Hamburg . Ver.di hat das Sicherheitspersonal zu einem ganztägigen Streik aufgerufen. Morgens gab es nur einen Abflug – alle anderen fallen aus.
Wer heute am Hamburger Flughafen Richtung Urlaub starten möchte, muss seine Pläne ändern. Ver.di hat für Dienstag das Sicherheitspersonal zu einem 24-stündigen Warnstreik aufgerufen. Von 87 in Hamburg geplanten Abflügen ist lediglich ein Flugzeug gestartet. Dabei handelt es sich um den Flug TAP 567 um 7 Uhr Richtung Lissabon, der mit 25 Minuten Verspätung gestartet ist. Alle anderen Abflüge wurden gestrichen. Davon betroffen waren insgesamt mehr als 10.000 Passagiere.
Bei den Ankünften wurden 18 von 89 geplanten Landungen gestrichen, heißt es vom Airport, eventuell kämen heute im Laufe des Tages jedoch weitere Streichungen hinzu. Betroffen von dem Streik sind rund 20.000 ankommende und abfliegende Passagiere.
- „Ich habe nicht damit gerechnet, dass der Flughafen komplett zu ist“
- Fluggäste kritisieren Kommunikation und Zeitpunkt
- Am Mittwoch ist am Flughafen mit großem Andrang zu rechnen
- Den Streikenden geht es auch um Anerkennung und Wertschätzung
- Ver.di-Vertreter bringt steigende Spritkosten ins Gespräch
- 150 Streikende versammeln sich am Airport zur Kundgebung
- Lange Schlangen vor dem Terminal Tango
- Streik am Flughafen Hamburg: Das sind die Forderungen von Ver.di
- Flughafen Hamburg rechnet mit langen Wartezeiten
„Ich habe nicht damit gerechnet, dass der Flughafen komplett zu ist“
Dass alle Beschäftigten in der Gepäck- und Passagierkontrolle die Arbeit niedergelegt hatten, dass kein einziger der Kontrollpunkte personell besetzt war, überraschte sogar die Gewerkschaft Ver.di, die zu dem 24-stündigen Warnstreik aufgerufen hatte. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass der Flughafen komplett zu ist“, sagte Gewerkschaftssekretär Peter Bremme dem Abendblat
Fluggäste kritisieren Kommunikation und Zeitpunkt
Familie Sonntag ist am späten Vormittag zutiefst frustriert: Ihre Flugreise nach Dubai zur Expo – soviel ist schon klar – ist bereits im Ansatz gescheitert. Auf dem Flughafen Hamburg zeigen die Bildschirme mit den Abflügen an, dass an diesem Dienstag kein einziges Passagierflugzeug mehr starten wird. Jetzt versuchen Holger Sonntag, seine Frau und die beiden Teenie-Töchter zu retten, was noch zu retten ist. Von Berlin aus, heißt es, soll es an diesem Tag noch Flüge geben. Doch auf Verdacht die 300 Kilometer in die Hauptstadt fahren, dass ist keine Option für die Familie.
Am Mittwoch von Hamburg abfliegen, ist auch keine Lösung: Es gibt keine passende Verbindung. „Das wird jetzt wohl leider nichts mehr“ sagt Holger Sonntag enttäuscht. „Wir hatten uns so gefreut, nachdem es jetzt von Corona her klappen sollte.“ An sich hat er Verständnis für den ganztägigen Warnstreik des Sicherheitspersonals am Helmut-Schmidt-Flughafen, der ihre Reisepläne so gründlich über den Haufen wirft. „Ich bin selbst bei Ver.di aktiv und verstehe, dass die Kolleginnen und Kollegen für gerechte Löhne kämpfen müssen. Aber das hätte man besser organisieren müssen. Heute morgen um 7 Uhr stand im Internet immer noch, dass unser Flieger geht. Jetzt werden wir von Turkish Airlines zur Reiseagentur und von der Agentur zu Turkish Airlines geschickt.“
Junges Paar: "Ich verstehe das schon irgendwie"
Auch ein junges Paar hat Verständnis. "Ich verstehe das schon irgendwie. Schuld hat ja der Flughafen, der die Leute schlecht bezahlt." erklärt die junge Frau. Die beiden wollten eigentlich nach Mallorca.
"Zum Glück haben wir eine Reiseversicherung, so bleiben wir wenigstens nicht auf den Kosten sitzen" tröstet sich ihr Partner resigniert.
Weniger Verständnis haben die Großeltern eines kleinen Babys. Ihr kleiner Enkel habe sie mit seinen Eltern besucht, erklären die beiden, während das Kind weint. "Grundsätzlich habe ich nichts dagegen, dass die Leute ihre finanziellen Nöte öffentlich machen. Aber die Leute haben Benzingeld hierher bezahlt, die Preise sind hoch - wir spielen Putin damit in die Hände.
