Hamburg. Moritz Mann, Gründer von Stadtsalat und Protofy, spricht über die ungewöhnliche Geschwindigkeit und das Erfolgsgeheimnis der Firma.

Heute ist bei „Entscheider treffen Haider“ ein Mann zu Gast, für den Geschwindigkeit alles ist. Früher war er professioneller Radsportler, dann hat er mit Freunden in vier (!) Tagen das Unternehmen Stadtsalat gegründet und die Agentur Protofy noch dazu, die anderen Firmen zeigt, wie sie ihre Produkte möglichst schnell an den Markt bringen.

Moritz Mann sagt, warum ihm Tempo so wichtig ist, wie es war, den ersten Salat auszuliefern – und warum er bisher Behörden nicht beraten hat. Das komplette Gespräch hören Sie unter www.abendblatt.de/entscheider

Das sagt Moritz Mann über …

… Geschwindigkeit bei der Gründung von Unternehmen und der Entwicklung von Produkten:

„In vielen Belangen macht es Spaß, schnell zu sein und schnelle Entscheidungen zu treffen. Wir halten nichts von Bürokratie und sagen immer: Fehler bei der Einführung eines Produktes oder der Gründung eines Unternehmens wird man sowieso machen, man sollte sie nur möglichst früh begehen, dann lernt man daraus, und es wird nicht zu teuer.

Und es stimmt, dass Zeit Geld ist, das heißt: Je mehr Zeit ich brauche, um an den Markt zu gehen, desto mehr Geld muss ich investieren, ohne etwas verdient zu haben. Zudem wird es mit der Zeit immer schwieriger, sich von einer Idee zu trennen, die nicht funktioniert.“

… das Scheitern mit der ersten Idee und die Lehren daraus:

„Feelgood war eine App im Bereich Gesundheit und Fitness. Wir haben damals unheimlich viel Zeit in die Entwicklung gesteckt, wir haben Wissenschaftler eingeladen, um unseren Algorithmus fundiert aufzubauen, wir haben programmiert, viel am Design gearbeitet. So sind recht zügig 18 Monate vergangen, in denen wir so gut wie keinen Kontakt zu unserer Zielgruppe hatten.

Das war der große Fehler, aus dem wir viel gelernt haben für das, was wir heute machen. Die entscheidende Frage ist doch, ob Menschen Geld für das Produkt ausgeben, das man entwickelt, und diese Frage sollte man möglichst frühzeitig beantworten können, am besten am Anfang, so, wie wir es dann bei Stadtsalat gemacht haben.“

… die Gründung des Unternehmens Stadtsalat innerhalb von vier Tagen:

„Uns war ziemlich egal, was wir machen, es hätte auch personalisiertes Futter für Hunde statt Salate für Menschen sein können. Uns war wichtig, dass unsere Idee ziemlich schnell an den Markt kommt, spätestens innerhalb einer Woche. Wir wollten nicht herausfinden, ob wir den besten Salat der Welt herstellen können, sondern, ob es Kunden gibt, die den online bei uns bestellen. Wir haben auf all das verzichtet, was man sonst macht bei so einem Projekt, auf die Suche nach Mitarbeitern und Lieferanten, nach einer Produktionsküche, Büro­räumen, was auch immer.

Wir haben ein Restaurant gefunden, bei dem wir Salate bestellen konnten, wir haben innerhalb von drei Tagen einen Webshop entwickelt. Als die erste Bestellung nach vier Tagen reinkam, haben wir eine SMS an das Restaurant geschrieben, und ich bin aufs Fahrrad gestiegen, um den Salat abzuholen und auszuliefern. Das war ein unheimlich spannender und extrem motivierender Moment, weil wir wussten: Es gibt draußen Menschen, die für unsere Salate bezahlen. Das gibt Rückenwind.

