Hamburg. Politik diskutiert, wie man jetzt die Verkehrswende voranbringen könnte. Der Vorschlag, Tankgutscheine einzuführen, stößt auf Kritik.
Der Vorschlag von FDP-Bundesfinanzminister Christian Linder, die extrem hohen Spritpreise durch vom Steuerzahler finanzierte Tankgutscheine abzumildern, stößt auch in Hamburg auf Skepsis. Um die dringend nötige Verkehrswende nicht mit Benzin- und Dieselzuschüssen zu bremsen, solle man lieber den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) günstiger machen, heißt es nun immer öfter – auch Bremen verfolgt diese Idee. Dass die Verkehrswende zu langsam vorankommt, haben auch die jüngsten Zahlen des Bundesumweltamtes gezeigt.
Danach ist der CO2-Ausstoß im Bereich Straßenverkehr nach einem stärkeren coronabedingten Rückgang 2020 im vergangenen Jahr wieder um 1,4 Prozent gestiegen. Schon vor Corona hatte sich gezeigt, dass der Verkehrsbereich keinen ausreichenden Beitrag zum Erreichen der Klimaschutzziele leistet – im Gegenteil: In Hamburg steigt die Zahl der Pkw seit Längerem sogar schneller als die Einwohnerzahl.
Verkehr Hamburg: "Tankrabatt ist der falsche Schritt"
Der Angriffskrieg auf die Ukraine mache deutlich, wie dringend umfassende und „grundlegende Veränderungen“ in vielen Bereichen seien, sagte Grünen-Fraktionschefin Jennifer Jasberg. „Wir sind immer noch mittendrin in der Bewältigung der weitreichenden Folgen der Pandemiebekämpfung und stehen zugleich vor der Herausforderung, mit enormem Kraftaufwand den Schritt in die Unabhängigkeit von russischem, blutigem Gas und Erdöl zu schaffen.“ Es sei angesichts steigender Energiepreise richtig, dass es Entlastungen für die Bürger gebe, so Jasberg.
„Einen Tankrabatt allerdings halten wir für den falschen Schritt. Schon jetzt nutzen die Mineralölkonzerne die Preise zur eigenen Gewinnmaximierung. Außerdem würde so die Motivation zur Abkehr vom Individualverkehr sinken.“ Es sei jetzt vielmehr „die Zeit, um wirksame Anreize zum Umstieg auf den ÖPNV zu schaffen“. Wegen der Mindereinnahmen durch Corona seien die Möglichkeiten der Stadt, etwa für kurzfristig günstigere Abo-Angebote, leider sehr begrenzt, so die Grünen-Politikerin. „Daher fordern wir den Bund dazu auf, bei den anstehenden Transformationsschritten die Verkehrswende mitzudenken.“
Mobilitätswende – es müssen Anreize gesetzt werden
Ähnlich sieht es SPD-Verkehrspolitiker Ole Thorben Buschhüter. „Angesichts hoher Kraftstoffpreise rücken Verkehrsmittel des Umweltverbunds zunehmend in den Fokus derer, die bislang überwiegend mit dem eigenen Auto unterwegs sind“, so Buschhüter. „Wir gehen den eingeschlagenen Weg der Mobilitätswende konsequent weiter und nutzen die finanziellen Spielräume, die der Bund uns eröffnet. Unsere Erwartung ist, dass der Bund diese Spielräume nach der Corona-Delle vergrößert, damit wir bei der Mobilitätswende noch einen Zahn zulegen können.“
Pauschale Tarifsenkungen würden aber nach Ansicht Buschhüters „weitere Angebotsverbesserungen angesichts der auch die Verkehrsunternehmen treffenden hohen Energiepreise unmöglich machen“. Überlegungen auf Bundesebene, wie Verbraucherinnen und Verbraucher angesichts der hohen Kraftstoffkosten entlastet werden könnten, dürften aber „die Ziele der Mobilitätswende und des Klimaschutzes nicht konterkarieren, sondern müssen auch Anreize zum Umstieg setzen“.
ÖPNV in vielen Bereichen schon voll elektrisiert
Für CDU-Fraktionschef Dennis Thering hat „Putins Angriffskrieg“ einmal mehr gezeigt, „dass wir auch im Verkehrsbereich noch zu sehr von fossilen Energieträgern abhängig sind und mehr an klugen Alternativen arbeiten müssen“. Der ÖPNV sei das „Rückgrat der Mobilität“ und in vielen Bereichen schon voll elektrisiert und somit unabhängig von russischem Öl. „Damit noch mehr Menschen auf den ÖPNV umsteigen, müssen überfüllte, ständig verspätete und ausfallende Bahnen und Busse endlich der Vergangenheit angehören“, so Thering.
„Auch müssen die Fahrpreise deutlich reduziert werden, da Hamburg bereits heute trauriger Spitzenreiter bei den Fahrpreisen ist. Unser Vorschlag für ein 365-Euro-Jahresticket liegt dafür seit Jahren auf dem Tisch.“ Auch die aus Sicht der CDU „kontraproduktiven P&R-Gebühren für Pendler“ müssten abgeschafft werden. Beim Autoverkehr müsse die Elektrifizierung vorangetrieben werden, so Thering. Allerdings falle Hamburg bei der öffentlichen Ladeinfrastruktur „im Vergleich zu anderen deutschen Großstädten immer weiter zurück und verschläft die Anreizsetzung zum Umstieg auf Elektroautos“.
