Hamburg. Trotz Corona stieg die Zahl im Vergleich zum Vorjahr. Städtische Mitarbeiter bringen mehr Vorkommnisse zur Anzeige.
Potenzielle Täter-Opfer-Kontakte gab es in der Krise seltener: In vielen Amtsstuben kam der Publikumsverkehr während der Corona-Lockdowns zum Erliegen, viele Bürger greifen inzwischen digital auf die städtischen Dienstleistungen zu. Trotzdem ist die Zahl der Übergriffe auf Hamburgs Beamte im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit weitgehend stabil geblieben – das geht aus einer Statistik des Personalamts hervor, die dem Abendblatt vorliegt. Demnach meldeten die Staatsdiener im Vorjahr 1815 Übergriffe (2020: 1734) und damit 37 mehr als 2018, aber rund 200 weniger als 2019. Dass der berühmte „Corona-Effekt“ kaum durchschlug, dürfte auch daran liegen, dass die Bediensteten in den vergangenen Jahren für das Thema sensibilisiert worden sind und sie Übergriffe eher melden – auch die vermeintlichen „Bagatellen“.
Das zeigt sich etwa in Altona, wo die Fallzahlen seit vier Jahren auf hohem Niveau verharren. Auslöser dafür war ein schwerer Übergriff auf zwei Mitarbeiter des Bezirksamts, die beim dort angedockten zentralen Zuführdienst beschäftigt waren. Als sie im September 2018 einen psychisch kranken Mann „zwangsvorführen“ wollten, griff der Verwirrte sie mit brennendem Spiritus an. Ein 50-Jähriger starb, sein Kollege (59) ist durch die Tat dauerhaft gezeichnet. Noch im selben Jahr sei die Meldepraxis in Altona verändert worden, „wodurch sich die Anzahl der dort erfassten Fälle seit 2018 erhöht hat“, sagt Volker Wiedemann, Leiter des Personalamts.
Übergriffe auf Beamte in Hamburg – die meisten in Altona
Allein das Bezirksamt Altona meldete im Vorjahr 295 Fälle und damit 67,6 Prozent aller gewaltsamen Übergriffe auf Beamte in der Stadt. Betroffen waren fast nur Mitarbeiter des Zuführdienstes, vier von ihnen wurden schwer verletzt. Sie klagten über umgeknickte Daumen, Bisswunden oder Zahnschäden nach Kopfstößen. Weitere 66 Gewalttaten zeigten Beamte im Strafvollzug an. Von den aus der Haftanstalt und den Gefängnissen gemeldeten 172 Übergriffen sind 16 „sexuelle Grenzverletzungen“ aktenkundig geworden. Insgesamt wurden im Vorjahr zehn städtische Bedienstete schwer verletzt.
Offenbar hatte Kunde Bürger in der Corona-Zeit eine besonders „kurze Lunte“. So erreichte 2020 die Zahl der gewaltsamen Übergriffe mit 464 Fällen einen Spitzenwert – siebenmal gingen die Angreifer gar mit Waffen auf die Staatsdiener los. Im Vorjahr gab es zwar keine Angriffe mit Waffen und „nur“ 436 Fälle – aber das waren noch immer rund zwei Dutzend mehr als 2019. 27-mal setzten außer Kontrolle geratene Bürger dabei Gegenstände ein. Besonders schlimm erwischte es einen Marktmeister, der innerhalb einer Absperrung von einem Auto angefahren wurde. Er trug innere Verletzungen, einen Knochenbruch und Prellungen davon. Ein Schulhausmeister verlor einen Zahn, als zwei Täter ihm ins Gesicht schlugen. Bemerkenswert: Nicht ein städtischer Bediensteter schied infolge der Übergriffe im Vorjahr dauerhaft aus dem Dienst.
Zwei Mitarbeiter des LEB schwer verletzt
Noch immer auffällig hoch ist der Anteil der Gewalttaten an den 55 gemeldeten Vorfällen im Landesbetrieb Erziehung und Beratung (LEB). Der LEB nimmt unter anderem minderjährige unbegleitete Flüchtlinge in Obhut. 31 Übergriffe fielen in die Kategorie „körperliche Gewalt“, zwei Mitarbeiter wurden schwer verletzt. Weniger Drangsalierungen dieser Art mussten hingegen Feuerwehrleute ertragen: So sank die Zahl der Gewaltfälle von 44 im Jahr 2018 auf 23 im Vorjahr. Angriffe auf Polizisten im Vollzugsdienst werden separat erfasst.
Auch den Mitarbeitern der 16 Hamburger Jobcenter ist, mutmaßlich coronabedingt, ein entspannterer Arbeitsalltag vergönnt. Vor der Pandemie waren sie stadtweit noch mit am häufigsten von Anfeindungen betroffen. 2020 erstatteten sie lediglich 78 Anzeigen, 2021 sogar nur noch 53 – vor drei Jahren waren es noch 357. Regelrecht explodiert ist hingegen die Zahl der Übergriffe im Bezirksamt Wandsbek, sie stieg von 177 im Jahr 2020 (2019: 169) auf 413 im Vorjahr. Meist wurden die Bediensteten beschimpft oder bedroht. Personalamtschef Wiedemann erklärt das so: „Im Bezirksamt Wandsbek sind die gestiegenen Fallzahlen auf die Revierförsterei zurückzuführen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind häufiger Beleidigungen ausgesetzt, zum Beispiel wenn die Aufforderungen ausgesprochen werden, Hunde anzuleinen.“
Übergriffe auf Beamte in Hamburg: Fast tausend Beleidigungen aktenkundig
Überhaupt machten die Bürger in den Amtsstuben der Stadt vor allem mit Worten ihrem Ärger Luft: Aktenkundig sind 929 Beleidigungen und 376 Bedrohungen. Das Geschlechterverhältnis? Wie gehabt: Rund zwei Drittel der fast 2000 Tatverdächtigen sind männlich. 336-mal erstatteten die Opfer Strafanzeige oder Strafantrag, 40-mal kassierten die Täter ein Hausverbot (2020: 101). In den beiden Corona-Jahren waren 26 Bedienstete vorübergehend dienstunfähig.
Wie sich die Fallzahlen entwickeln, wenn die Corona-Krise endgültig Geschichte ist, bleibt abzuwarten. Es sei das Ziel des Senats, die Beschäftigten gegen Gewalt „bestmöglich zu schützen“, sagt Wiedemann. „Die Verwaltung hat deshalb in den vergangenen Jahren die Präventionsmaßnahmen ausgebaut und zum Schutz der Beschäftigten in deren Kompetenzen zum Umgang mit Gewalt investiert.