Hamburg. Der Chef der Beratungsfirma doubleYUU ist ein Vordenker der Digitalisierung. Er spricht über Unternehmen ohne Büros und neue Wege.

In unserer Reihe „Entscheider treffen Haider“ reden Top-Manager und Firmenchefs immer wieder über die digitale Transformation, und was sie für ihre Unternehmen bedeutet. Willms Buhse spricht heute darüber, welche Rolle die Chefinnen und Chefs selbst dabei spielen, wie sich verändern müssen und ob sie überhaupt noch wichtig sind. Er führt in Hamburg die Unternehmensberatung doubleYUU mit 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber ohne ein einziges Büro.

Das sagt Willms Buhse über …

… die digitale Transformation von Unternehmen:

„Digitale Transformation ist nicht nur ein rein technisches Thema, sie hat sehr viel damit zu tun, wie man Menschen in diesem Veränderungsprozess mitnimmt. Dafür braucht man Chefs, die motivieren können. Ich habe ein Modell erfunden, das VOPA heißt, und für Vernetzung, Offenheit, Partizipation und Agilität steht. Das sind die vier Einflugschneisen, die ein digital denkender Chef nutzen sollte. Wenn ich eine Firma digital transformieren will, dann brauche ich einen Chef, der zeigt, dass ihm das alles auch nicht leichtfällt, der den Weg aber trotzdem mit großer Leidenschaft geht. Diese Leidenschaft muss er vorleben.“

… Manager und Leader:

„Es gibt die große Diskussion, ob Firmen an ihrer Spitze Manager oder Leader brauchen. Ich glaube, dass der Manager ein Auslaufmodell ist. Um Zahlen und Fakten können sich Mitarbeitende auch selbst kümmern. Viel wichtiger ist, Menschen zu führen, ihnen die Richtung vorzugeben, sie zu überzeugen und mit der eigenen Leidenschaft anzustecken. Ich schätze übrigens Führungskräfte, die ein Interesse und eine Begeisterung für Technologie haben, etwa Ingenieure, deutlich mehr als die reinen BWLer oder Verkäufer.“

… der bewusste Verzicht auf Büros in seiner Firma:

„Ich war vier Jahre lang Technologie-Scout im Silicon Valley. Dort ist mir eine Firma aufgefallen, die angekündigt hatte, künftig keine Büros mehr für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anbieten zu wollen. Bei doubleYUU haben 30 Menschen gearbeitet, als wir auf ein gemeinsames Büro verzichteten. Damals haben wir uns gemeinsam gefragt, welchen Mehrwert die Büros für uns eigentlich darstellen – und festgestellt, dass wir auf sie verzichten können.

Das Experiment ist ziemlich gut gelaufen, heute arbeiten bei uns mehr als 140 Menschen, jeder dort, wo er möchte. Das heißt nicht, dass uns persönliche Beziehungen unwichtig sind. Aber wir brauchen nicht diesen einen Ort, zu dem alle ständig kommen. Die Herausforderung bleibt, wie man das ersetzt, was sonst im Büro an Kulturentwicklung passiert.

Ich habe von Anfang an gesagt, dass das, was wir an Miete einsparen, für Fort- und Weiterbildung und andere Formen der Zusammenkunft ausgegeben wird. Und: Um gute Gespräche zu führen, braucht man kein Büro, die funktionieren zum Beispiel beim Spaziergehen viel besser, einerseits, weil man in Bewegung ist, andererseits, weil man sich nicht ständig in die Augen guckt. Deshalb führe ich im wahrsten Sinne des Wortes Geh-Spräche.“

… Homeoffice von Bali aus:

„Mit Leuten, die von Bali aus arbeiten, habe ich so mäßig gute Erfahrungen gemacht, das lag jedoch nicht an der Zeitverschiebung. Ansonsten funktioniert das sehr gut, obwohl nur rund 30 Mitarbeitende unserer Firma, die ihren Sitz in Hamburg hat, auch in der Stadt oder der Umgebung wohnen. Wenn ich „Sitz“ sage, heißt das nicht, dass wir hier doch noch irgendein Büro haben. Auch ich arbeite aus dem Haus heraus, in dem ich wohne.“

… Chefinnen und Chefs, die nicht loslassen können:

„Eines meiner Bücher heißt „Die Kunst loszulassen“, und das ist kein Yoga-, sondern ein Managementbuch. Loszulassen ist das Ziel, aber zugleich der Weg, auf den sich Entscheider machen müssen. Chefs und Chefinnen müssen die Arbeit ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wertschätzen und beurteilen, und damit sie das können, müssen sie sich ehrlich für deren Ergebnisse interessieren. Vertrauen ist auf dem Weg dorthin einer der wichtigsten Schlüssel; wenn ich als Chef nicht vertraue, werden Mitarbeitende sich nicht entfalten können. Gleichzeitig ist wichtig vorzugeben, welche Art von Ergebnissen ich von meinen Leuten erwarte. Den Weg dorthin muss sich jeder selbst aussuchen können. Der ideale Chef entscheidet nicht, er hört zu und stellt Fragen. Man kann eigentlich als Chef nicht zu viel zuhören.“

