Hamburg. Krankenkassen reagieren empört, selbst die Ärztekammer schaltet sich ein. Was Patienten in Hamburg erwarten könnte.
In der gesetzlichen Krankenversicherung fehlen im kommenden Jahr 17 Milliarden Euro – und diese Summe muss eingespart werden. Was sich so lapidar liest, kann dank der dazugehörigen Einzelmaßnahmen aus dem Haus von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zum sozialen Sprengstoff werden. Denn die Bürgerinnen und Bürger werden es nicht nur direkt im Portemonnaie spüren, sondern auch beim Arztbesuch.
Um 0,3 Prozentpunkte soll der Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung durchschnittlich ab 2023 steigen. Den tragen die Arbeitnehmer ohnehin allein. Gleichzeitig werden sie sich spätestens vom kommenden Jahr an auf Einschränkungen bei Arztterminen und auf Wartelisten einstellen müssen, sollten die niedergelassenen Ärzte ihre Drohungen wahrmachen.
Einsparungen lösen Wut bei Hamburgs Ärzten aus
So sieht es stellvertretend für die Krankenkassen auch der Vorstandschef der Techniker Krankenkasse, Dr. Jens Baas: Lauterbach und die Ampel hätten ihren eigenen Koalitionsvertrag vergessen und agierten nur kurzfristig. „Es sind vor allem die Beitragszahlenden, die mit ihren Reserven und höheren Beiträgen die Finanzlücke in der gesetzlichen Krankenversicherung schließen sollen. Diese Herangehensweise ist nicht nur nicht gerecht, sie lässt auch jegliche Nachhaltigkeit vermissen“, so Baas nach der Verbandsanhörung zum Gesetz.
Was sich vergleichsweise sachlich beim Chef von Deutschlands größter Kasse anhört, wendet sich in Wut, wenn man den Ärztinnen und Ärzten aus Hamburg lauscht. Nicht einmal die Verlockung, die Honorarausfälle mit der Behandlung von Privatpatienten zu kompensieren, scheint geeignet, sie zu besänftigen. Aus gutem Grund: In manchen Quartieren gibt es kaum Privatversicherte. Und: Auch sie lassen sich nicht beliebig „melken“.
Vertragsärzte in "wirtschaftlicher Notlage"
Das führt dazu, dass Dr. Torsten Hemker, Landesvorsitzender des Berufsverbandes für Orthopädie und Unfallchirurgie, sagt: „Seit Jahren sind auch die Honorare für die Privatpatienten nicht angepasst worden, aber die Gebührenordnung für Tierärzte. Die Behandlung meines Hundes wird jetzt teurer als die eines privatversicherten Patienten.“
Hemker hat an alle Mitglieder des Gesundheitsausschusses im Bundestag geschrieben. Es könne nicht sein, dass die vereinbarte Mehrarbeit bleibe, die Extra-Honorierung für die Neupatienten aber gestrichen werde: „Vertragsärzte sind gerade jetzt in einer wirtschaftlichen Notlage: Die Kostensteigerungen schlagen – wie überall – durch, aber die Einnahmen sind planwirtschaftlich reglementiert.“ Das gefährde die bewährte Versorgung.
Ärztekammer schaltet sich ein
Auch wenn die Ärztekammer sich extrem selten in einen Streit der Niedergelassenen mit Politik und Kassen einmischt, hält sie es nun für geboten. Ihre Vizepräsidentin Dr. Birgit Wulff sagte, es könne nicht sein, „dass das Einsparpotenzial regelhaft nur auf der Leistungsseite und hier insbesondere bei den Ärztinnen und Ärzten verortet“ werde. Es sei ein Gebot der Fairness, die Kostenstrukturen der Krankenkassen offenzulegen. Kammerpräsident Dr. Pedram Emami will am liebsten die Verwaltung und „Überwachung“ der Kassen schleifen.
„Aufräumen statt Beiträge aufstocken – das sollte die Devise der Kassen für die anstehenden Beratungen zum Finanzstabilisierungsgesetz sein.“ Die Vorstandsvorsitzende des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherungen, Doris Pfeiffer, entgegnete: Es sei „unglaublich, dass die Ärzteschaft in der politischen Auseinandersetzung um die Höhe ihrer Honorare damit droht, das Behandlungsangebot für kranke Menschen einzuschränken“.
Einsparungen führen zum Wegfall von Leistungen
HNO-Arzt Dr. Dirk Heinrich, Vorsitzender des Virchowbundes der Niedergelassenen, sagte, das Streichen der Neupatienten-Regel sei eine Honorarkürzung. Nimmt zum Beispiel ein Hausarzt einen neuen Patienten auf, ist sein Aufwand größer, weil er mehr und länger untersuchen muss, Medikamente neu verschreibt und diesen Patienten zumeist häufiger sieht als die angestammten. Deshalb bekamen die Ärzte mit dem Terminservicegesetz (von Lauterbach befürwortet) die Gelegenheit, diesen Aufwand real erstattet zu bekommen – und nicht bloß eine gedeckelte Quartalspauschale zu erhalten.
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Deshalb sagte Heinrich jetzt: „Wird die Vergütung reduziert, müssen auch die Leistungen eingeschränkt werden, insbesondere im Hinblick auf Inflation und Fachkräftemangel in den Praxen. Dann kommen wieder Wartezeiten bei Terminvergaben – also eine eindeutige Leistungskürzung.“ Die Neupatienten-Regel war für Hamburg günstig, weil es viele Neubaugebiete mit Zugezogenen gibt, die Haus- und Fachärzte suchen. Außerdem ist die Ärzteschaft überaltert und die Neigung zu einer Praxisgründung nimmt bei vielen jungen Medizinern weiter ab.