Hamburg. Hamburgs neuer Datenschutzbeauftragter Fuchs über Tech-Giganten, die Klage gegen den Flughafen und ein mögliches Impfregister.

Seit November ist Thomas Fuchs neuer Hamburger Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit. Damit hat er die ersten 100 Tage im Amt hinter sich. Im Abendblatt-Interview macht der Jurist und Sohn der SPD-Politikerin Anke Fuchs deutlich, dass er einen etwas anderen Ansatz verfolgt als sein Vorgänger Johannes Caspar – und neuen Technologien offen und optimistisch gegenübersteht. Auch mit einem Impfregister hat er keine Probleme. Dass er sich die Butter nicht vom Brot nehmen lässt, hat er allerdings auch schon gezeigt – mit einer Klage gegen den Flughafen.

Hamburger Abendblatt: Herr Fuchs, Ihr Vorgänger Prof. Caspar galt als beinharter „Facebook-Jäger“. Was von seiner Arbeit wollen Sie fortführen, was anders machen?

Thomas Fuchs: Mein Vorgänger hat mit dem Verhängen hoher Bußgelder und mit Verfahren gegen Tech-Giganten sehr deutlich gemacht, wozu Datenschutz da ist und was Datenschutzbehörden können. Er hat die Aufmerksamkeit auf wichtige Themen gelenkt, das ist sein großer Verdienst. Wir kommen jetzt allerdings in eine andere Zeit. Das Bewusstsein für den Datenschutz ist mittlerweile fast überall da. Nun kommt es darauf an, die digitale Gesellschaft so zu entwickeln, dass sie mit den neuen Technologien datenschutzkonform funktioniert. Also: weniger jagen, mehr gestalten.

Technisch ist immer mehr an Daten­erhebung möglich: Per Gesichtserkennung sind wir überall identifizierbar, im Internet werden wir durchgehend verfolgt und unsere Handys sind Peilsender, mit denen wir auf wenige Meter genau geortet werden. Was kann Datenschutz dem überhaupt entgegensetzen?

Fuchs: Die technischen Möglichkeiten sind umfassend und die Gefahren des Missbrauchs groß, das stimmt. Staaten wie China zeigen das deutlich. Wir haben es in unserer Demokratie aber selbst in der Hand. Ich vergleiche das gern mit dem Klimaschutz. Der Klimawandel ist ein menschengemachtes Problem – und daher auch von Menschen behebbar. Mit neuen Technologien ist es genauso. Man kann ihre Nutzung in einer Demokratie so gestalten, dass sie unter Wahrung des Datenschutzes eingesetzt werden. Man legt doch rechtlich fest, was etwa die Polizei darf, was Arbeitgeber dürfen, wie wir mit Kameras im öffentlichen Raum umgehen und so weiter. Ich bin da sehr optimistisch, dass wir das hinkriegen.

Optimistisch? Das passt nicht recht ins Klischee des dauerwarnenden Datenschützers.

Fuchs: Ich habe ein großes Grundvertrauen, dass es einer demokratischen Gesellschaft wie unserer gelingt, Digitalisierung klug zu gestalten – und die tollen neuen Möglichkeiten so zu nutzen, dass das Recht auf die „informationelle Selbstbestimmung“ gewährleistet bleibt. Datenschutz ist keine Zukunftsbremse. Man kann Datenschützern vielleicht vorwerfen, bisweilen eine Grundhaltung der Skepsis kultiviert zu haben. Das müssen wir besser machen – und eher konstruktive Fragen stellen: Wie kann es datenschutzkonform gehen? Oder: Worauf müssen wir achten, wenn wir diese neue Technologie nutzen wollen?

Was bedeutet das konkret?

