Hamburg. Ein 88-Jähriger Hamburger erstickt seine demente Ehefrau mit einem Kissen. Doch Gerhard M. kam dennoch nicht ins Gefängnis.
Er hat seine Frau getötet, ihr ein Kissen auf das Gesicht gedrückt und sie erstickt. Doch der 76-Jährige, der diese Tat beging, handelte nicht etwa aus Hass oder Habgier. Er war vielmehr ein verzweifelter Mann, der seine 88-jährige demente Ehefrau umbrachte, weil ihm die Probleme allmählich über den Kopf gewachsen waren und er am Ende einfach keine Kraft und Hoffnung mehr hatte.
Im Crime-Podcast „Dem Tod auf der Spur“ mit Rechtsmediziner Klaus Püschel und Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher sprechen die beiden Experten heute mit dem Juristen Wolfgang Backen über einen seiner bewegendsten Fälle. Backen verhandelte als Richter in Hamburg sehr viele Verfahren mit Mord und Totschlag. „Es gibt viele Motive dafür, dass ein Mensch einen anderen tötet“, erklärt Backen.
Hamburger erstickt demente Ehefrau mit Kissen
„Eifersucht, verletzte Ehre oder Habgier gehören dazu, um nur einige zu nennen. Aber es gibt auch Taten, bei denen manchmal unglückliche und tragische Umstände zum Äußersten führen.“ So verhandelte Backens Kammer im Sommer 2010 den Fall von Gerhard M. „Für ihn war das Leben schließlich wegen der Demenzerkrankung seiner Frau nicht mehr lebenswert“ erzählt Backen. „Gerhard M. war ohne seine Schuld in eine Situation geraten, in der sich viele ältere Menschen befinden und in die wir alle leicht geraten können. Also wollte er sich umbringen – und seine Frau nicht allein zurücklassen. Deshalb hat er sie getötet.“
Jahrzehntelang war das Paar glücklich gewesen. Als bei Margarethe eine beginnende Demenz festgestellt wurde, musste Gerhard M. immer mehr Pflichten im Haushalt übernehmen. Zuletzt machte er alles allein, sorgte auch für die Körperpflege der 88-Jährigen. Denn einen Pflegedienst und eine Putzfrau lehnte sie ab. Und er beugte sich ihren Wünschen. „Was sich als großer Fehler herausstellte“, sagt Mittelacher. „Denn durch den stetig wachsenden Druck durch Haushalt, Garten, Verpflegung und Pflege war der 76-Jährige irgendwann überfordert und ausgelaugt.“
Am 19. März 2010 war Gerhard M. am Ende. Er wusste nicht mehr weiter und beschloss, sich das Leben zu nehmen. „Er wollte seiner Frau auf jeden Fall das von ihr vehement abgelehnte Pflegeheim nach seinem Tod ersparen“, erzählt Jurist Backen. „Er sah nur noch eine Lösung: Sie musste mit ihm sterben. Entschlossen trat er an ihr Bett heran, nahm sein Kopfkissen und presste es zwei Minuten lang auf Margarethes Gesicht, bis diese nicht mehr atmete.“
Gerhrad M. lief vor den Bus, doch der konnte ausweichen
Die Frau wurde in der Rechtsmedizin obduziert. „Dass die Frau erstickt ist, haben wir anhand der Befunde feststellen können“, sagt Püschel. „Ersticken ist ein schlimmer Tod. Das Opfer hat Todesängste und leidet erheblich. Es dauert eine ganze Weile, bis eine Bewusstlosigkeit eintritt, aus der das Opfer dann gewissermaßen in den Tod hinübergleitet.“
Darüber hat sich Gerhard M. keine Gedanken gemacht. Er wollte eigentlich einen sanften Tod für seine Frau. Danach schrieb er einen Abschiedsbrief. „Der 76-Jährige plante, sich in der Nähe seiner Wohnung überfahren zu lassen“, erzählt Backen. Er lief auf die Straße vor einen Bus. Der Busfahrer konnte jedoch ausweichen. Gerhard M. erzählte nun der Polizei von dem Leichnam seiner Frau.
Mord an Ehefrau: Täter hatte schwere Depression entwickelt
„Der Prozess gegen Gerhard M. begann schließlich am 8. Oktober 2010“, erinnert sich Mittelacher. Der psychiatrische Gutachter stellt später fest, dass Gerhard M. eine schwere Depression entwickelt hat. Allmählich habe sich bei ihm eine affektive Anspannung aufbaut. „Es entsteht also eine Art Gewitter im Kopf – das sich dann am 20. März schlagartig entlädt“, erläutert Püschel.
Am Tag vor der Tat habe er „nicht mehr weitergewusst“, sagt der Angeklagte im Prozess. „Alles ist auf mich eingestürzt.“ Die Tat habe er aber nicht geplant.
Die Kammer von Backen verurteilt den Mann zu drei Jahren Freiheitsstrafe wegen Totschlags im minderschweren Fall. „Wir sind unter anderem der Einschätzung des Sachverständigen gefolgt, dass der Angeklagte bei der Tat in ,affektiver Erregung‘ gewesen sei“, erläutert der Richter die Entscheidung. „Wir waren der Überzeugung, dass dieses Urteil dem Drama angemessen war. Eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung war uns allerdings bei so einem Strafmaß trotz guter Prognose nach dem Gesetz nicht möglich.“
Ehemann erstickt Frau mit Kissen – Richter zeigte Mitgefühl
Backen sagte in seinem Urteil: „Es gibt Strafverfahren, da haben auch Richter Mitgefühl. Der Angeklagte befand sich in einer Situation, in die jeder von uns geraten könnte.“ Aber eine Bewährungsstrafe, wie vom Verteidiger gefordert, habe seine Kammer abgelehnt. „Ich habe dem Angeklagten gesagt: ,Dafür haben Sie zu viel Schuld auf sich geladen.‘“
Die Strafe musste Gerhard M. übrigens doch nicht absitzen. Sie wurde später in einem Gnadenakt der Hamburger Justizbehörde zur Bewährung ausgesetzt.
Richter Backen hat den Fall neben 15 weiteren in seinem sehr lesenswerten Buch „Das Leben ist zerbrechlich“ (244 Seiten, 11,90 Euro, als E-Book 8,90 Euro) ausführlich aufgeschrieben.