Am achten Tag haben wir an einer U-Bahn-Station erste Flyer verteilt und haben dann 20 Bestellungen pro Tag erhalten. Das Nächste, was wir gemacht haben, war, als Untermieter in eine Cocktailbar zu gehen, die nur abends geöffnet hatte. Dort konnten wir morgens unsere Salate zubereiten und sie mittags ausliefern. Nach und nach haben wir das mit Fahrradkurieren gemacht, die um die Mittagszeit meist nicht so viele Aufträge haben. Bis heute werden unsere Produkte nur per Fahrrad ausgeliefert.“

… keine Ahnung von Gastronomie:

„Ein Grund für den Erfolg von Stadtsalat ist, dass von uns Gründern niemand aus der Gastronomie kam, sondern aus den Bereichen IT und Betriebswirtschaftslehre. Entsprechend haben wir viel Wert auf Systematisierung und Digitalisierung gelegt. Es wäre trotzdem nicht möglich gewesen, wäre nicht einer meiner Mitgründer passionierter Hobbykoch gewesen. Heute liefern wir in drei Großstädten mehrere Tausend Produkte am Tag aus.“

… die schnelle Gründung eines zweiten Unternehmens:

„Nachdem wir am Beispiel Stadtsalat gesehen hatten, wie schnell man eine Firma an den Markt bringen kann, ist die Idee entstanden, eine Agentur zu gründen, die anderen Unternehmen zeigt, wie das funktionieren kann. Das war Protofy, das nahezu gleichzeitig mit Stadtsalat entstanden ist. Wir waren ein Gründerteam von vier Personen und haben schnell entschieden, dass zwei von uns Stadtsalat machen und die anderen beiden Protofy. Vier Gründer sind vielleicht auch zu viel für ein Unternehmen.“

… Protofy:

„Wir helfen mit der Agentur anderen Unternehmen, Produkte so schnell es geht in die digitale Welt zu bringen, und glauben, dass das mit jedem Produkt möglich ist. Man bringt permanent neue Ideen auf den Weg, weswegen ich mir vorstellen kann, diesen Job bei Protofy bis zur Rente zu machen.“

… Bereiche, die sich mit der Digitalisierung schwertun:

„Der gesamte öffentliche Sektor, die Verwaltung. Ich glaube, in diesen Bereichen muss sich noch sehr viel tun, bisher haben wir Gemeinden oder Städte nicht als Kunden. Grundsätzlich spricht auch nichts dagegen, häufig passen die Ausschreibungen im öffentlichen Sektor aber nicht zu der agilen Vorgehensweise, die für uns elementar ist. Ich hoffe, dass in diesen Bereichen ein Umdenken stattfindet, denn nur dann werden sich die großen Themen bewegen lassen.“

Fragebogen

Was wollten Sie als Kind werden und warum?

Profisportler – ich war jeden Tag auf dem Fahrrad und wollte einmal an der Tour de France teilnehmen.

Was war der beste Rat Ihrer Eltern?

Meine Eltern haben mir nicht viel geraten – im Gegenteil, sie haben mich zu 100 Prozent unterstützt, egal worum es ging. Ob beim Sport, Studium oder als ich unbedingt ins Ausland wollte. Meine Eltern sind meine größten Fans, das beflügelt.

Wer war beziehungsweise ist Ihr Vorbild?

Im Sport war mein Idol Jan Ullrich. Eine ganze Generation junger Sportler hat Ende der 90er wegen seiner Leistungen mit dem Radsport angefangen. Inzwischen steht das natürlich in einem ganz anderen Licht. Heute inspirieren mich unterschiedliche Menschen in unterschiedlichen Bereichen. Ich würde gerne kommunizieren wie Christian Weisbach, verhandeln wie Matthias Schranner und präsentieren wie Steve Jobs.

Was haben Ihre Lehrer/Professoren über Sie gesagt?

Ich glaube, da herrschte große Skepsis – ich hatte schlechte Noten, konnte mir aber durch meine sportlichen Leistungen und als Stufensprecher Respekt und Gehör verschaffen.

Wann und warum haben Sie sich für den Beruf entschieden, den Sie heute ausüben?

Zum Ende meines Studiums (in den Jahren, in denen Facebook, YouTube etc. groß wurden) wusste ich: Ich möchte mit digitalen Produkten und Geschäftsmodellen arbeiten. Meine erste Position als Intrapreneur in einem gewachsenen Start-up brachte mich selbst zur Gründung als Entrepreneur.

Wer waren Ihre wichtigsten Förderer?

Meine Eltern.

Auf wen hören Sie?

Ich höre (fast) allen zu und bilde mir meine Meinung. Enge Freunde, meine Frau und meine Familie haben den größten Einfluss.

Was sind Eigenschaften, die Sie an Ihren Chefs bewundert haben?

Bei meinem ersten bisher einzigen Chef hat mich seine Kombination aus Smartness, Verbindlichkeit und Lockerheit beeindruckt. Ich wollte den Job unbedingt!