Fuchs: Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung werden allein 15 datenbezogene Gesetzesvorhaben genannt. Da geht es um Forschungs- und Medizindaten, es soll ein umfassendes Datengesetz geben, ein Dateninstitut und Datentreuhänder. Wir sind jetzt also endlich, endlich an dem Punkt, an dem Politik darüber nachdenkt, wie sie die Digitalisierung gestalten will. Endlich ist klar, dass man dafür nicht nur Breitband, WLAN und Laptops braucht, sondern ein Konzept, wie man Daten erhebt, wer sie wie nutzen darf, wie man sie anonymisiert und teilt und wann sie gelöscht werden. Das ist sehr wichtig, denn Probleme beim Datenschutz entstehen fast immer aus einer unklaren Rechtslage, also aus veralteten oder schlecht gemachten Gesetzen. Guter Datenschutz braucht gute Gesetze.

In der Pandemie hieß es, der Datenschutz habe eine optimale Kontaktnachverfolgung verhindert. War uns Datenschutz wichtiger als Gesundheitsschutz?

Fuchs: Nein, das hat nie gestimmt. Ich wüsste nicht, was Gesundheitsämter, die mit Faxen arbeiten, ohne Datenschutz anders hätten machen können. In Wahrheit hat die Pandemie aufgedeckt, wo überall die digitale Infrastruktur fehlte. Das galt für die Nachverfolgung wie für die Kommunikation. Bei den Schulen gab es keine funktionierenden Lernplattformen, bei den Hochschulen keine Videokonferenzstrukturen – und dann mussten alle ganz schnell improvisieren. Da hatte man dann nicht die Zeit, angemessen über IT-Sicherheit und Datenschutz nachzudenken.

Und dann haben die Datenschützer die Nutzung funktionierender US-Systeme wie Zoom untersagt, weil deren Daten über US-Server laufen, und es ging erst mal gar nichts richtig, weil die hiesigen Systeme nicht ausgereift waren. Nicht einmal Streamen des Unterrichts war möglich.

Fuchs: In der Notlage wurde die Nutzung von US-Systemen letztlich geduldet. Aber es ist wichtig, dass man danach eigene Alternativen entwickelt. Da sind wir teilweise auf einem guten Weg. Dataport arbeitet etwa an einer Konferenz-Plattform für die Bezirksversammlungen, die scheint richtig gut zu werden. Insgesamt haben Datenschützer in der Notlage der Pandemie vieles durchgehen lassen, was in normalen Zeiten nicht denkbar wäre.

Was denn zum Beispiel?

Fuchs: Allein die Kontaktverfolgung in der Gastronomie. Dass jeder Gast Namen und Telefonnummer in einer Liste hinterlassen musste und festgehalten wurde, mit wem ich am Tisch saß und wie oft ich in den letzten drei Wochen dort Bier getrunken hatte – das war schon eine relevante Grundrechtseinschränkung und ein Datenschutzthema. Da haben Datenschützer aber Rücksicht auf die beson­dere Situation genommen. Wir sind pragmatischer als manche denken. Und weil das gerade so diskutiert wird: Ich finde übrigens ein Impfregister eine gute Idee.

Ja? Ist ein Impfregister nicht datenschutzrechtlich problematisch?

Fuchs: Das hängt davon ab, wie man es ausgestaltet. Ich halte es gerade aus wissenschaftlicher Sicht  zu  Forschungs­zwecken für hoch sinnvoll, dass wir Daten zum Impfstatus erheben und möglicherweise auch zu soziodemografischen Hintergründen. Dafür braucht man aber ein Registergesetz, das genau klärt, welche Daten erhoben werden, wer sie wie verarbeitet, wer Zugriff darauf hat und sie nutzen darf. Das wäre bei einer zukünftigen digitalen Kontaktnachverfolgung im Prinzip ähnlich. Man muss halt klar festlegen, welche Daten das Gesundheitsamt zu welchen Zwecken erheben darf und wann sie wieder gelöscht werden. Wenn man das vorher sauber klärt, ist es meistens auch datenschutzrechtlich okay.

Viel mehr Daten als der Staat sammeln die Tech-Giganten Facebook, Google, Apple, Amazon und Co. Wie sehen Sie da die Zukunft?

