Hamburg. Matthias Riedl spricht über Geschmacksprägung, die schon im Mutterleib beginnt – und warum es ab 30 richtig kritisch wird.
Der Lebensstil der Eltern bestimmt schon vor der Geburt, wie ein Kind ins Leben startet – beispielsweise, ob es zu Übergewicht neigen wird. „Sie entscheiden, wie gesund wir später durchs Leben gehen“, sagt Ernährungs-Doc Dr. Matthias Riedl.
„Ein Mangel an guter Ernährung in den ersten 1000 Tagen bedeutet stets auch einen Mangel an Möglichkeiten im späteren Leben. Wenn sich eine Mutter beispielsweise Omega-3-Fettsäure-arm ernährt, belastet das die Gehirnentwicklung beim Kind. Das Essen beeinflusst auch das Risiko des Kindes für Diabetes, Bluthochdruck, Allergien, Intelligenz. Die Kinder kriegen dann eine schlechtere Ausgangsposition. Viele Eltern wissen gar nicht, wie entscheidend das schon im Mutterleib ist.“
Ernährungs-Doc: Ernährung der Mutter ist entscheidend
Nie wieder entwickle sich der Mensch derart rasant wie in dieser frühen Phase des Lebens, die körperliche und geistige Entwicklung sei abhängig von den Umweltbedingungen, und schon im Mutterleib beginne die Geschmacksprägung. „Darum ist es wichtig, dass sich die Mutter schon ausgewogen und gesund ernährt, bevor das Kind auf die Welt kommt. Es schmeckt alles mit und wird auch dadurch geprägt“, sagt der Internist, Diabetologe und Ernährungsmediziner.
„Wenn ein Kind schon in der Frühphase des Lebens vermittelt bekommt, dass Gemüse, Hülsenfrüchte, Obst, Vollkornprodukte und Fisch gut schmecken, wird es auch später eher diese Lebensmittel mögen und auf diese zurückgreifen. Aber auch im Erwachsenenalter kann man sich noch umprogrammieren, diese meist gesünderen Lebensmittel zu mögen. Aber es wird deutlich schwerer“, sagt der Leiter des Medicums Hamburg. „Wir wissen auch, wenn Schwangere häufig Fertigprodukte, Süßes, Fettreiches essen, dann haben diese Kinder ein größeres Risiko für Entwicklungsverzögerung, aber auch für ADHS.“
Stillen für Kind und Mutter von Vorteil
Stillen sei die artgerechte Ernährung, denn Muttermilch liefere dem Kind alles, was es braucht. Gestillte Kinder hätten auch eine deutlich geringere Wahrscheinlichkeit, übergewichtig zu werden, außerdem ein geringeres Risiko für Darminfektionen, Mittelohrentzündungen, Durchfall, Asthma und Neurodermitis. „Auch für die Mutter birgt das Stillen viele Vorteile, beispielsweise wird das Brustkrebsrisiko gesenkt oder auch die Wahrscheinlichkeit, später übergewichtig zu sein“, sagt der Arzt.
Breimahlzeiten seien ab dem fünften Monat möglich, spätestens zu Beginn des 7. Monats sollten Babys Beikost bekommen. „Nach dem Abstillen leert sich der Eisenvorrat des Kindes rasch, weshalb drei bis fünf Breimahlzeiten pro Woche Fleisch enthalten sollten“, sagt der Ernährungsmediziner. „Generell sollten Kinder möglichst früh mit vielen verschiedenen Aromen und Lebensmitteln in Kontakt kommen, da das das Immunsystem trainiert und die Allergieneigung reduziert.“ Vom ersten Geburtstag an brauche das Kind keine besonderen Gerichte mehr. Optimalerweise gebe es dann eine sogenannte optimierte Mischkost.