Angesichts dessen, was sich in Europa gerade abspielt. finde ich den Streik völlig unangebracht. Deshalb NULL Verständnis für den Zeitpunkt. Es gibt gerade wichtigeres als 2,50 Euro mehr pro Stunde, findet der Mann. Auch seine Frau pflichtet bei: "Unser Schwiegersohn ist Pfarrer und muss morgen Gottesdienst halten. Und es gibt Vergnüglicheres als mit einem Baby zu reisen."
Am Mittwoch ist am Flughafen mit großem Andrang zu rechnen
Am Mittag informiert der Airport über die Situation am Flughafen: "Die Lage in den Terminals 1 und 2 sowie den Sicherheitskontrollen ist aktuell ruhig. Die Passagiere sind durch die Fluggesellschaften und den Flughafen über Stornierungen und Änderungen informiert worden, sodass viele Reisende umplanen konnten und gar nicht erst zum Flughafen anreisten."
Reisende werden aber auch für den Mittwoch um eine frühzeitige Anreise gebeten. Denn wegen der vielen ausgefallenen Flüge würden bei den Fluggesellschaften bereits viele Umbuchungen für diesen Mittwoch vorliegen, heißt es in einer Pressemitteilung. Nach dem derzeitigen Stand sind am Mittwoch 102 Starts und 97 Landungen geplant. Der Flughafen erwartet wegen der starken Auslastung besonders viele Passagiere und zeitweise einen starken Andrang an den Sicherheitskontrollen. Zumindest ein Teil der am Dienstag gestrandeten Passagiere wird es nicht weit haben. Das Hotel Radisson Blue am Airport war schon am Dienstagmittag komplett ausgebucht.
Was Flugreisende heute und morgen beachten sollten:
- Alle, die heute ab Hamburg starten wollten, werden gebeten, nicht zum Flughafen zu kommen und Kontakt zu ihrer Fluggesellschaft aufzunehmen.
- Alle, die morgen ab Hamburg Airport reisen möchten, sollten sich vor der Anreise zum Flughafen über den Status ihres Fluges zu informieren.
- Wer mit Gepäck reist, sollte dieses auf ein Minimum reduzieren – dies gilt insbesondere für das Handgepäck.
- Bei Fragen zu Verspätungen, Ausfällen, Umbuchungen etc. wenden sich Passagiere bitte direkt an die Hotlines der jeweiligen Fluggesellschaften (oder den Reiseveranstalter.
Hotel Blue Radisson komplett ausgebucht
Das Hotel Radisson Blue ist seit heute morgen komplett ausgebucht. Kein einziges Zimmer sei mehr frei, erklärt eine Mitarbeiterin am Empfang.
Den Streikenden geht es auch um Anerkennung und Wertschätzung
„Ich bin ehrlich, vor drei Jahren waren‘s mehr. Aber seit der Pandemie wurden ja auch fast 350 Leute nicht übernommen, die mussten dann zusehen, wo sie bleiben“, sagt einer der Streikenden, der gern anonym bleiben möchte. Das gilt auch für seinen Kollegen, der mit dem Streik zufrieden ist: „Was wir alles bewegen können, wenn wir zusammen halten! Natürlich tut mir das auch für den einen oder anderen Fluggast leid.“ Die Forderung nach einem Euro sei keineswegs banal: „Das sind im Monat ja 100 €. Im Moment muss ich allein 300 € für Sprit zahlen, damit ich überhaupt zur Arbeit komme. Ich kann mir doch keinen zweiten Nebenjob nehmen um da wieder bei 0 rauszukommen.“
Es gehe auch um Anerkennung und Wertschätzung: „Viele sehen uns als Eurojobber an, als Hindernis und qualitativ schlechter als sie. Wenn wir diesen Job nicht machen, wer macht ihn dann? Die in der Pflege haben gar keine Möglchkeit zu streiken. Auch für die würde ich mir wünschen, dass sie sich ne Scheibe von unserem Streik abschneiden könnten.“
Ver.di-Vertreter bringt steigende Spritkosten ins Gespräch
„Es sind qualitativ einfache Forderungen - es geht um 1€ mehr Lohn auf alle Gehaltsgruppen. Ich glaube wir sind optisch noch weit voneinander weg - es wurden zuletzt 38 Cent geboten. Nach 2 Tagen Verhandlungen gar kein Angebot zu machen, das geht nicht“, sagt Peter Bremme, Landesfachbereichsleiter von Ver.di. „Der Euro ist gerechtfertigt. Er müsste vielleicht sogar überboten werden, weil jetzt die aktuellen Entwicklungen dafür sorgen, dass andere Kosten entstehen, Spritkosten zum Beispiel. Das betrifft viele, weil sie sich Hamburg als Wohnort nicht mehr leisten können und deswegen aus dem Umland pendeln.“
Für die Organisation und das lange Warten der Fluggäste könne die Gewerkschaft nichts, so Bremme: „Am Montag um 10 Uhr haben wir kommuniziert, wie wir heute streiken werden. Dann ist es an der anderen Seite, was daraus zu machen - dass der Flughafen heute zumacht, war ja erst heute früh bekannt, das können wir aber nicht beeinflussen.“ Er sei froh über die Beteiligung, es seien fast 100 Prozent. Das sei vorher nicht klar gewesen, weil sie das zum letzten Mal vor zwei Jahren gemacht hätten.