Sudmann fordert Entlastung bei HVV-Kosten
Auch Linken-Verkehrspolitikerin Heide Sudmann fordert, den HVV günstiger zu machen. „Zu viel CO2, zu hohe Energiekosten und Mieten: Wann, wenn nicht jetzt, müssen Umwelt und Bürger/-innen dringend entlastet werden?“, fragt Sudmann. „HVV-Preise runter, Vorfahrt für Busse mit mehr Busspuren und autofreie Sonntage mit kostenlosem HVV sind da wichtige Schritte.“ Da Rot-Grün seit Jahren die Linken-Forderung nach einem 365-Euro-Jahresticket für den HVV ablehne, müssten „wenigstens Haushalte mit geringem und durchschnittlichen Einkommen entlastet werden“, so Sudmann.
„Deshalb sollten die 44 Prozent der Hamburger Haushalte, die eine öffentlich geförderte Wohnung beanspruchen könnten, eine HVV-Jahreskarte für 365 Euro bekommen.“ Das sei sozial gerechter als mit einem staatlichen Tankrabatt auch „Spritschlucker und reiche Autofahrer/-innen“ zu unterstützen.
"HVV schon vorher günstiger als das private Auto"
„Die aktuell sehr hohen Spritkosten sind natürlich erst einmal ärgerlich – insbesondere, wenn sie im Wesentlichen nicht auf höhere Rohölpreise, sondern auf vergrößerte Gewinnmargen der Mineralölkonzerne zurückzuführen sind“, sagte Verkehrsstaatsrat Martin Bill (Grüne) dem Abendblatt. „Die Preise können aber zeitgleich ein zusätzlicher Anreiz für den Umstieg auf den ÖPNV und das Fahrrad sein. Klar durchgerechnet war der HVV auch schon vorher deutlich günstiger als das private Auto – dieser Abstand vergrößert sich aktuell.“
Wichtig sei, dass das Angebot stimme, so Bill. „Deshalb bauen wir in Hamburg 36 neue Bahnhöfe in 20 Jahren und investieren deutlich in den Ausbau der Fahrradinfrastruktur. Die aktuelle Entwicklung sollten wir in Hamburg, aber vor allem auch auf Bundesebene dazu nutzen, die Mobilitätswende weiter voranzubringen und gerade die Alternativen zum privaten Pkw zu stärken.“
S-Bahn Hamburg vorsichtig optimistisch
Die Corona-Pandemie hatte die bis dahin stetig steigenden Fahrgastzahlen beim HVV einbrechen lassen. Mühsam versucht man derzeit, wieder auf den Vor-Corona-Stand zu kommen. „In den letzten Monaten konnten wir eine recht kontinuierliche Steigerung der Fahrgastzahlen beobachten“, sagte Hochbahn-Sprecher Christoph Kreienbaum dem Abendblatt. „Gleichwohl liegen wir noch 28 Prozent unter dem Niveau der Vor-Corona-Zeit.“ Silke Seibel, Sprecherin des HVV, sagt allerdings, dass es aktuell keine Anzeichen dafür gebe, dass aufgrund der hohen Spritpreise bereits deutlich mehr Menschen auf den ÖPNV umgestiegen seien.
Die S-Bahn Hamburg erwartet in diesem Jahr einen deutlichen Anstieg der Nachfrage. „Wir gehen davon aus, dass in den kommenden Monaten wieder bis zu 675.000 Fahrgäste täglich unsere S-Bahn-Züge nutzen werden“, sagte S-Bahnchef Kay Uwe Arnecke dem Abendblatt. Vor den Ferien hatte die S-Bahn täglich etwa 470.000 Fahrgäste. Im Jahr 2019 waren es im Durchschnitt 750.000 pro Tag gewesen.
Verkehr Hamburg: Menschen kehren in Büros zurück
Auch dass am 20. März die Homeoffice-Pflicht fällt, werde den Aufwärtstrend weiter stärken, glaubt Arnecke. Eine stichprobenhafte Befragung von Unternehmen, deren Mitarbeiter das HVV-Großkundenabonnement Profi-Ticket nutzen, habe ergeben, dass die meisten Mitarbeiter für im Durchschnitt drei Tage pro Woche ins Büro zurückkehren würden, so Arnecke.
Insofern sei die Erwartung, dass ein Großteil der verlorenen Pendler mit Profi-Ticket wieder zurückkommen werde. Seit November haben laut Arnecke rund 30 Firmen einen neuen Großkundenvertrag abgeschlossen. „Angesichts gestiegener Benzin- und Dieselpreisen gibt es gegenwärtig eine zusätzliche Motivation, auf den HVV umzusteigen, insbesondere bei langen Reisewegen“, so Arnecke. „Davon dürfte die S-Bahn besonders profitieren, da sie weit in die Metropolregion hineinfährt.“