Hamburg . Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider spricht mit dem ehemaligen Uni-Präsidenten Dieter Lenzen über die (großen) Themen unserer Zeit.
In ihrem gemeinsamen Podcast „Wie jetzt?“ unterhalten sich Abendblatt-Chefredakteur Lars Haider und Ex-Unipräsident Dieter Lenzen über Themen, die Wissenschaft und Journalismus gleichermaßen bewegen. Heute geht es um die Frage, was Robert Habeck hat, was andere Politiker nicht haben.
Lars Haider: Schon länger wollte ich mit Ihnen darüber sprechen, was Robert Habeck, unser Vizekanzler, hat, was andere Politikerinnen und Politiker nicht haben. Aber Sie wollten nicht so recht, ich musste Sie überreden.
Dieter Lenzen: Ich frage mich, ob die Form, wie er erscheint, auch die Form ist, wie er ist. Das wäre ja schon ungewöhnlich.
Zweifeln Sie daran?
Theoretisch könnte er ein großartiger Schauspieler sein. Beim ukrainischen Präsidenten Selenskyj ist das der Fall, der hat in seinem früheren Berufsleben als Komiker und Schauspieler alles gelernt, was man braucht, um Menschen zu beeindrucken, und das macht er großartig. Natürlich steht er hinter dem, was er sagt, da kann es angesichts des Krieges gar keinen Zweifel geben.
Zurück zu Habeck.
Ich habe über ihn nachgedacht und mir überlegt, dass es fünf Elemente gibt, die Robert Habeck ausmachen. Ich fasse das bewusst in besondere Begriffe. Erstens: Habeck ist Erde, das heißt, er steht mit beiden Beinen auf dem Boden, ist pragmatisch und somit auch effektiv. Zweitens: Habeck ist Horizont. Man könnte den Umstand, dass er zwischen zwei Meeren aufgewachsen ist, zwischen Nord- und Ostsee, als Metapher verwenden. Er scheint einen gewissen Weitblick mitzubringen, der über den Tag hinaus geht, was für einen Politiker nicht selbstverständlich ist. Drittens ist Habeck für mich ein Däne, auch wenn er natürlich kein Däne ist, sondern Deutscher. Ich meine damit, dass er eine gewisse Unaufgeregtheit und Zuverlässigkeit mitbringt, was bei Bürgerinnen und Bürgern kleiner Länder häufiger der Fall ist, weil sie darauf angewiesen sind, dass man ihnen vertraut.
Das ist ein interessanter Punkt. Habeck bleibt auch nichts anderes übrig, als die Menschen von sich durch sein Auftreten und seine Persönlichkeit zu überzeugen, weil er aus einem eher kleineren Bundesland am Rande Deutschlands kommt, genauer gesagt aus Flensburg und Schleswig-Holstein, und eben aus einer Partei, der man bisher nicht zugetraut hat, den Kanzler oder die Kanzlerin zu stellen.
Man könnte ein Experiment machen: Wem würden Sie Ihren Hund anvertrauen, wenn sie für eine Woche in den Urlaub fahren? Bei Habeck hätte ich da wenig Bedenken, der würde sich gut kümmern, auf den kann man sich verlassen. Das gilt nicht für alle Politikerinnen und Politiker, die ich kenne.
Wenn ich die Wahl hätte, meinen Hund Habeck, Olaf Scholz oder Christian Lindner anzuvertrauen, wäre Habeck der letzte, dem ich den Hund geben würde.
Nee, also das verstehe ich nun überhaupt nicht.
Wenn Scholz zusagt, würde ich wissen, dass er schon dafür sorgen würde, dass es dem Hund gut geht, das Gleiche bei Christian Lindner. Bei Habeck hätte ich Sorgen, dass er es zwar machen würde, weil er ein netter Mensch ist, dann aber irgendwie nicht die Zeit finden würde, sich um ihn zu kümmern.
Ich rede nicht darüber, wie Habeck sich in solch einem Fall tatsächlich schlagen würde. Ich rede darüber, wie er erscheint. Und er erscheint sehr zuverlässig und sympathisch.
Erde, Horizont, Däne – zwei Beschreibungen für Habeck fehlen noch.
Nummer vier ist der Friedensrichter, also jemand, der bei Streitigkeiten um Ausgleich bemüht ist.
Das passt.
Und das fünfte ist das Dominante: Habeck ist Sprache, und daraus speist sich alles, was ich vorher beschrieben habe. Er kann so wirken, wie er wirkt, weil er Sprache ist. Er hat das gelernt, er hat das studiert, in Hamburg übrigens, er hat sogar promoviert hier, mit einer Arbeit über Ästhetik. Er setzt seine Sprache im Übrigen nicht strategisch ein, er kann schlicht so reden, dass er die Menschen mit dem, was er sagt, begeistert.
