Hamburg. Zunächst ging die Polizei von einem noch flüchtigen möglichen Täter aus – inzwischen hat sie einen anderen Verdacht.

Noch Stunden nach der Alarmierung wimmelt es von Polizisten am Tatort, einem Mehrfamilienhaus an der Scheel-Plessen-Straße in Ottensen. Ein Tatort mit zwei Toten – und einer Frage, auf die es noch keine definitive Antwort gibt: Was ist hier bloß passiert? Um 8.30 Uhr hört eine Hausbewohnerin Schüsse. Im Treppenhaus – Höhe viertes Obergeschosses –  entdecken die alarmierten Beamten zwei leblose Körper mit Schussverletzungen. Eine junge Frau, die in dem Haus wohnt, liegt dort;  daneben ein Mann und eine Schusswaffe. Beide sterben am Tatort. Nicht ganz klar ist, ob die Frau noch gelebt hat, als die Rettungskräfte eintreffen.

Weil die Polizei zunächst von einem flüchtigen bewaffneten Täter ausgeht, leitet sie eine Großfahndung ein, während die geschockte Nachbarin vom Kriseninterventionsteam (KIT) betreut werden muss. Etliche Streifenwagen sind am Tatort und in der Nähe im Einsatz, der Polizeihubschrauber Libelle überwacht das Areal von oben. Im Einsatz ist auch die noch recht neue Unterstützungsstreife (USE), eine Art mobile „Allzweckwaffe“ der Hamburger Polizei für alle möglichen akuten, heiklen Lagen.

Schüsse Hamburg: Hintergründe der Tat noch völlig unklar

Die Beamten durchkämmen unter anderem die Hinterhöfe, die Straße ist komplett abgesperrt, gesichert von Beamten mit Maschinenpistolen. Alarmiert ist auch die Bundespolizei im benachbarten Altonaer Bahnhof. Im Haus selbst nimmt die Spurensicherung die Arbeit auf. Dabei wird auch das Treppenhaus per Lasertechnik eingemessen. Erst am Nachmittag werden die Leichen in schwarzen Säcken zur Rechtsmedizin abtransportiert.

Der Einsatz in Ottensen ging noch bis in den Nachmittag hinein.
Der Einsatz in Ottensen ging noch bis in den Nachmittag hinein. © Michael Arning | Unbekannt

Die Hintergründe der Bluttat liegen noch im Dunkeln. Mordkommission und Staatsanwaltschaft ermitteln, und das „mit Hochdruck“, sagt Polizeisprecherin Cindy Schönfelder. Von weiteren Tatbeteiligten gehe man nicht aus. „Darauf gibt es aktuell keine Hinweise.“ Einiges deutet darauf hin, dass der Mann auf die Frau schoss und sich dann selbst erschoss, wie aus Polizeikreisen verlautete. Bei der Toten soll es sich um eine 22 Jahre alte Hausbewohnerin handeln. Die Identität des mutmaßlichen Schützen konnte noch nicht geklärt werden.

Bisher nicht bekannt ist auch das Motiv, vermutet wird aber eine Beziehungstat. Allein 2020 sind bundesweit 139 Frauen durch die Hand ihrer Partner oder früheren Partner gestorben. 2021 wurden in Hamburg fünf Frauen Opfer tödlicher Gewalt – in weiteren sieben Fällen blieb es beim Versuch. Während der Corona-Pandemie ist die Zahl der Gewalttaten gegen Frauen im Jahr 2020 zudem auf ein Zehn-Jahres-Hoch gestiegen. Zwar gab es 2021 einen deutlichen Rückgang bei den Vergewaltigungen, sexuellen Nötigungen und Übergriffen – allerdings hatte die Polizei hier im Jahr davor auch eine Steigerung von 35,9 Prozent auf 295 Fälle verzeichnet.

Femizid-Fälle häufen sich zunehmend. Das fordert die Linksfraktion

Die Linksfraktion in der Bürgerschaft fordert schon lange, Morde an Frauen im Zusammenhang mit ihrer Selbstbestimmung als Femizid zu benennen und nicht durch Begriffe wie „Beziehungsgewalt“ zu verschleiern. Typischer- und tragischerweise kommt es zu solchen Taten häufig, wenn eine Frau ihren Partner verlässt. Zudem macht sich die Linke für eine Monitoring-Stelle für Femizide stark. Der deutsche Juristinnenbund und Hamburgs autonome Frauenhäuser treten darüber hinaus für mehr Repression ein: So sollte ein Gesetz erlassen werden, dass es Gerichten verbietet, Trennungstötungen milder zu bestrafen, weil es sich um Taten in der Partnerschaft handelt.

Dass Männer Frauen Unbeschreibliches antun, weil sie in ihnen so etwas wie einen „Besitz“ zu sehen glauben, kommt auch in Hamburg immer wieder vor. Hier die zwei aktuellsten Fälle: Ende Februar hat das Landgericht einen 41 Jahre alten Mann zu sechs Jahren Haft verurteilt. Er hatte seine Ehefrau am 30. Mai 2021 so lange mit einem Kabelbinder stranguliert, bis sie blau anlief. Vom Mordversuch trat der Mann aus Sicht des Gerichts „strafbefreiend“ zurück, weil er im letzten Moment den Rettungswagen gerufen hatte. Er war auf seine Ehefrau losgegangen, als sie sagte, sie wolle die Scheidung. Zuvor stellte er ihr nach, drohte: „Du bist mein. Du gehörst mir.“

Ähnlichen Aggressionen – schon auf verbaler Ebene – sah sich Margit K. ausgesetzt. Vor Gericht sagte die 63-Jährige, ihr Ex-Partner Holger H. habe bei einer Gelegenheit zu ihr gesagt: „Sei still! Frauen haben devot zu sein!“  Holger H. soll die Frau Anfang Juni 2021 drei Tage lang in ihrer Wohnung am Sportplatzring gefoltert haben, indem er sie mit Kabelbindern würgte und fesselte, sie schlug und mit einem Jagdmesser stach. Der wegen versuchten Mordes angeklagte, teilgeständige Mann sagte im Prozess aus, er habe Margit K. nicht töten, sondern ihr „einen Denkzettel“ verpassen wollen. Allein wie sie am ersten Tat-Tag  in der Wohnung herumgehuscht sei, das habe ihn sehr gestört. Er leide doch unter Bluthochdruck, und das habe Margit K. auch gewusst. Ein Urteil in diesem Fall wird morgen erwartet.

Anmerkung der Redaktion: Aufgrund der hohen Nachahmerquote berichten wir in der Regel nicht über Suizide oder Suizidversuche, außer sie erfahren durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800/111-0-111 und 0800/111-0-222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.