Hamburg. Bei einem Schlaganfall drohen den Betroffenen bleibende gesundheitliche Schäden. Eine schnelle Behandlung kann Schlimmeres verhindern. Ein Hamburger Experte blickt in diesem Zusammenhang kritisch auf einen Nebeneffekt der Corona-Schutzmaßnahmen.
Nach der Entspannung der Corona-Lage in den Krankenhäusern behandelt das Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) wieder mehr Schlaganfallpatienten. "Das hat sich nach Ende der ersten und bei der zweiten Welle sehr schnell wieder normalisiert", sagte der Leiter der Schlaganfall-Abteilung in der Klinik für Neurologie, Prof. Götz Thomalla, der Deutschen Presse-Agentur. Der Mediziner rief Patienten auf, sich beim Auftreten typischer Symptome schnellstmöglich in Behandlung zu begeben. Mit dem Tag gegen den Schlaganfall an diesem Dienstag (10. Mai) wollen Ärzte bundesweit das Bewusstsein für die Gefahren dieser Erkrankung schärfen.
In der ersten Corona-Welle von März bis Mai 2020 war die Zahl der Schlaganfall-Behandlungen in Deutschland um 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gesunken, wie das Wissenschaftliche Institut der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) anhand von Abrechnungsdaten ermittelte. In der zweiten Corona-Welle zwischen Oktober 2020 und Januar 2021 wurde ein Rückgang um 11 Prozent im Vergleich zum entsprechenden Zeitraum 2019/20 festgestellt. Daten von weltweit mehr als 400 Schlaganfall-Zentren aus 70 Ländern zu über 60 000 Patienten zeigten genau den gleichen Effekt, sagte Thomalla. Das sei "ganz erschreckend und bemerkenswert".
Die Zahl der Behandlungen schwerer Schlaganfälle habe sich in Deutschland allerdings nicht verändert, wie aus Daten des German Stroke Registry - Endovascular Treatment hervorgehe. In solchen Fällen werden die Blutgerinnsel mittels eines Katheters entfernt (Thrombektomie). Insbesondere die Qualität der Behandlung - mit Blick auf Prozesszeiten und Behandlungsergebnisse - sei auch unter den Bedingungen der Pandemie gleich geblieben. Der Neurologe vermutet, dass nur Patienten mit leichten und flüchtigen Symptomen aus Angst nicht ins Krankenhaus gegangen seien.
Auch das UKE habe in der Corona-Zeit fast wie die amerikanische Botschaft ausgesehen: "Abgeriegelt mit Zäunen und mit einem Zelt, wo man durchgehen musste und wo der Wachdienst war, wo man nur mit Impfnachweis oder Termin reinkommt - das heißt, das war auch eine psychologische Barriere für einen Patienten, der nicht mit einem Krankenwagen kommt, in ein solches Krankenhaus zu gehen", erklärte Thomalla. Auch die Angst vor Ansteckung in der Klinik habe eine große Rolle gespielt. Eine Auswertung von Totenscheinen in Großbritannien habe ergeben, dass während der Corona-Pandemie über 30 Prozent mehr Menschen zu Hause an Herzinfarkten und Schlaganfällen gestorben seien.
Nach den Corona-Wellen seien vermehrt Patienten mit Beschwerden in die Klinik gekommen, die schon Monate zuvor hätten behandelt werden müssen. "Wir hatten eine ganze Reihe von Patienten in den Ambulanzen, die viel zu spät kamen", sagte Thomalla. Wer sich nicht behandeln lasse, gehe ein hohes Risiko ein. Bei einem ischämischen Schlaganfall, auch Hirninfarkt genannt, verschließe ein Blutgerinnsel ein Gefäß. Das nicht mehr mit Sauerstoff versorgte Hirngewebe sterbe irgendwann ab. Die Betroffenen litten unter Lähmungen, könnten nicht mehr sprechen und auf Dauer behindert bleiben. Bei einem sehr schweren Schlaganfall bestehe Lebensgefahr. Eine schnelle Behandlung könne schlimmere Symptome verhindern. "Im besten Fall geht der Patient ganz ohne Symptome wieder gesund nach Hause", sagte Thomalla.
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