Hamburg. Zahl der Anlagen stagniert seit Jahren. Opposition und Betreiber fordern mehr Tempo vom Senat. Fällt Höhenbegrenzung von 150 Metern?
Es sind ehrgeizige Ziele, die von der Klimakrise und dem Ukraine-Krieg diktiert werden: Bis 2035 soll der Strom in Deutschland nach dem Willen der Bundesregierung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien stammen. Schon in ihrem Koalitionsvertrag hatte die Ampel deutlich gemacht, wie wichtig dabei der schnelle Ausbau der Windenergie auch an Land ist. Satte zwei Prozent der deutschen Landesfläche sollen demnach künftig für die Erzeugung von Strom aus Wind genutzt werden. Auch Hamburg wird hier seinen Beitrag leisten müssen – selbst wenn die Zweiprozentregel aufgrund dichter Bebauung letztlich wohl kaum auf die Stadtstaaten angewendet wird.
Allerdings tut Hamburg beim Ausbau der Windenergie schon seit Jahren zu wenig. So jedenfalls sehen es Linke und CDU, Windenergieerzeuger und auch Naturschützer – die jetzt vom rot-grünen Senat und der grün geführten Umweltbehörde mehr Engagement fordern. Hintergrund: In Hamburg sind seit Ende 2016 keine neuen Windkraftanlagen genehmigt worden. Die letzte neue Anlage ging im April 2018 in Betrieb. Laut Statistikamt Nord stammten 2020 gerade einmal 4,7 Prozent der Hamburger Stromproduktion aus Windenergie – aber 85,1 Prozent aus fossilen Energieträgern.
Neue Energien: Höhenbegrenzung bremst den Ausbau
Insgesamt gibt es in Hamburg derzeit 67 Windkraftanlagen, die in den Bezirken Bergedorf und Harburg und im Hafen stehen. Nur 0,24 Prozent der Landesfläche werden bisher in Hamburg für die Erzeugung von Windenergie genutzt. Dass auch in Stadtstaaten zumindest etwas mehr geht, zeigt Bremen, das bereits rund ein Prozent der Landesfläche für die Erzeugung von Windstrom ausgewiesen hat.
Gebremst wird der Ausbau durch eine weitere Hamburger Besonderheit: Im seit 2013 gültigen Flächennutzungsplan ist die Höhe der Anlagen stadtweit (mit Ausnahme von Hafen und Curslack) auf 150 Meter begrenzt. Die Begrenzung erschwert oder verhindert nach Aussagen von Branchenvertretern das sogenannte Repowering, die technische Modernisierung, die deutlich mehr Energieerzeugung ermöglicht. Laut Betreibern führt eine Erhöhung pro zusätzlichem Meter etwa zu einem Ertragszuwachs von einem Prozent. Eine Aufstockung der Anlagen würde demnach massiv mehr Windenergie erzeugen und Hamburgs CO2-Ausstoß insgesamt deutlich senken.
Zusätzliche Ausweisung von neuen Flächen gefordert
„Wir fordern die Aufhebung der Höhenbegrenzung im bestehenden Flächennutzungsplan der Windenergie-Eignungsgebiete“, sagte Jens Heidorn jetzt dem Abendblatt. Heidorn betreibt mit seiner NET-Gruppe Anlagen und ist zugleich stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands WindEnergie in Hamburg. Für ihn ist klar, was jetzt in Hamburg für eine zügige Erhöhung des Windstromanteils nötig wäre: „Wir brauchen die zusätzliche Ausweisung neuer Flächen, schnellere und vereinfachte Genehmigungsverfahren, vor allem bei Repoweringvorhaben, ausreichend Personal in der Umweltbehörde, um Genehmigungsverfahren schnell bearbeiten zu können, und eine Schutzgüterabwägung zugunsten der Windenergie auch durch das Amt für Naturschutz innerhalb der Behörde.“
Auch die Opposition ist nicht zufrieden mit der aus ihrer Sicht zu zögerlichen Politik des rot-grünen Senats beim Ausbau der Windenergie. „Bei anderen Energiequellen wie Solarenergie oder Wasserstoff überschlägt sich der Senat geradezu beim Handeln, aber bei der Windenergie befindet er sich seit fast zehn Jahren im Leerlauf“, sagt Linken-Umweltpolitiker Stephan Jersch. Der Ukraine-Krieg habe „den Druck erhöht, alle möglichen Maßnahmen zur Energieunabhängigkeit und zur hundertprozentigen Versorgung mit erneuerbaren Energien anzugehen – bei der Windenenergie gibt es auch in Hamburg ungenutztes Potenzial, das jetzt unbedingt aktiviert werden muss“, so Jersch. „Das Nichthandeln des Senats gefährdet nicht nur den Beitrag Hamburgs zum Ausbau der Windenergie, es gefährdet auch die bestehenden Anlagen durch das Verhindern eines wirtschaftlichen Repowerings.“ Jersch plädiert trotz möglicher Konflikte mit Anwohnern dafür, die Höhenbegrenzung anzuheben – auf 200 Meter.
