Hamburg. OMR-Gründer Philipp Westermeyer über die beiden Corona-Jahre, die Rückkehr in die Messehallen, seinen Podcast und über das Alter.

Zwei Jahre musste das OMR Festival pausieren. Nun ist es wieder da! 60.000 bis 70.000 Besucherinnen und Besucher werden in den Hamburger Messe­hallen erwartet. Im Interview blickt OMR-Chef Philipp Westermeyer ein wenig zurück – und nach vorn. Im Gespräch geht es um Trends in der Werbung und die Zukunft des Journalismus.

Wie viele Mitarbeiter hattest du vor der Absage des OMR Festivals 2020 in deinem Unternehmen?

Philipp Westermeyer: Rund 120.

Und heute?

Westermeyer: Rund 300.

Wie kann es sein, dass du zwei Jahre auf dein bis dahin wichtigstes Produkt, das Festival, verzichten musst und sich die Mitarbeiterzahl fast verdreifacht?

Westermeyer: Das liegt an unserem stark wachsenden Podcast-Business, an einem neuen Bereich, einer großen Website als Anlaufstelle für Software-Bewertungen von echten Nutzern. Und es lag am Impfzentrum in den Hamburger Messehallen, für das wir im vergangenen Jahr neun Monate den Betrieb verantwortet haben. Dadurch war unser Event-Team intensiv ausgelastet in den letzten Monaten. Außerdem haben wir im Bereich Weiterbildung ein anderes Unternehmen mit rund 45 Arbeitsplätzen übernommen.

Damit konntest du nicht rechnen, als das OMR Festival 2020 wegen Corona abgesagt werden musste. Hattest du damals Sorge um die Existenz des Unternehmens?

Westermeyer: Ein, zwei Tage vor der Absage haben wir die Auswirkungen auf das Unternehmen modelliert. Damals war uns klar, dass wir das irgendwie überstehen würden, auch wenn es schmerzhaft werden und viel Geld kosten würde. Mir war wichtig, alle Arbeitsplätze zu erhalten. Das war unser wichtigstes Ziel.

Hat das auch mit denen funktioniert, die ausschließlich im Festival-Bereich gearbeitet haben?

Westermeyer: Zum Glück. Wir hatten zunächst drei, vier Monate damit zu tun, das Festival rückabzuwickeln. Danach wollten wir mit den Kolleginnen und Kollegen eigentlich das Festival 2021 planen. Als sich abzeichnete, dass es das auch nicht geben wird, kam die Anfrage, ob wir das Corona-Impfzentrum in den Messehallen mitorganisieren könnten. Und dafür brauchten wir sogar mehr Mitarbeiter, als wir sie bis dahin im Bereich Events hatten.

Philipp Westermeyer 2019 in den Messehallen: „Das OMR Festival ist der Versuch eines ungewöhnlichen Kunststücks.“
Philipp Westermeyer 2019 in den Messehallen: „Das OMR Festival ist der Versuch eines ungewöhnlichen Kunststücks.“ © Julian Huke Photography/OMR | Julian Huke

Angesichts der Entwicklung deines ­Unternehmens hättest du eine Neuauflage des OMR Festivals 2022 trotzdem nicht gebraucht.

Westermeyer: Das stimmt, und ich habe zumindest im Kopf einmal durchgespielt, wie es wäre, wenn wir die Geschichte des OMR Festivals mit dem wirklich perfekten Jahr 2019 enden lassen. Das wäre einerseits ein idealer Ausstieg gewesen, der mögliche Anfang einer Legende. Andererseits ist das Interesse an dem Festival so groß wie noch nie, sowohl bei den Ausstellern als auch bei Besuchern, und die Leidenschaft bei meinem Team dafür hat auch nicht nachgelassen. Wir hätten es allein aus wirtschaftlichen Gründen nicht machen müssen, aber es ist und bleibt attraktiv, es zu tun, wir haben die besten Leute dafür – und es macht mir nach wie vor riesigen Spaß.

