Hamburg. Das Luxushotel an der Binnenalster wird 125 Jahre alt. Direktor Ingo C. Peters verrät, welche Wünsche seine prominenten Gäste haben.
Mehr oder weniger kultivierte Marotten illustrer Gäste, Allüren der Prominenz und wundersame Erlebnisse hinter den Kulissen würzen das nicht alltägliche Berufsleben des Ingo C. Peters.
Im 125. Jahr nach Gründung des Hotels Vier Jahreszeiten ist der 60-Jährige seit 25 Jahren als geschäftsführender Direktor in der Verantwortung. Diskretion ist sein Geschäft. Andererseits verfügt der weltgewandte Hanseat über ein stabiles Fundament, seine Meinung frank und frei äußern zu können.
Vier Jahrszeiten wird 125: "Wir wollen der Perfektion nahekommen"
Peters kam als Sohn Hamburger Studenten in Braunschweig zur Welt und wuchs in Rahlstedt auf. Sein Vater war Baudirektor in Bergedorf, die Mutter approbierte Apothekerin. Nach dem Abitur am Gymnasium Am Heegen begann er 1981 ein sechsmonatiges Praktikum im Fünfsternehaus an der Binnenalster.
Daraus wurde eine Ausbildung zum Hotelfachmann. Bis auf Floristik und Wäscherei passierte er sämtliche Stationen. Und als die Pagenuniform zu klein war, musste er die Änderungsschneiderei im Stadtteil St. Georg vom Lehrlingsgehalt bezahlen.
Hamburger Abendblatt: Herr Peters, gibt es einen Türschlüssel für das Vier Jahreszeiten?
Ingo C. Peters: Tatsächlich war unser Hotel jahrzehntelang nie geschlossen – mit Ausnahme der Corona-Lockdowns. Der Generalschlüssel in meiner Tasche öffnet sämtliche Schlösser des Hauses – Suiten, Weinkeller und Dachterrasse inklusive. Ein Ersatzexemplar befindet sich versiegelt an der Rezeption. Für den Notfall.
Mit Ihrer Ehefrau Christiane und Ihrem fünfjährigen Sohn Conrad leben Sie in einer abgetrennten Wohnung oben im Gebäude. Haben Sie schon mal in einem der Hotelzimmer übernachtet?
Peters: Nicht nur einmal, sondern vier- bis fünfmal im Jahr. Wenn ein Zimmer neu eingerichtet wurde, fungiere ich als Testschläfer. So erfahre ich sehr praktisch, an welcher Ecke es vielleicht noch hakt. Ansonsten wohnt unsere Familie wie andere auch. Wir haben Waschmaschine, Staubsauger und Feudel. Alles absolut normal.
Geht nicht, gibt’s nicht ...
Peters: Stimmt. Das ist unser Motto wahrhaftiger Gastfreundschaft. Unsere tägliche Herausforderung ist es, nicht 1000 Gründe zu suchen, warum etwas nicht geht. Besser ist ein guter Grund, warum man es doch schafft. Das kann kosten, je nachdem. Natürlich muss der Wunsch legal sein. Für kein Geld der Welt würden wir einem Gast Kokain besorgen zum Beispiel.
Ansonsten ist ein Wunsch Befehl?
Peters: Ja. Wir sind bemüht, alles möglich zu machen. Wir wollen der Perfektion nahekommen und erahnen, was Gäste möchten. Wenn einer einen Leoparden aufs Zimmer wünscht, kann man das natürlich vorher nicht wissen.
Schon vorgekommen?
Peters: Es gab exzentrische Gäste, die eine Schlange auf dem Zimmer haben wollten. In meinem Beruf wundere ich mich über gar nichts mehr. Als die Schauspielerin Sophia Loren einst wochenlang bei uns weilte, haben wir eines ihrer Bäder in der Suite zur kompletten Küche umgebaut. So konnte sie dem Mann ihres Herzens persönlich Spaghetti kochen. In meiner Zeit als Page und Auszubildender im Vier Jahreszeiten, Anfang der 1980er-Jahre, wollten Gäste aus Arabien Ziegen schlachten und in ihren Zimmern auf offenem Feuer rösten. Das ging zu weit, na klar. Aber es gab eine Lösung.
Finden Sie stets einen salomonischen Weg?