Was sollte man als Chef auf keinen Fall tun?

Autorität ausspielen.

Was sind die Prinzipien Ihres Führungsstils?

Partnerschaftlichkeit, Klarheit, Trans­parenz.

Wie wichtig war/ist Ihnen Geld?

Macht Spaß, aber ist nicht alles.

Was erwarten Sie von Ihren Mitarbeitern?

Partnerschaftlichkeit, Klarheit, Trans­parenz.

Worauf achten Sie bei Bewerbungen?

Ich möchte verstehen, inwieweit die Ziele der Menschen zu denen von Protofy passen – und umgekehrt! Wenn beides matcht, haben wir eine tolle Zukunft miteinander.

Duzen oder siezen Sie?

Ich duze dich.

Was sind Ihre größten Stärken?

Ich kann schnell in neue Kontexte eintauchen und Zusammenhänge erfassen. Ich bin analytisch.

Was sind Ihre größten Schwächen?

Mir fällt es schwer, das Hier und Jetzt zu genießen. Mein Kopf ist ständig am Rattern, ich schweife gedanklich von A nach B, reflektiere, durchdenke, analysiere. Sich einfach zurücklehnen und im Moment leben – da ist bei mir Luft nach oben.

Welchen anderen Entscheider würden Sie gern näher kennenlernen?

Weil er gerade Minister für Digitales und Verkehr geworden ist: Volker Wissing­.

Was würden Sie ihn fragen?

Wie wäre es, unsere Schulen und Verwaltung in einem Hackathon mit den schlausten Köpfen des Landes zu digitalisieren? Ohne Bürokratie, mit passenden Budgets, einfach machen – was halten Sie davon?

Was denken Sie über Betriebsräte?

Ich bin überzeugt, dass es in Unternehmen, die Transparenz leben, die Mit­bestimmung ermöglichen, die partnerschaftlich führen, die die persönliche Weiterentwicklung fördern, die allen faire Gehälter zahlen, keinen Betriebsrat braucht. Ich verstehe aber, dass die Realität in vielen Unternehmen so nicht ist.

Wann haben Sie zuletzt einen Fehler gemacht?

Ich mache täglich Fehler. Heute habe ich in deinem Podcast, lieber Lars Haider, eine Zahl genannt, die falsch war und die ich korrigieren musste. Wichtig finde ich: Fehler passieren, also einfach nachjustieren und klüger weitermachen.

Welche Entscheidung hat Ihnen auf Ihrem Karriereweg geholfen?

Eine grundlegende Wegabzweigung war, nach dem Studium nicht den naheliegenden Weg in ein Corporate zu gehen, sondern als Intrapreneur im Start-up-Umfeld einzusteigen. Das empfinde ich heute noch als mutig – und es war die beste Entscheidung.

Wie viele Stunden arbeiten Sie in der Woche?

40 bis 50 Stunden.

Wie viele Stunden schlafen Sie (pro Nacht)?

Acht Stunden.

Wie gehen Sie mit Stress um?

Ich weiß, wie ich mich regulieren kann. Nach angespannten Phasen gönne ich mir entspannte Phasen. In stressigen Phasen bin in umso disziplinierter, Sport und Übungen zur mentalen Fitness einzubauen. Ich reflektiere viel im Coaching – das hilft, jede Situation noch mal neu und mit Distanz zu betrachten.

Wie kommunizieren Sie?

Mir ist wichtig, immer klar zu sein. Mit einfacher Sprache und Klarheit in dem, was ich möchte.

Wie viel Zeit verbringen Sie an Ihrem Schreibtisch?

Den größten Teil meiner Arbeitszeit. Durch Videokonferenzen – wir kennen es alle – ist meine Arbeit weniger mobil geworden.

Wenn Sie anderen Menschen nur einen Rat für ihren beruflichen Werdegang geben dürften, welcher wäre das?

Trefft mutige Entscheidungen.

Was unterscheidet den Menschen von dem Manager Moritz Mann?

Ich versuche, möglichst kongruent zu sein. Wenn ich ganz kritisch bin: ich glaube, im Privaten lache ich beherzter.

Und zum Schluss: Was wollten Sie immer schon mal sagen?

Im Beruf, in der Digitalisierung, im Leben: Wartet nicht, bis etwas perfekt ist, sondern seid mutig, von und mit der unperfekten Lösung zu lernen.