Wie wird das sein, wenn du nach diesen zwei Jahren zum ersten Mal wieder auf der Festival-Bühne stehen wirst?

Westermeyer: Klar ist das emotional, nach allem, was passiert ist, aber es ist ja auch ein Job, und ich versuche den so gut zu machen, wie es geht. Mal schauen, wo das hinführt. Ganz sicher möchte ich den vielen Menschen danken, die weiter an uns geglaubt haben. Ich weiß noch, wie ich im Frühjahr 2020 als Referent bei einem kleinen IT-Treffen auf Kampnagel in Hamburg war, vor 50 statt vor 5000 Menschen. Damals dachte ich: Das kann es nicht sein, so kann die Geschichte nicht zu Ende gehen. Ich habe den Leuten versprochen, sie alle zum nächsten OMR Festival einzuladen. Und die meisten kommen jetzt wirklich.

Und wie viele kommen insgesamt?

Westermeyer: Es werden sicherlich mehr als 60.000 Besucher kommen, ich halte auch rund 70.000 nicht für unmöglich. Die Leute haben einfach unglaubliche Lust, sich wieder zu treffen, und sind müde, was die digitalen Zwischenlösungen angeht. Natürlich waren Zoom-Konferenzen während der Hochphasen der Pandemie die Rettung, aber heute freut sich doch kein Mensch mehr auf ein digitales Event. Und es kommt hinzu, dass wir versucht haben, ein Programm zu machen, das noch massiver ist als vorher. Wenn man sich ansieht, welche Musiker bei uns auftreten, dann ist das ein Line-up, wie es viel besser bei einem reinen Musik-Festival nicht sein könnte – und das mitten in Hamburg. Auch das Medieninteresse ist riesig: CNN schickt ein Team, von „Gala“ über „Bunte“ bis „Spiegel“ und „Süddeutsche Zeitung“ sind alle dabei, das hatten wir früher nicht. Ich glaube, dass es so etwas wie das OMR Festival in Deutschland in diesem Jahr nicht noch einmal gibt.

Die Sorge, dass etwas dazwischenkommen könnte, bleibt bis zuletzt?

Westermeyer: Ich bin durch die Ereignisse der vergangenen zwei Jahre vorsichtig und etwas paranoid geworden. Wenn etwas Unerwartetes passiert, bin ich heute ganz anders alarmiert als vor Corona. Bis Anfang 2020 hatte man ja das Gefühl, dass es eine Art Grundrecht darauf gibt, Großveranstaltungen durchzuführen. Mit vielen Fragen, die ich mir heute stelle, habe ich mich damals gar nicht beschäftigt. Corona hat die Perspektiven verändert und mich deutlich sensibler gemacht.

Ein Kern des OMR Festivals ist deine Ansprache zum „State of the Internet“. Was sind dieses Jahr die großen Trends?

Westermeyer: Eine Sache, mit der wir uns größer beschäftigen, ist, dass Werbung in den sozialen Medien immer, immer teurer wird. Es stellt sich deshalb die Frage, wie man in diese Kanäle hineinkommt, ohne direkt dafür zu bezahlen. Eine Lösung ist zum Beispiel riesige, krasse Plakatwerbung am Times Square in New York oder an anderen wichtigen Plätzen auf der Welt. Und zwar nicht, um Menschen zu erreichen, die an dieser Werbung vorbeilaufen, sondern um Leute dazu zu bewegen, dieses Plakat zu fotografieren und dieses Foto auf Instagram zu posten. So kommt man viel günstiger in die entsprechenden Social-Media-Kanäle, das ist ein interessanter Trend 2022.