Peters: Wenn man vernünftig miteinander spricht, fast immer. Auf Augenhöhe, das ist wichtig. Ebenso wie Vorkasse. So wie bei einem namhaften Staatsoberhaupt in jüngster Zeit. Um dieser hochgestellten, indes klein gewachsenen Persönlichkeit komfortablen Zugang ins Foyer zu gewährleisten, wurde der Aufgang vor unserem Hauptportal komplett umgebaut – mit einer Attrappe, mit Holz verleimt und Marmorblenden verklebt. Es hat ein Vermögen gekostet. Letztlich ließen sie sich dieses Provisorium in ihr Heimatland liefern. Nach dem Grund fragten wir nicht.
Sind Sie nach 40 Jahren in Luxushotels und fast einem Vierteljahrhundert als Direktor des Vier Jahreszeiten noch aus der Fassung zu bringen?
Peters: Nicht so schnell. Allerdings war ich Ende vergangenen Jahres beim morgendlichen Rundgang um 6.45 Uhr doch verblüfft. Einer unserer Garagisten berichtete, dass ein weiblicher Gast aus China in der Hunde Lounge übernachtet hatte.
Was ist das denn?
Peters: Das ist ein mit einer Hundetapete aus schwarzem Samt ausgekleideter Raum hinter der Portiersloge am Garageneingang. Da im Hotel keine Haustiere gestattet sind, werden dort Hunde von Hotelgästen oder Restaurantbesuchern untergebracht. Die Dame aus Fernost war in ihrer Suite offensichtlich von Sehnsucht nach ihrem Hund heimgesucht worden.
Sind Marotten stinkreicher Hotelgäste grenzenlos?
Peters: Wirklich gute und richtig reiche Persönlichkeiten verhalten sich in der Regel normal – und sind kaum zu erkennen. Problematischer sind hin und wieder Menschen mit einer Menge Geld, die ihren eigenen Stil noch nicht gefunden haben. Auch in solchen Fällen hilft das Credo unseres Hauses: Es soll so sein, als bewirten wir zu Hause gute Freunde. Wir sind erstklassige Gastgeber und professionelle Dienstleister, aber keine Diener. Die Kollegen sind höflich, keinesfalls unterwürfig oder servil. Jeder soll seine Würde wahren. Unsere Mitarbeiter sind die Seele unseres Privathotels.
Leicht gesagt ...
Peters: Wir trainieren so etwas intensiv. Und wir sprechen darüber. Unsere Angestellten sind keine dressierten Lakaien, die einstudierte Höflichkeitsfloskeln servieren. Ziel ist es, Persönlichkeit zu wahren und dabei vollendete Gastfreundschaft zu bieten. In der Praxis gelingt das prima. Das Gros unserer Gäste schätzt Luxus, aber bitte mit Charakter. Man kann eben nicht mehr als zwei- oder dreimal am Tag gut essen.
„Moin“ oder „Tschüs“ hört man die Hotelmitarbeiter nicht sagen.
Peters: Das gehört zu den klaren Regeln. Bei Begrüßung oder Abschied sollten die Tageszeit sowie der Name genannt werden: „Guten Abend, Frau Müller.“ Duzen ist tabu.
Schaffen Sie es immer mit dem Entgegenkommen auf Augenhöhe?
Peters: Eigentlich schon. Ich betrachte unsere Gäste als ganz normale Menschen. Ich kenne keinen Extrarespekt vor Geld und Macht. Im Grunde ist die Sache einfach: Ich liefere Service, andere empfangen ihn. Dafür wird bezahlt. Wichtig ist die Erkenntnis: Wir spielen eine andere Rolle als unsere Gäste. Bei aller Sympathie: Ich gehöre nicht dazu. Und ich will auch nicht dazugehören. Wer dieses Thema vermischt, kann tief fallen. Wer stabil steht, gerät nicht ins Wanken. Das geht nicht nur Politikern oder Journalisten so. Hat man ausgedient, ist’s meist vorbei mit Einladungen und anderen Gefälligkeiten.
Sind Sie ein Menschenkenner?
Peters: Man lernt im Laufe der Zeit. Nur mit viel Erfahrung und feinen Antennen kann man einen solchen Job gut machen. Bauchgefühl kommt hinzu. Meist merke ich nach 20 bis 30 Sekunden, wer vor mir steht. Ich täusche mich selten. Bisweilen gelingt es mir, in Menschen zu lesen. Das ist spannend. Bei uns ist Psychologie das halbe Geschäft. Wir haben ein großes Herz für unsere Gäste. Wir nehmen jeden Wunsch sehr ernst. Ziel ist es, niemals Nein sagen zu müssen. Wir verkaufen kein Schlafen in weichen Betten, sondern Lifestyle.