… die neue Offenheit:

„Viele Unternehmen gucken sehr auf sich selbst und ihre eigenen Erfindungen. In einer Welt des Wandels und der Krisen ist aber viel wichtiger, sich anzusehen, was der Kunde will, was die Wettbewerber planen und was im Netz passiert. Firmen, Chefs und Mitarbeitende müssen offen sein für Dinge, mit denen sie sich bisher noch nicht beschäftigt haben, unter anderem, weil plötzlich Konkurrenten um die Ecke kommen können, die bisher auf dem jeweiligen Markt keine Rolle gespielt haben.“

… die Frage, ob Kunden oder Mitarbeitende für den Erfolg eines Unternehmens wichtiger sind:

„Bisher hieß es immer, dass das Wichtigste für eine Firma die Kunden sind. Ich glaube, dass dreht sich gerade, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden immer wichtiger. Das liegt einerseits am Fachkräftemangel und andererseits daran, dass zufriedene Mitarbeitende automatisch für zufriedene Kunden sorgen werden. Man merkt ja innerhalb weniger Augenblicke, wie die Stimmung in einem Unternehmen ist und ob die Mitarbeitenden hinter den Produkten stehen, die ich als Kunde dort kaufen kann.“

Was Manager von Jürgen Klopp lernen können

Was wollten Sie als Kind werden und warum?

Ganz am Anfang stand als Berufswunsch der Lokführer – um mit Technik die Welt zu erobern. Dann irgendwas mit Computern, dieser Wunsch verschwand aber mit der ersten Freundin … Danach wollte ich – mangels spielerischen Talents – Fußballtrainer werden. Anderen Menschen helfen, ihr Potenzial auszuschöpfen und sie zum Erfolg führen, hat mich schon als Kind fasziniert. Tatsächlich ist dieser Traum kurzzeitig wahr geworden: Ich habe mal in New York eine afroamerikanische Fußballmannschaft in der Cosmopolitan Soccer League trainiert. Am Ende der Saison kamen wir überraschend ins Finale. Damals wurde mir an der Seitenlinie der Job eines Erstliga-Trainers in Bangladesch angeboten. Das hätte meinem Leben sicher eine weitere radikale Wendung gegeben. Manchmal wüsste ich schon gerne, was dann aus mir geworden wäre.

Was war der beste Rat Ihrer Eltern?

Ich komme von Norderney. Was meine Eltern mir mitgegeben haben, ist eine gesunde norddeutsche Verbindlichkeit verbunden mit Neugier auf die Welt. Die Kombination mit einem großen Interesse für Fremdsprachen und der Offenheit für Neues hat meinem bisherigen Lebensweg sicherlich entscheidend mitgestaltet.

Wer war beziehungsweise ist Ihr Vorbild?

Ich habe kein richtiges Vorbild in Form einer bestimmten Person. Mich begeistern Menschen, die durch ihre Leidenschaft andere begeistern – egal ob Künstler, Politiker, Unternehmer oder Jürgen Klopp. Klopp wird als Vorbild akzeptiert und genießt den Respekt seines Teams, was sicherlich auf der großen Leidenschaft basiert, mit der er seine Teams betreut. Er baut Vertrauen auf, indem er jedem Wertschätzung entgegenbringt. Und er sagt seine Meinung, auch wenn das vielleicht nicht immer gerne gesehen wird. Das macht für mich einen guten Typen aus.

Was haben Ihre Lehrer/Professoren über Sie gesagt?

Meine Grundschullehrerin hat mir gesagt: „Glück hilft selten, Arbeit immer.“ Diese Maxime hat mir bis heute nicht geschadet.

Wann und warum haben Sie sich für den Beruf entschieden, den Sie heute machen?

Ich habe mich in meinem Leben stets von meiner Begeisterung für Neues leiten lassen. Technologie spielte dabei immer eine große Rolle. Durch meine Tätigkeit als Technologie-Scout im Silicon Valley wurde Digitalisierung für mich zu einem großen Thema. Diese Begeisterung auch auf andere Menschen zu übertragen hat stark dazu beigetragen, dass ich heutzutage mache, was ich mache.

Wer waren Ihre wichtigsten Förderer?

Ich bin ein großer Fan von Feedback, daher sind Mitarbeitende und Kunden für mich die wichtigsten Förderer. Wirklich.

Auf wen hören Sie?

Auf meine hochgeschätzte Kollegin Anja Hahn, mit der ich seit mittlerweile 13 Jahren doubleYUU aufbauen darf. In Fachfragen höre ich auf unsere Experten. Wir sind alle Spezialisten auf unseren jeweiligen Gebieten, die Meinung des Teams ist für mich daher sehr wichtig. Und schlussendlich gehöre ich zu den Menschen, die nach wie vor auch mal was aus dem Bauch heraus entscheiden.