Ein anderes Beispiel: Chelsea ist als einer der ersten Fußballvereine darauf gekommen, dass man die Werbung auf den Trikots der Spieler doppelt verkaufen kann. Ein Partner zahlt für sein Logo auf den Spieltagtrikots, ein anderer zahlt für die Trikots, die die Spieler beim Training tragen. Das wird zwar nicht live im Fernsehen übertragen. Dafür posten ganz viele Spieler jeden Tag Fotos aus dem Training von sich und erreichen etwa über ihre Instagram-Kanäle damit viele Millionen Menschen. Vielleicht hat man damit sogar mehr Reichweite als an eine­m normalen Spieltag. In jedem Fall kommt Trivago, der Sponsor des Trainingstrikots, günstiger in die Feeds der Menschen, als wenn man direkt bei In­stagra­m und Co. buchen würde.

Hingucker unterm Fernsehturm: das OMR Festival 2019
Hingucker unterm Fernsehturm: das OMR Festival 2019 © Julian Huke Photography/OMR | Julian Huke

Ihr habt in den vergangenen zwei Jahren auch mit Filmdokumentationen experimentiert, zuletzt habt ihr eine über die Werber von Jung von Matt veröffentlicht …

Westermeyer: … und ich glaube fest, dass das ein Bereich ist, der eine große Zukunft vor sich hat. Man sieht schon jetzt, wie stark Dokumentationen das Bild einer Marke beeinflussen können, das beginnt bei Gucci und endet bei einem Penny-Supermarkt auf dem Kiez. Ob Fahrschulen oder Hofläden, man kann über Dokumentationen so viel bewegen: Ich sage voraus, dass jedes relevante Unternehmen in den nächsten Jahren eine Doku über sich haben wird. Das Interesse daran ist riesengroß, was wir auch daran sehen, wie viele Anfragen wir dafür bekommen. Ein, zwei davon werden wir auch umsetzen.

Wie geht es mit deinem eigenen Podcast weiter, du steuerst auf Folge 500 zu … Kommst du nicht langsam an einen Punkt, an dem du denkst: Ich habe sie alle einmal gehabt, es reicht?

Westermeyer: Das ist eine gute Frage. Es gibt immer noch Höhepunkte, ich war zum Beispiel neulich beim Mercedes-CEO, beim Gründer des Europaparks in Rust oder hab den neuen deutschen Rap-Star RIN getroffen. Solche Begegnungen liefern jedes Mal wieder neue Energie. Es bereichert mein Leben regelmäßig, solche Treffen zu haben. Dazu bin ich sehr, sehr neugierig auf die Geschichten anderer Menschen, und die Frage ist, wie lange sich diese Neugier erhält. Manchmal merke ich, dass es nachlässt, dass ich anfange, mechanisch Fragen zu stellen, ohne mich wirklich zu interessieren. Das ist gefährlich, und das will ich auf keinen Fall. Aktuell habe ich noch etliche Leute auf der Liste, auf die ich mich sehr freue. Aber wenn die Neugier darauf irgendwann einmal nicht mehr da sein sollte, wird es einen anderen Gastgeber des Podcasts geben müssen.

Bis dahin duzt du die meisten deiner Gäste, selbst den Mercedes-CEO.

Westermeyer: Es gibt nur sehr wenige Leute, die ich sieze. Bei Günther Jauch habe ich mich damals zum Beispiel nicht getraut zu fragen, ob wir uns duzen.

Letzte Frage: Spürst du das Alter?

Westermeyer: Sehr gute Frage, aber es ist so. Vor fünf, sechs Jahren war ich immer der Jüngste, inzwischen treffe ich Leute, die deutlich jünger sind als ich und extrem ungewöhnliche Dinge machen. Vermutlich werden das in Zukunft immer mehr werden …

Das Magazin „Philipp – Volume 3 – Come back stronger“ zum OMR Festival, in dem auch dieses Interview mit Philipp Westermeyer und viele andere, spannende Gespräche zu lesen sind, gibt es auf abendblatt.de/shop oder ab heute in der Geschäftsstelle am Großen Burstah.

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