Konsumieren Sie oft Kaviar und Schampus?
Peters: Leben geht auch gut mit einer Tasse Tee. Der Beruf in einem vornehmen Hotel darf niemals zur irrealen Welt werden. Mir droht diese Gefahr glücklicherweise nicht. Ich kann mit einem Leberwurstbrot und einer Gewürzgurke zufrieden sein. Vielleicht ein Bier dazu. Bescheidenheit ist eine Zier. In jeder Beziehung. Während meiner Jahre in Asien habe ich gelernt, erst mal zu gucken und zuzuhören.
Die Besitzerfamilie investierte in den vergangenen acht Jahren rund 25 Millionen in die Zukunft des Hotels. Sind Sie am Ende Ihrer Wünsche?
Peters: Vor bald 25 Jahren übernahm ich eine Legende. Zum 125. Geburtstag jetzt sind in der Tat alle Projekte umgesetzt. Dadurch steht das Hotel heute besser da als je zuvor. Über Geld reden wir öffentlich nicht. Über unsere Prinzipien umso lieber: Sparen kann jeder – und immer nur einmal. Wir investieren, um Umsatz zu schaffen. Es klingt flapsig, trifft indes den Kern: Wirft man in einem Hotel Geld aus dem Fenster, kommt es durch die Tür wieder herein. Unsere Umsatzzahlen beweisen es.
Ihre wichtigsten Lehrsätze?
Peters: Vollendete Gastfreundschaft. Niemals Kumpanei mit Gästen. Erfolg ist heute, nicht später. Bleibe dir selbst treu – und betrachte dich jeden Tag im Spiegel.
Unabhängig vom Charakter: Machen Kleider Leute?
Peters: In gewisser Weise ja. Aber nur in Maßen. Es gibt gewisse Leute, die äußerlich zeigen wollen: Ich gehöre dazu. Das klappt nicht auf Knopfdruck. Manche übertreiben: Nadelstreifen im Anzug sind zu breit. Oder die Uhr fällt zu dick und protzig aus.
Gibt es Indizien für Stil?
Peters: Ganz viele. Beispielsweise die Schuhe. Sie sollten nicht abgelatscht sein. Oder wie man ein Weinglas hält. Am Stil natürlich. Wie benimmt sich einer? Hält er einer Frau die Tür auf? Nimmt er ihr den Mantel ab? Ist sein Verhalten echt? Oder wirkt es aufgesetzt. Stil kann man nicht kaufen. Man hat ihn – oder eben nicht.
Was geht im Hotel Vier Jahreszeiten gar nicht? Weiße Socken? Cordhose?
Peters: Es kommt auf den Einzelfall und den Anlass an. Die Kombination Jeans, T-Shirt, Sportschuhe kann problematisch sein. Muscle-Shirt, kurze Hose und Flip-Flops zusammen sind indiskutabel. Andererseits gibt es Typen mit uriger Note, die sich sogar so etwas leisten können. Gerade in Hamburg wird Großgeist gepflegt. Bei Bermudashorts ist das übrigens eine vollkommen andere Nummer. Sie gelten vor Ort als höchster Bekleidungsstandard – getragen am besten mit Kniestrümpfen.
Hand aufs Herz: Gibt es noch die geheimen Karteikarten mit Eigenarten der Stammgäste?
Peters: Geheim ist übertrieben, diskret passender. Vorlieben, Abneigungen oder Sonderwünsche wurden in die digitale Welt übertragen. Sie werden regelmäßig aktualisiert. In sehr wenigen Ausnahmefällen existiert ein vertrauliches Zusatzkürzel, diesen Gast mit einem Hauch Vorsicht zu behandeln.
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Auf Ihrem Schreibtisch im Souterrain des Hotels stehen drei Affen. Sie symbolisieren die japanische Weisheit: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Haben diese Affen recht?
Peters: Mit den ersten beiden Aussagen nicht unbedingt, mit der dritten schon. Würden wir die Tugend aufrichtiger Verschwiegenheit nicht beherzigen, könnten wir nicht mit Stolz unseren 125. Geburtstag begehen. Im Raritätenraum unseres Weinkellers wird eine Flasche Rotwein aus dem Gründungsjahr 1897 verwahrt. Er ist nicht mehr genießbar, wird aber in Ehren gehalten.
Abendblatt-Serie zum Jubiläum: Lesen Sie morgen: Die Geschichte des Vier Jahreszeiten
Am Sonnabend dann: Geheimnisse und Marotten der prominenten Gäste
Am Montag: Eine Nacht im Hotel