„Jodmangel stört die Gehirnentwicklung stark"
Kinder und Jugendliche, die viele Fertigprodukte essen, hätten häufig einen Jodmangel, weil darin kein jodiertes Salz enthalten sei. „Jodmangel stört die Gehirnentwicklung so stark, dass man das dann sogar in Schulnoten messen kann“, sagt der Experte. „Wenn Sie eine Fast-Food-Mutter hatten, und dann geht es mit Fast Food weiter, dann ist es mit einer Zwei in Mathe schwierig.“
Doch man könne jederzeit gegensteuern, sagt der Ernährungs-Doc, müsse ungewohnte Lebensmittel aber mindestens 20- bis 30-mal essen, bis man sie wirklich gern mag. „Kinder ziehen immer einen Flunsch, wenn es mal etwas Neues gibt. Wenn Sie ihnen Linsensuppe einmal im Quartal servieren, haben Sie jedes Mal Ärger. Wenn Sie das jede Woche servieren, dann hören sie irgendwann auf zu meckern.“
Ernährungs-Doc: „Werbung für Fast Food kann ein Kind versauen"
Er sagt auch: „Werbung für Fast Food kann ein Kind versauen, in der Pubertät haben die Eltern kaum noch Einfluss. Sie können dann nur noch anbieten und Vorbild sein, aber man muss vorher alles versuchen, gute Ernährung bei den Kindern zu installieren.“ Besonders gefährlich seien aber auch radikale vegane Eltern. „Von veganer Ernährung bei Kindern wird in Deutschland abgeraten. Da muss man sich auf jeden Fall beraten lassen, sonst gibt es Minderwuchs und geistige Behinderung.“
Mit steigendem Alter müsse man laut Riedl noch stärker auf seine Ernährung achten: „Die Widerstandskraft gegenüber schädlicher Einwirkung wird weniger, der Schlaf wird schlechter, man merkt die Zusammenhänge mit dem Wohlbefinden stärker, weil das Wohlbefinden anfälliger ist.“
Ab 30 Jahren wird es komplizierter
Sukzessive ab 30 Jahren nähmen die Probleme zu, „und es kriegt einen ordentlichen Schwung ab 50, viele merken das“, sagt der Arzt. „Ich beobachte bei jedem zweiten Patienten eine gewisse Diätverwirrung nach dem Motto, ,was soll ich essen, was nicht‘. Die Leute nehmen sich viel Freude durch das rigide Befolgen falscher Gebote und Regeln. Das muss man den Leuten austreiben, weil es auch nicht nötig ist.“
Besser als Verbote seien folgende Regeln, sagt der Ernährungs-Doc:
- Der Mensch sollte sich pflanzlich ernähren, mindestens 500 Gramm Gemüse pro Tag, wozu auch Kräuter, Pilze und Nüsse gehören, 25 unterschiedliche pro Woche.
- Fertigprodukte meiden, weil sie bedenkliche Zusatzstoffe enthalten, zudem viel und dann auch noch jodarmes Salz, schlechte Fette und diabetesfördernd sind.
- Eine gute Menge an guten Fetten aufnehmen, also Öle mit einem günstigen Fettsäureverhältnis wie Raps-, Lein-, Hanf-, Oliven- oder Nussöl).
- Eiweiß richtig justieren: 1 bis 1,2 Gramm möglichst pflanzliches Eiweiß pro Kilo Körpergewicht, damit man auch satt wird.
- Ballaststoffarme Kohlenhydrate (Kartoffeln, Reis, Nudeln, viel Brot) nur in geringer Menge essen.
- Kalorienfreie Getränke (Wasser, ungesüßten Tee) trinken.
„Wenn wir älter werden, müssen wir immer im Kopf haben, dass bei Beschwerden auch ein Vitaminmangel die Ursache sein kann. Bei Traurigkeit, Vergesslichkeit muss man immer an die B-Vitamine denken, weil die im Alter schlecht aufgenommen werden“, so der Experte. Vitaminbestimmungen müsse man häufig selbst bezahlen, aber das könne sehr sinnvoll sein. Einfach ein Multivitaminpräparat einzunehmen sei dagegen nicht sinnvoll. Viele hätten allerdings einen Vitamin-D-Mangel, je mehr man sich von der Sonne fernhält, desto wahrscheinlicher sei das, sagt Riedl.
Ernährungs-Doc: Alter birgt gewisse Risiken
Bei vielen älteren Menschen, vor allem bei Heimbewohnern, sei zudem die Gefahr einer Mangelernährung sehr groß. „Wir wissen, dass sich das Risiko zu sterben, enorm steigert.“
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Zusammengefasst lasse sich sagen: „Jedes Alter hat so seine riskanten Punkte in der Ernährung. Das Problem bei den Jungen – sie essen häufig viel Fast Food, die Älteren bewegen sich weniger, ihr Radius wird kleiner, der Energiebedarf wird weniger, die Muskulatur nimmt ab, die Beine werden dünn, der Bauch wird dick, das Gewicht bleibt das gleiche. Dieser alternde Mensch müsste weniger essen, aber er tut es nicht und wird automatisch dicker. Das, was ich esse, muss alles enthalten, was ich brauche – die richtige Eiweißmenge, die richtigen Fette, Ballaststoffe, alle Vitamine. Es darf eigentlich nur Megagesundes auf den Tisch.“