Hamburg (dpa/lno). Die Herbertstraße einmal anders. Normalerweise dürfen hier nur Männer durch die Absperrung zu den Häusern, in denen sich die Prostituierten im Fenster präsentieren. Nicht so am Sonntag. Die berühmte Sündenstraße feiert einen besonderen Geburtstag mit einer besonderen Aktion.
Wo sonst reges Treiben hinter verschlossenen Toren herrscht, zeigte die wohl sündigste Straße Deutschlands am Sonntag eine ungewohnte Offenheit: Die Herbertstraße in Hamburg feierte ihren 100. Geburtstag mit einem Tag der offenen Tür. Am frühen Nachmittag gab es großen Andrang, auch viele Frauen zeigten sich interessiert. Normalerweise ist die Herberststraße inmitten der Amüsiermeile von St. Pauli für Frauen und Jugendliche gesperrt. Nicht so an diesem Sonntag.
«Als Frau ist es schon interessant, mal hier durchzugehen zu können. Man hat ja sonst nicht die Gelegenheit, zu sehen, wie es hier aussieht», sagt Sandra aus Bielefeld, die sich mit ihrem Mann umschaut. Maja aus Münster ist mit ihren Freundinnen auf Stammtischtour und hat erst am Vorabend von der Veranstaltung erfahren. «Das ist eine einmalige Gelegenheit», meint sie.
Wie viele andere auch stehen die Freundinnen vor einem Haus an, das besichtigt werden kann. Vorne die Fenster, in denen sich die Prostituierten leicht bekleidet auf Drehstühlen präsentieren, oben dann die Zimmer mit rot bezogenen Betten, Waschbecken und teils Duschen. Regina aus Weimar ist eher abgestoßen. Das sei schon ganz anders als es teils im Fernsehen präsentiert werde, sagt sie. «Erschreckend, wie schmuddelig das ist.»
Johanna Weber, die politische Sprecherin des Berufsverbands für erotische und sexuelle Dienstleistungen, erzählt, dass etwa 250 Menschen in der Herbertstraße arbeiten, die meisten davon Frauen. Sie selbst wollte da vor 30 Jahren auch arbeiten, aber dann habe man ihr gesagt: «Du bist nicht hübsch genug.» Sie bezeichnet die Herbertstraße als kultig. Ihr Eindruck: Heute sei es leichter dort in den Fenstern zu arbeiten als früher. Zwangsprostitution sieht sie hier nicht.
Prostitution gibt es in der Straße nach Angaben des Berufsverbands und von Quartiersmanager Lars Schütze seit Beginn der Bebauung im 19. Jahrhundert. Die Straße habe sich von einer kleinen Ansammlung mehrerer Prostitutionsstätten hin zu einem der bekanntesten Straßenstriche des Landes entwickelt. Bis 1922 war es die Heinrichstraße. Im Juli 1922 wurde sie dann die berühmte Herbertstraße. Die Umbenennung war damals als Zeichen eines Neuanfangs gedacht, die Freudenhäuser sollten vertrieben werden und Wohnungen entstehen, heißt es auf den ausgestellten Tafeln in der Herbertstraße.
Zur Zeit des Nationalsozialismus galt den Angaben zufolge ein striktes Verbot von Prostitution - mit Ausnahme der Herbertstraße, an deren beiden Zugängen damals die Sichtblenden errichtet wurden, um die «weiblichen, asozialen Elemente» aus dem Sichtfeld der Öffentlichkeit zu verbannen. Die dort an den Sperrblenden angebrachten Schilder wurden in den 70er Jahren auf Wunsch der Prostituierten durch den Hinweis ergänzt: «Zutritt für Männer unter 18 und Frauen verboten!».
Der Berufsverband lobt, im Gegensatz zu vielen anderen Orten sei die Sexarbeit in der Herbertstraße gesellschaftlich anerkannt. Der Straßenstrich und die dort arbeitenden Menschen würden von den Anwohnern und Besuchern des Viertels nicht als Ärgernis sondern als «kulturelle Instanz» wahrgenommen.
Schwer getroffen hatte die Herbertstraße die Corona-Zeit. Das Rotlicht-Milieu an der Reeperbahn war praktisch zum Erliegen gekommen, und in der Herbertstraße herrschte eine fast gespenstische Ruhe.
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