Hamburg. Wissenschaft trifft Wirklichkeit: Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider spricht mit dem ehemaligen Uni-Präsidenten Dieter Lenzen.

In ihrem gemeinsamen Podcast „Wie jetzt?“ unterhalten sich Lars Haider und Dieter Lenzen über Themen, die Wissenschaft und Journalismus gleichermaßen bewegen. Heute geht es um die Frage, was aus dem Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk wird.

Lars Haider: All die Dinge, die beim RBB, dem ARD-Sender für Berlin und Brandenburg passiert sind und später dann beim NDR in Schleswig-Holstein, haben eine Diskussion über Gegenwart und vor allem Zukunft des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks ausgelöst. Ist der noch zeitgemäß, muss er anders organisiert werden, sind die Rundfunkbeiträge zu hoch oder berechtigt? Muss sich da etwas ändern, soll sich da etwas ändern?

Dieter Lenzen: Ich sehe das aus einer doppelten Perspektive. Einerseits als Bürger, andererseits als jemand, der in Rundfunkräten gewesen ist, in einem, nämlich dem von der Deutschen Welle, bin ich bis heute. Als Bürger möchte ich die ARD und das ZDF nicht missen, als Rundfunkrat sehe ich, dass die Strukturen so nicht bleiben können.

Die Gehälter der Intendanten liegen irgendwo zwischen 200.000 und 400.000 Euro, am besten verdienen in der Regel die Intendanten der großen Sender wie WDR und NDR. Ist dieses Gehalt aus Ihrer Sicht angemessen?

Lenzen: Im privaten Bereich ist der Erfolg einer Führungskraft leicht an den Ergebnissen seines Unternehmens zu messen, und damit kann man über Bonuszahlen auch das jeweilige Gehalt steuern. Geht es der Firma gut, bekommt der Chef mehr Geld, ansonsten weniger. Das ist in der ARD nicht der Fall, man kann seinen Job so gut oder schlecht machen, wie man will, das Gehalt bleibt immer gleich. Das ist ein Fehler, man müsste das Einkommen der Intendanten viel stärker von Leistungen abhängig machen.

Aber genau das hat der RBB als einziger ARD-Sender getan, und dafür mächtig Ärger bekommen, Intendantin Patricia Schlesinger allen voran.

Lenzen: Dass es beim RBB Ärger gegeben hat, liegt daran, dass die Betrachtung umgekehrt wurde. Nach dem Motto: ‚Und dann haben die Führungskräfte auch noch einen Bonus bekommen.‘ Ich finde eine leistungsorientierte Entlohnung richtig, wenn man gleichzeitig darauf achtet, dass das Grundgehalt deutlich niedriger ist als es wäre, wenn es keine Bonuszahlungen gäbe.

Die grundsätzliche Debatte über den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk schwelt seit langem und hat nichts mit Bonuszahlungen zu tun, die es wie gesagt auch nur beim RBB gab. Offenbar existiert Unbehagen, das irgendwann einmal aufgelöst werden muss.

Lenzen: Das liegt zum einen an dem Rundfunkbeitrag. Der ist ein wesentlicher Ausgangspunkt der Kritik, weil Menschen das Gefühl haben, für etwas bezahlen zu müssen, das ihnen nicht gefällt. Zum anderen wächst das Unverständnis über die öffentlich-rechtlichen Strukturen, die kaum zu durchschauen sind und wie in jedem staatsnahen Bereich von Jahr zu Jahr bürokratischer beziehungsweise komplizierter werden. Und schließlich speist sich dieses Unbehagen in bestimmten Gruppen aus dem Gefühl, dass der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk nicht neutral, sondern auch inhaltlich staatsnah, um nicht zu sagen staatstragend und im schlimmsten Fall belehrend ist.

Haben Sie den Eindruck, dass Teile des Öffentlich-Rechtlichen Sie belehren wollen?

Lenzen: Es gibt Sendungen und auch Moderatoren, bei denen man sofort merkt, dass ich mich als Zuschauer in diese oder jene Richtung bewegen soll, gern auch in eine parteipolitische. Wir wissen doch alle, dass die Anstalten der einzelnen Bundesländer unterschiedlich politisch orientiert sind, weil die Zusammensetzung der handelnden Personen über politische Prozesse gesteuert wird. Aber das heißt nicht, dass man nicht unparteiisch sein kann. Es beginnt mit der Auswahl der Themen, über die man berichtet, und wie häufig diese im Programm ihren Platz finden. Wenn Sie von morgens bis abends über das Klima reden, müssen Sie sich nicht wundern, wenn man Ihnen vorwirft, einen bestimmten Teil des Parteienspektrums zu bevorzugen.

