Hamburg (dpa/lno). Statt 2050 will Hamburg schon 2045 klimaneutral werden. Das sieht ein neuer Klimaplan des Senats vor. Opposition und Verbände sehen die Pläne skeptisch und sprechen von einem „Luftschloss“.
Der Hamburger Senat hat seine Klimaschutzziele für Hamburg nochmals verschärft. Durch eine Vielzahl von Hebelmaßnahmen verschiedener Sektoren will die Stadt bis 2030 die CO2-Emissionen um 70 Prozent gegenüber dem Basisjahr 1990 reduzieren. Bisher wollte der Senat die CO2-Emissionen um 55 Prozent reduzieren. Bis 2045 - statt bisher 2050 - strebt die Stadt eine Emissionsminderung von mindestens 98 Prozent an, um damit CO2-neutral zu werden. Das sieht ein Eckpunktepapier zur Zweiten Fortschreibung des Klimaplans vor, das Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) am Dienstag vorgestellt hat.
„Da die Klimakrise deutlich schneller voranschreitet und härter ausfällt als zunächst prognostiziert, haben wir unsere Ziele nochmals verschärft“, sagte Kerstan. Die Ziele, die Hebelmaßnahmen sowie deren grundsätzliche Machbarkeit seien von renommierten Instituten untersucht worden. „2045 und damit fünf Jahre schneller als bislang vorgesehen soll ganz Hamburg CO2-neutral leben und wirtschaften“, sagte Kerstan. „Grundlegend ist dabei, dass wir alle - Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Bürgerinnen und Bürger - gemeinsam mit aller Kraft am gleichen Strang ziehen“, sagte Kerstan.
Hamburg könne diese Aufgabe nicht allein bewältigen, sondern sei darauf angewiesen, dass gerade auch der Bund seine Ziele umsetze. „Mit der neuen Bundesregierung und den gründlichen und umfassenden Vorarbeiten in Hamburg stehen die Zeichen gut, dass wir jetzt schneller vorankommen können“, sagte der Umweltsenator.
Für die vier Sektoren Industrie, Gewerbe-Dienstleistung-Handel, Private Haushalte und Verkehr hat der Senat rund 40 Maßnahmenbereiche identifiziert und deren CO2-Einsparungspotential ermitteln lassen. Danach soll der Sektor private Haushalte den Ausstoß bis 2030 um weitere knapp 1,7 Millionen Tonnen CO2 senken, der Sektor Gewerbe, Handel, Dienstleistungen um 1,7 Millionen Tonnen, die Industrie um 2,2 Millionen Tonnen und der Verkehr um rund 820.000 Tonnen. Rund 600.000 Tonnen CO2-Einsparung seien keinem Sektor direkt zugeordnet, sondern sollen als Gemeinschaftsleistung bis 2030 erbracht werden.
„Wir werden alles dafür tun, unseren Beitrag zu leisten: Gebäude müssen modernisiert und die Verkehrswende weiter vorangebracht werden. Viele Hamburger Industrieunternehmen haben sich bereits verpflichtet, die Prozesse effizienter zu gestalten und weiter zu dekarbonisieren - genau wie bei der Fernwärme“, sagte Kerstan. Hier sei die Stadt auf einem guten Weg. Nun gelte es, in den nächsten Monaten das Eckpunktepapier in einen detaillierten Klimaplan mit konkreten Maßnahmen zu übersetzen.
Die Opposition kritisierte den Klimaplan. „Senator Kerstan verschärft Hamburgs Klimaziele ohne deren Erreichung mit konkreten Maßnahmen zu unterfüttern. Das ist Klimapolitik als Luftschloss“, sagte die FDP-Abgeordnete Anna von Treuenfels. Kerstan könne auch nicht sagen, wo genügend Geld herkommen soll, um Wirtschaft und Bürger bei der Dekarbonisierung wirksam zu unterstützen. Das und verschärfte Auflagen könnte besonders bei energieintensiv arbeitenden Betrieben eine Abwanderungswelle aus Hamburg auslösen.
Auch der Industrieverband Hamburg kritisierte die neuen Klimaziele des Senats. „Es reicht nicht, wenn die Politik spontan die Ziele verschärft, denn damit ist dem Klimaschutz noch nicht geholfen“, sagte der Vorsitzende Matthias Boxberger. „Wo sind die neuen zusätzlichen Investitionen der Stadt, um die Industrie bei der Erreichung der ambitionierten Ziele zu unterstützen? Klar ist, ohne ein schnelles Anwachsen erneuerbarer Energien im Strommix werden die Ziele nicht erreichbar sein.“
Für den Naturschutzbund (NABU) bleiben die vorgestellten Eckpunkte viel zu unkonkret. „Noch gibt es keinen Plan vom Klimaplan. Um die Klimaziele zu erreichen, braucht es die klimapolitische Bazooka“, sagte der Vorsitzende Malte Siegert. Statt mit dem Finger auf andere zu zeigen und zu erwarten, dass Industrie, Gewerbe und private Haushalte sich von sich aus bewegen, sollte die Stadt lieber das machen, worauf sie selber Einfluss nehmen kann: Solaranlagen auf alle städtischen Gebäude, auf Parkplätze und andere versiegelte Freiflächen. Zudem müsse der Verkehr radikal reduziert werden.
Die Klimabewegung Fridays for Future bezeichnete die Pläne als „bitter und geradezu grotesk“. „Wie diese Regierung ihre eigenen Ziele, geschweige denn die Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens, einhalten will, hinterlässt noch immer ein großes Fragezeichen“, sagt Sprecherin Annika Rittmann. Auch der wissenschaftliche Klimabeirat des Senats habe bestätigt, dass die aktuellen Maßnahmen nicht einmal ausreichen würden, um die alten Ziele des Senats einzuhalten.