Hamburg. Ein Mann wischt Flugblätter vom AfD-Stand, dann eskaliert die Situation. Das Amtsgericht Altona versucht, das Geschehen aufzuklären.
Er spricht von Schlägen und Tritten. Er erinnert das Gefühl eines Messers, das an seinen Hals gehalten wurde. Und er hörte die Worte: „Ich schlitz dich auf, du Sau!“ So wie Kevin D. die Auseinandersetzung an einem Werbestand der AfD auf dem Hamburger Wochenmarkt in Groß Flottbek schildert, wo er mit vier Männern aneinander geriet, war das für ihn eine Situation, „in der ich wirklich Angst um mein Leben hatte“.
Der 44-Jährige sagt diesen Satz mehrfach, mit leicht nuancierten Worten, aber der Tenor ist immer derselbe: Er habe sich in echter Gefahr befunden. Dabei ist der Hamburger keiner, der besonders furchtsam wirkt. Außerdem ist er kräftig und hat in einem Kampfsportverein gelernt, wie er sich gegen einen Messerangriff zur Wehr setzen kann. Doch hier, erzählt er, sei es tatsächlich bedrohlich gewesen. „Ich dachte, wenn du nicht handelst, bist du dran.“
Prozess Hamburg: Opfer schildert Angriff von AfD-Unterstützern
Es ist die Überzeugung eines Mannes, der keinen Hehl daraus macht, dass er nichts übrig hat für die AfD. Er gibt unumwunden zu, dass er an jenem 1. September 2018 an einem Informationsstand der Partei auf dem Flottbeker Wochenmarkt Flyer der Partei von einem Tisch wischte.
Nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ist Kevin D. unmittelbar nach dieser Aktion, mit der er seinen Unmut über die AfD äußerte, zum Opfer eines gemeinschaftlichen Angriffs von vier AfD-Unterstützern geworden. Wie es in der Anklage im Prozess vor dem Amtsgericht heißt, sind die Männer im Alter von 53, 62, 73 und 81 Jahren auf den Hamburger losgegangen und haben ihn gemeinsam zu Boden gebracht.
AfD-Unterstützer greift Wochenmarktbesucher mit Messer an
Laut Staatsanwaltschaft schlugen und traten sie auf den nun am Boden Liegenden ein, und der 44-Jährige erlitt durch ein Messer, das einer der Angeklagten mitgeführt habe, eine Schnittverletzung an der Hand. Außerdem habe er über Schmerzen im Nackenbereich geklagt.
Legt man die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zugrunde, ist Kevin D. eindeutig das Opfer dieser Auseinandersetzung. Gleichwohl spricht einer der Angeklagten, der 81 Jahre alte Uwe B., von ihm stets als dem „Täter“. Der AfD-Vorsitzende des Bezirksverbandes Altona ist der einzige der vier Männer auf der Anklagebank, der sich an diesem ersten Verhandlungstag zu den Vorwürfen äußert.
Angeklagter berichtet von "Gebrülle“ am AfD-Stand
Ronald K. (73), Ulrich L. (62) und Dirk U. (53) indes hüllen sich in Schweigen. Dirk U., gekleidet in Anzug und Krawatte, lässt vor Prozessbeginn eher Taten sprechen. Während Pressevertreter Bilder machen, sieht es so aus, als filme er seinerseits mit seinem Handy die Fotografen.
Uwe B. erzählt, er habe damals am AfD-Stand „plötzlich Gebrülle“ gehört und dann gesehen, wie Ulrich L. mit jemandem im Clinch war. Beide seien zu Boden gegangen. Daraufhin habe er seinem Bekannten helfen wollen und sich „darauf konzentriert, den Täter am Boden festzuhalten“. Schließlich habe eine Polizistin dem Mann Handschellen angelegt. Diese Fesseln seien es wohl auch eher, die bei dem 44-Jährigen eine Schnittwunde verursacht hätten, mutmaßt der Angeklagte.
Attacke von AfD-Unterstützern – "Die sind zu viert auf mich los"
Doch Kevin D. ist eindeutig ein Messer in Erinnerung geblieben. Eigentlich sei er zum Wochenmarkt gekommen, um dort gemeinsam mit seinem Sohn eine Wurst zu essen, erzählt der Zeuge. „Ich wusste vorher nichts von dem AfD-Stand.“ Als er ihn gesehen habe, habe er „vielleicht auch gemeckert, weil ich damit nicht einverstanden bin“. Nach dem Motto: „Lasst mich mit dem Scheiß in Ruhe“, habe er dann „die Flyer im Impuls weggewischt“. Das sei „nicht in Ordnung“ von ihm gewesen, sagt der 44-Jährige in der Rückschau. „Es war ein dämliches Verhalten“, für das er sich entschuldige.
Doch was sich nach seiner im wahrsten Sinne wegwerfenden Geste entwickelte, beschäftigt den Hamburger noch immer. „Die sind zu viert auf mich los“, erinnert sich Kevin D. „Es ist ja nicht so, dass ich wild um mich geschlagen hätte. Ich habe Flyer vom Tisch gefegt.“
Prozess Hamburg: Opfer berichtet von einem Messer am Hals
Bis heute sei er „erschrocken über die Situation, in die ich dann geraten bin“. Ein Mann sei von hinten an ihn heran getreten und habe ihm ein Messer an den Hals gehalten, begleitet von einer äußerst bedrohlichen Bemerkung. Er habe sich, weil er das mal gelernt hat, relativ schnell von der Waffe befreien können. Dann seien mehrere Leute auf ihn zugekommen, drei oder vier Männer. „Ich glaube, ich bin niedergerungen worden.“
Er habe schließlich am Boden gelegen, Schläge und Tritte abbekommen und versucht, mit seinen Händen seinen Kopf zu schützen. Das habe einige Sekunden gedauert. Doch sein Fokus habe darauf gelegen, das Messer wieder zu finden. „Ich wusste, das ist das einzige, was mir wirklich gefährlich wird.“ Als dann eine Polizistin erschien, habe er ihr gesagt, sie könne ihm Handschellen anlegen.
Warum er das gemacht habe, möchte die Amtsrichterin vom Zeugen wissen. „Das war einzige Instanz, die die Situation klären und mich aus dieser misslichen Lage rausholen konnte“, antwortet der 44-Jährige. „Ich sagte: ,Ich kooperiere.’ Man hat halt Angst, wenn man ein Messer am Hals hat.“ Der Prozess wird fortgesetzt.