Wie könnte eine Reform aussehen?

Lenzen: Auf jeden Fall nicht darin, die ARD abzuschaffen.

Interessant ist, dass wir die ganze Zeit über die ARD sprechen, nicht über das ZDF. Das spielt auch in der öffentlichen Debatte eine geringe Rolle, vielleicht, weil man den Eindruck hat, dass das ZDF effizienter arbeitet als die ARD. So kostet etwa die Produktion einer Talkshow wie der von Markus Lanz deutlich weniger als die von Anne Will.

Moderatorin Anne Will führt durch den Sonntagstalk im Ersten (Archivbild).
Moderatorin Anne Will führt durch den Sonntagstalk im Ersten (Archivbild). © NDR/Wolfgang Borrs

Lenzen: Das ZDF steht deshalb nicht in der Kritik, weil es als Organisation homogener ist, und weil es dort keinen internen Wettbewerb gibt. Bei der ARD ist das völlig anders, die einzelnen Sender konkurrieren allein schon um die zur Verfügung stehenden Rundfunkbeiträge, jeder will davon natürlich möglichst viel haben. Dadurch entstehen viel mehr Reibereien, die auch von außen bemerkt werden. Die entscheidende Frage für die Zukunft der ARD wird sein, wer sie wie kontrolliert. Der Rundfunkrat muss künftig ganz andere Möglichkeiten und Kompetenzen erhalten, als das in der Vergangenheit der Fall war. Um ein Budget kontrollieren zu können, in dem es über alle ARD-Anstalten gesehen um rund acht Milliarden Euro geht, brauchen sie einen Apparat, das kann nicht ein ehrenamtlicher Rundfunkrat machen. Und dieser Apparat müsste auch prüfen, wie die inhaltliche Ausrichtung eines Senders ist und ob er in seiner Berichterstattung blinde Flecken hat. Das kann man nicht nebenbei machen. Bisher war die Aufsicht der ARD leider keine Aufsicht.

Was spricht dagegen, sich einmal grundsätzlich über den Sinn von Rundfunkbeiträgen Gedanken zu machen, in anderen Ländern ist das bereits passiert, da arbeitet man an Reformen des Systems?

Lenzen: Bei solchen, wahrscheinlich radikalen Reformen hat man immer das sogenannte Übergangsproblem, das heißt, die könnte man allein angesichts der vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die betroffen wären, nicht von heute auf morgen machen, das müsste ein sehr langfristiger Protest sein. Stellen Sie sich nur vor, was es für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk bedeuten würde, wenn er künftig nicht mehr acht Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung hätte, sondern vielleicht nur sechs oder vier. Das wäre immer noch viel Geld, auch im internationalen Vergleich, aber so eine Absenkung würde gewaltige Veränderungen mit sich bringen. Und dann würden Sender wie etwa Deutschlandradio oder Deutschlandfunk zur Disposition stehen, wahrscheinlich würden sie eine solche Reform nicht überleben. Die möchte ich ebenso wenig missen wie viele Kulturangebote, die sich wahrscheinlich nicht rechnen. Bildungsangebote, auch wenn sie nur kleinere Zielgruppen erreichen, müssen weiterhin möglich sein. Deshalb müssen wir dieses System beibehalten, aber an Leistungen knüpfen, nach denen sich die Budgets der einzelnen Sender richten. Soll heißen: Wer ein gutes Programm macht, bekommt mehr Geld dafür als jemand, dessen Programm bei den Zuschauerinnen und Zuschauern durchfällt.

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  • Wir können am Ende aber festhalten, dass der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk das ist, was man to big to fail nennt. Eben weil er so groß ist, weil so viele Menschen dort beschäftigt werden, weil die Strukturen so komplex sind, kann man das System vielleicht vorsichtig verändern, aber nicht komplett auf den Kopf stellen.

    Lenzen: So ist es, und es ist aus meiner Sicht auch nicht sinnvoll, den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk so auf den Kopf zu stellen, dass die Sicherung von Bildungs-, Informations- und Unterhaltungsinhalten, die nicht populistisch sind, nicht mehr gelingt.

    Der ehemalige Präsident der Universität Hamburg: Prof. Dieter Lenzen (Archivbild).
    Der ehemalige Präsident der Universität Hamburg: Prof. Dieter Lenzen (Archivbild). © Andreas Laible / FUNKE Foto Services