Tschentscher bringt Hafen für Windkraftanlagen in Spiel
CDU-Umweltpolitiker Sandro Kappe fordert ebenfalls mehr Tempo. „Die CDU-Fraktion setzt sich für Windkraftanlagen im Hafengebiet ein. Hier ist ausreichend Platz, und es gibt grundsätzlich keine Konflikte mit Anwohnerinnen und Anwohnern“, sagte Kappe dem Abendblatt. „Der Senat muss die Ertüchtigung im Hafen zeitnah angehen.“ Dass der Bau von Windkraftanlagen in der Nähe von Wohnbebauung auch in Hamburg auf Gegenwehr von Anwohnern stößt, hatte 2013 etwa ein Bürgerentscheid in Bergedorf gezeigt, bei dem etwa zwei Drittel der Abstimmenden eine Höhenbegrenzung von 100 Metern gefordert hatten.
Kürzlich hatte auch Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) den Hafen für neue Windkraftanlagen ins Spiel gebracht. „Der Hafen kann auch weit über das bisherige Maß hinaus Ort für die Windstromproduktion selbst sein“, sagte Tschentscher im April vor dem Übersee-Club. „Nach einer ersten Analyse können bis zu 150 Megawatt Leistung zusätzlich installiert werden, wenn die Bedingungen für die Genehmigung von Windrädern vereinfacht werden, wie es Wirtschaftsminister Habeck kürzlich angekündigt hat.“
Umweltbehörde lässt bisher wenig konkretes verlauten
Dass Hamburg mehr tun muss, findet auch der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). „Genehmigungen für leistungsstärkere und effizientere neue Windkraftanlagen (Repowering) können in Hamburg den erneuerbaren Energieanteil naturverträglich steigern und die CO2-Emissionen senken“, sagte Landesgeschäftsführer Lucas Schäfer dem Abendblatt. „Wir fordern daher die Umweltbehörde auf, diese Chance zu ergreifen. Voraussetzung ist eine Umweltverträglichkeitsprüfung inklusive Abschalt-Algorithmus zum Schutz von Vögeln und Fledermäusen.“
Aus der von Senator Jens Kerstan (Grüne) geführten Umweltbehörde heißt es zur Frage möglicher weiterer Anlagen bisher wenig konkret, man habe „bereits behördenübergreifende Voruntersuchungen für ein Flächenscreening im Außenbereich und für weitere Standorte auf dem Hamburger Stadtgebiet angestrengt“. Eine Änderung oder Aufhebung der im Flächennutzungsplan fixierten Höhenbegrenzung der Anlagen von 150 Metern ist aktuell noch nicht geplant – für die Zukunft allerdings wohl nicht ausgeschlossen.
Windkraftanlagen in Hamburg: Senat will rechtliche Änderungen der Bundesregierung abwarten
Der Senat will aber zunächst die von der Bundesregierung geplanten rechtlichen Änderungen abwarten. „Auf Bundesebene wird aktuell ein Gesetzesvorhaben vorbereitet, das sich mit der Beschleunigung des Ausbaus von Windenergieanlagen beschäftigt“, sagte Umweltbehördensprecherin Renate Pinzke. „Die Bestimmungen dieses Gesetzes werden Auswirkungen auf den Ausbau von Windenergieanlagen auf Hamburger Stadtgebiet haben und infolgedessen auch zu einer Überprüfung des Flächennutzungsplans führen.“
Mit 14 Anlagen stehen die meisten der 67 Hamburger Windräder bereits heute im Hafengebiet. Dort läuft laut Umweltbehörde derzeit ein Genehmigungsverfahren für eine weitere Anlage. 13 Windenergieanlagen gibt es in Francop, zehn in Altengamme, neun in Neuengamme, sieben in Ochsenwerder, fünf in Curslack, vier in Neuland, drei in Georgswerder und zwei in Neuenfelde. Sechs der Anlagen stehen auf städtischem Grund, 13 auf Grundstücken städtischer Unternehmen und 48 auf Privatgrund.