redaktionen zu bringen, flogen die Reporter deshalb schon kurz darauf zurück nach Hamburg. Dort mussten zunächst die Filme mit den in Eschede geschossenen Fotos entwickelt werden.

Auch am nächsten Tag gingen die Such- und Bergungsarbeiten am Unglücksort weiter. Mit schwerem Gerät wurden die Trümmerteile angehoben und die Waggons geborgen. Einsatzkräfte hofften in dem Gewirr aus Metall und Beton doch noch Überlebende zu finden. Das passierte nicht.

Was später bekannt wurde: Direkt an der Brücke wären der ICE „Wilhelm Conrad Röntgen“ und ein anderer, entgegenkommender ICE direkt aneinander vorbeigefahren – wären die Züge denn pünktlich gewesen.