150 Streikende versammeln sich am Airport zur Kundgebung
Gegen 12.30 Uhr hat am Flughafen die Kundgebung der Gewerkschaft ver.di begonnen. Die Polizei schätzt die Anzahl der Teilnehmer auf etwa 150. Die Versammelten sind zum Teil in gelben Warnwesten der Gewerkschaft vor Ort oder schwenken Fahnen. Während Beatles und Reggaemusik aus einem Lautsprecher gespielt werden, skandieren die Streikenden Stimmchöre wie: „Wir sind Hamburg!“ oder „Wir sind es wert - für einen Euro“. So drehen die Menschen einmal eine Runde auf dem leeren Parkdeck des Flughafens, ehe sie sich zur Kundgebung an den aufgebauten Zelten sammeln.
Die Stimmung ist gut - die Streikenden sind gut gelaunt und motivieren sich gegenseitig zum lauten Protest. Einige sind mit Kindern gekommen, schließlich sind Schulferien.
Lange Schlangen vor dem Terminal Tango
Am Flughafen bilden sich vor dem Terminal Tango lange Schlanegn. Dort stehen Busse für die Weiterreise bereit. Nach Angaben von Reisenden sollen sie unter anderem nach Bremen zum Flughafen fahren.
In der Hoffnung, dass einzelne Flüge doch starten würden, waren am Morgen viele Passagiere zum Flughafen gekommen. Sie standen mit ihrem Reisegepäck in langen Schlangen im Terminal und beobachteten die Anzeigetafeln, auf denen annullierte Flüge angezeigt wurden.
Streik am Flughafen Hamburg: Das sind die Forderungen von Ver.di
Laut Ver.di konnte in den bisher drei Verhandlungsrunden zur Erhöhung der Entgelte für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen bislang keine Einigung erzielt werden. Die Gewerkschaft spricht von einem unzureichenden Angebot aus den beiden ersten Verhandlungen, das in keiner Weise die Preisentwicklung aufgreife und Nullmonate vorsehe.
„Die Arbeit der Luftsicherheitskräfte muss finanziell attraktiv bleiben, damit die dringend benötigten Fachkräfte gewonnen werden können. Deshalb muss der Lohn mindestens um 1 Euro angehoben werden“, kritisiert Ver.di-Verhandlungsführer Wolfgang Pieper und fügt hinzu: „Wir wissen, dass in Hamburg noch Ferien sind und wir wünschen allen von Herzen einen schönen Urlaub. Leider sind wir aufgrund des Verhaltens der Arbeitgeber gezwungen, vor der kommenden Verhandlungsrunde am 16. und 17. März spürbaren Druck zu machen.“ Die Streikenden versammeln sich laut Ver.di ab 12 Uhr auf dem Abflug-Parkdeck nahe dem Radisson Blue Hotel, eine Kundgebung ist für 12.30 Uhr geplant.
Flughafen Hamburg rechnet mit langen Wartezeiten
Der Flughafen Hamburg hat sich eigenen Angaben zufolge bestmöglich mit den Fluggesellschaften und Behörden auf den Ver.di-Streik vorbereitet. "Dennoch müssen Passagiere mit vielen Flugausfällen und langen Wartezeiten rechnen. Aufgrund der eingeschränkten Kontrollkapazität wird ein Großteil der Fluggäste die Kontrollstelle nicht pünktlich passieren können", heißt es in einer Mitteilung. Bevorzugte Sicherheitskontrollen, wie beispielsweise die Fast Lane seien mangels Kapazität nicht möglich.
Deswegen rät der Airport allen Fluggästen, sich vor der Anreise zum Flughafen über den Status ihres Fluges zu informieren.
Verhandlungen für neuen Tarifvertrag für Sicherheitskräfte
Die Warnstreiks sind Teil des bundesweiten Tarifkonflikts zwischen Ver.di und dem Bundesverband der Luftsicherheitsunternehmen. Die Gewerkschaft verhandelt mit dem Arbeitgeberverband über einen neuen Tarifvertrag für bundesweit rund 25.000 Sicherheitskräfte. Drei Verhandlungsrunden waren bisher ohne Ergebnis geblieben. Die Tarifpartner wollen sich heute und Donnerstag zu weiteren Verhandlungen treffen. Die Gewerkschaft fordert unter anderem eine Erhöhung des Stundenlohns um mindestens einen Euro pro Stunde sowie die Angleichung regionaler Löhne.
Der indirekt betroffene Bundesverband der Deutschen Fluggesellschaften kritisierte die Ver.di-Aktionen scharf. Es handele sich nicht mehr um Warnstreiks, erklärte Geschäftsführer Michael Engel. „Vielmehr versucht Ver.di, überzogene und völlig unsolidarische Forderungen auf Kosten der Passagiere und Reisende am Dienstagmorgen auf dem Flughafen Hamburg. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Airlines noch nicht alle Flüge abgesagt.