Was sind Eigenschaften, die Sie an Ihren Chefs bewundert haben?

Vertrauen, Fairness und Offenheit für die Meinung anderer sowie Einstehen für das Team. Eine Haltung haben und diese gegen Widerstände vertreten gehört ebenso dazu.

Was sollte man als Chef auf keinen Fall tun?

Nicht gut zuhören. Mitarbeiter und ihre Expertise nicht schätzen und immer alles kontrollieren wollen. Je älter man wird, desto kürzer wird die Halbwertzeit des eigenen Wissens. Diese Erkenntnis sollte zu Demut vor neuen Generationen führen.

Was sind die Prinzipien Ihres Führungsstils?

Zusammenarbeit bedeutet für mich nicht, dass alle in einem Großraumbüro sitzen und sich an der Kaffeemaschine zum Plausch treffen. Ich halte Büros und Konferenzräume für überbewertet. Bei doubleYUU haben wir unser Büro bereits 2015 abgeschafft – seitdem zeigen alle relevanten KPIs nach oben. Wer bei doubleYUU arbeitet, ist entweder beim Kunden oder arbeitet, wo immer sie oder er möchte. Gespräche führe ich gerne beim Spazierengehen oder an inspirierenden Orten. Ich lade meine Mitarbeiter gerne ein – zum Workshop am Meer, zum Wohnzimmerkonzert bei mir zu Hause, bei meinem Lieblingsitaliener Il Locale oder zum virtuellen Negroni-Abend.

Wie wichtig war/ist Ihnen Geld?

Geld bedeutet ein gewisses Maß an Freiheit. Wer mit Begeisterung und Leidenschaft arbeitet, hat fast von alleine Erfolg. Schön finde ich den Spruch des 1. Gewinners bei „Schlag den Raab“ (frei zitiert): „Erst seitdem ich die Million gewonnen habe, muss ich über Geld nachdenken.“

Was erwarten Sie von Ihren Mitarbeitern?

Vollständig remote zu arbeiten funktioniert langfristig am besten mit Menschen, die sehr selbstständig arbeiten, proaktiv kommunizieren und mit- und vorausdenken. Außerdem erwarte ich offenes Feedback und schnelle Umsetzung.

Worauf achten Sie bei Bewerbungen?

Natürlich ist die Expertise wichtig, aber ich bin keiner, der sich in Bewerbungsgesprächen den Lebenslauf seines Gegenübers erzählen lässt. Bei uns ist wichtig, dass die Chemie passt und jemand in der Lage ist, eigenverantwortlich zu arbeiten und gerne im Team remote arbeitet.

Duzen oder siezen Sie?

Wir duzen uns natürlich bei doubleYUU. YOU.

Was sind Ihre größten Stärken?

Mein norddeutscher Humor und meine Leidenschaft für Neues. Beides ergänzt sich übrigens ganz gut.

Was sind Ihre größten Schwächen?

Ich hasse Prozesse, die sich wie ein Kaugummi ziehen. Ich erwarte Lernbereitschaft bei schnellen Veränderungen und bin sehr freiheitsliebend. Das macht es für meine Mitstreiter ab und an recht anspruchsvoll. Ich lege mich ungern auf Planungen fest und habe schnell neue Ideen. Was manchmal die Entscheidungsfindung und auch die Umsetzung erschwert.

Was würden Sie ihn fragen?

Jürgen Klopp würde ich fragen, wie er den Ausgleich findet zwischen Anspannung und Entspannung. Und die Familienunternehmer, wie sie die Übergabe an die nächste Generation aktiv gestalten.

Welche Entscheidung hat Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen?

Die Abschaffung unseres Büros war ein zentraler Schritt für die Entwicklung von doubleYUU. Bei Auflösung des Büros waren wir 30 Mitarbeiter. Heute sind wir insgesamt 140 Berater. Und natürlich, dass ich den Job als Fußballtrainer in Bangladesch nicht angenommen habe.

Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?

Meine Frau sagt, zu viel.

Wie viele Stunden schlafen Sie (pro Nacht)?

Meine Frau sagt, zu wenig.

Wie gehen Sie mit Stress um?

Früher war Stress ein wichtiger Antrieb für mich. Heutzutage nehme ich mir bewusst Auszeiten und ziehe mich zum Beispiel in unser Ferienhaus an der Ostsee zurück und lade dort meine Akkus auf.

Wenn Sie anderen Menschen nur einen Rat für ihren beruflichen Werdegang geben dürften, welcher wäre das?

Seid mutig und neugierig.

Was unterscheidet den Menschen von dem Manager Willms Buhse?

Nichts. Ich bin im Privatleben kein anderer Mensch als im Job. Da beides auf demselben Wertekompass basiert, sind die Grenzen für mich eher fließend.

Und zum Schluss: Was wollten Sie immer schon mal sagen?

Den Managern und Unternehmern im Mittelstand möchte ich sagen: Seid mutig, seid offen für Innovationen und traut euch, neue Wege zu gehen. Die nächste Generation wird es euch danken.