Das ist auch für mich der Kern der Faszination Habeck, ich höre dem gern zu. Mir würde trotzdem noch ein sechster Begriff zu ihm einfallen: Robert Habeck ist Grauburgunder. Das ist die Rebsorte in Deutschland, die den meisten Weintrinkern schmeckt, mit der man nichts falsch machen kann und in der jeder etwas für sich finden kann.
Ihr Beispiel will ich gern aufnehmen. Mag sein, dass der Grauburgunder allen schmeckt, aber wissen Sie warum? Weil er schmeckt. Grauburgunder hat einen stärkeren Geschmack als viele andere Weißweine.
Was aber daran liegt, dass die meisten Menschen nie über den Grauburgunder als Einstiegswein hinausgekommen sind, eben, weil er so kompatibel ist, nicht aneckt und niemandem wehtut. Ein Riesling wird niemals so viel Anhänger finden, weil man sich damit beschäftigen muss und weil er sehr speziell, damit aber auch besonders sein kann. Ich will jetzt nicht sagen, dass Olaf Scholz der Riesling unter den Politikern ist, wenn Habeck der Grauburgunder sein sollte, aber ganz falsch ist dieses Bild nicht.
Anders als Olaf Scholz antwortet Robert Habeck auf Fragen aber nicht ausweichend. Außerdem bemüht er sich, bei allem, was er sagt, stärker um das Gesamtbild. Das heißt: Er engt das Thema nicht ein, er weitet es aus, das meinte ich vorhin mit dem Horizont.
Habeck erzählt den Gesamtzusammenhang mit, während Scholz sich auf einen Sachverhalt konzentriert, entweder in der Hoffnung, dass alle schon wissen, was er meint, oder in der Annahme, dass die meisten Menschen sowieso nicht genau verstehen, um was es geht.
Im Grunde darf man nicht nur die beiden miteinander vergleichen, sondern muss noch andere Politikertypen hinzuziehen, etwa Christian Lindner, von dem Sie schon gesprochen haben.
Bei Lindner merkt man am ehesten, für wen er Politik macht. Dieses, was man schnell ideologisch nennen könnte, steht bei Habeck fast gar nicht im Mittelpunkt. Man merkt, dass er nicht mehr der grüne Oppositionspolitiker ist, sondern der Vizekanzler und Wirtschaftsminister, der mehr Menschen ansprechen will.
Man erlebt das im Krieg, in dem er das Gegenteil von einem „Friedenshetzer“ ist.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat neulich im „Spiegel“ gesagt, dass er Robert Habeck auch gern zuhöre, dass es aber nicht dessen Anspruch sein könne, am Ende der Legislaturperiode für seine Sprache den Ingeborg-Bachmann-Preis zu erhalten. Das war natürlich leicht süffisant gemeint, trifft aber den Kern von Politik: Es geht nicht ums Reden, sondern ums Machen.
Entscheidend ist, wie Sprache mit dem eigenen Handeln zusammenhängt. Das ist ein langer wissenschaftlicher Diskurs: Bestimmt das Sprechen das Handeln oder hat das eine mit dem anderen gar nichts zu tun? Die Antwort ist: Es hängt zusammen, das geht sogar so weit, dass manche Handlungen allein durch die Sprache erzeugt werden. Deshalb gehe ich davon aus, dass sich das Handeln von Robert Habeck nicht nur in der Sprache spiegelt, sondern davon auch mitbestimmt wird. Umgekehrt ist er in der Lage, seine und fremde Handlungen so in Sprache zu fassen, dass es überhaupt einen Begriff dafür gibt. Das ist das A und O. Wenn Politiker nach den richtigen Worten suchen, kann man daraus oft auch ablesen, dass die entsprechende Handlung oder Entscheidung nicht richtig durchdacht ist.
Würden Sie dann Olaf Scholz unterstellen, dass seine Handlungen nicht richtig durchdacht sind?
Wenn man nichts sagt, kann man diese Frage nicht beantworten.
Viele von uns haben Barack Obama ähnlich gern zugehört wie Robert Habeck. Und dann tritt Obama zurück, Donald Trump gewinnt die Wahl, und alles, was sich bei Obama so gut angehört hat, entpuppt sich – ja, als was?
Ich würde mich dagegen wehren zu sagen, dass Obama den Trump-Effekt erzeugt hat. Die Republik war schon sehr viel länger gespalten, und durch die Wahl eines Präsidenten wie Obama ist diese Spaltung leider nicht geheilt worden. Und Obama hat nicht nur Reden gehalten, er hat gravierende Entscheidungen getroffen, denken Sie nur an das Gesundheitssystem. Diese Entscheidung hat die Spaltung der USA vielleicht sogar weiter vorangetrieben. Wenn sie eine Wirklichkeit verändern wollen, bleibt ihnen aber nichts anderes übrig, dann müssen sie sich im Zweifel auch unbeliebt machen.
Wird Robert Habeck der Kanzlerkandidat der Grünen bei der nächsten Bundestagswahl?
Nach jetzigem Stand wären sie schlau, wenn sie es so machen würden.