Fuchs: Auch da bin ich zum Teil optimistisch. Apple hat beispielsweise kürzlich eingeführt, dass Anbieter von i-Phone-Apps das Verhalten ihrer Nutzerinnen und Nutzer nur noch bei expliziter Zustimmung tracken dürfen. Die überwiegende Zahl der Apple-Kunden lehnt die Nachverfolgung ihres Nutzungsverhaltens seitdem ab. Facebook hat mitgeteilt, dass sie diese Neuerung zehn Milliarden Dollar an Werbeeinnahmen gekostet hat. Das zeigt einen beginnenden Bewusstseinswandel auf Nutzerseite. Auch Google­ will das Tracking durch sogenannte Third-Party-Cookies nicht mehr zulassen. Es beginnt also eine Abkehr von der permanenten Nachverfolgung aller Menschen, die im Internet unterwegs sind. Dies wird unterstützt durch einige Entscheidungen europäischer Aufsichtsbehörden. Ich glaube deshalb, in fünf Jahren wird es keine personalisierte Werbung in der heutigen Form mehr geben – das wird das Internet verändern. Und, nebenbei gesagt, auch eine ziemliche Herausforderung für die Werbebranche.

Ist Datenschutz plötzlich wieder in Mode?

Fuchs: Dass den Menschen das Thema wichtig ist, zeigen die Zahlen auch in Hamburg. Wir hatten im vergangenen Jahr erstmals mehr als 4000 schriftliche Eingaben von Bürgerinnen und Bürgern, 3000 davon waren Beschwerden über mögliche Datenschutzverstöße. Da geht es viel um die Rechte von Beschäftigten gegen Ausspähung durch Arbeitgeber oder um Beschwerden über Außenkameras auf Privatgrundstücken, die auch Nachbargrundstücke erfassen. Außerdem gibt es einen wachsenden Beratungsbedarf von kleinen Unternehmen oder Vereinen, die wissen wollen, wie sie ihre Systeme datenschutzkonform gestalten können.

Sie sind auch Beauftragter für Informationsfreiheit. In diesem Zusammenhang haben Sie gerade den Hamburger Flughafen verklagt. Worum geht es dabei?

Fuchs: Hamburg war ja mit seinem Transparenzgesetz von 2012 bundesweiter Vorreiter für eine transparente Verwaltung. Städtische Stellen müssen seither wesentliche Daten ins Online-Transparenzregister stellen und auf Anfragen Auskünfte erteilen. Aber in der Praxis hakt es. Da werden Auskünfte verweigert oder viel zu spät erteilt. Streit gibt es vor allem darüber, ob neben den Behörden auch städtische Unternehmen und Einrichtungen auskunftspflichtig sind, also Theater, Hochschulen oder etwa der Flughafen. Wir meinen: ja. Der Flughafen aber bestreitet seine Auskunftspflicht grundsätzlich. Daher haben wir vor dem Verwaltungsgericht geklagt.

Das öffentliche Transparenzportal unter transparenz.hamburg.de ist seit seiner Einrichtung kaum verändert worden. Es wirkt ziemlich unübersichtlich – fast so, als wolle man Wichtiges in einem Wust von Unwichtigem verstecken. Sind Sie damit zufrieden?

Fuchs: Optimal finde ich es auch nicht. Es könnte durchaus mal überarbeitet werden.

Was sehen Sie als die größten Ziele und Herausforderungen in Ihrem neuen Amt?

Fuchs: Die Digitalisierung klug vorantreiben und in Deutschland und Europa datenschutzkonform gestalten. Die Macht der großen Tech-Konzerne sinnvoll begrenzen. Und für mich grade mit als Erstes und grundlegend: meine Behörde stärker zu digitalisieren. Ich war etwas überrascht, wie viel hier noch in Papierform läuft. Das ist angesichts der sehr großen Zahl von Eingaben überhaupt nicht praktikabel. Ich hoffe, dass uns Senat und Bürgerschaft bei dieser dringend notwendigen Modernisierung auch finanziell unterstützen.

Auch interessant

Auch interessant

Auch interessant

Wenn Ihre erste sechsjährige Amtszeit um eine zweite verlängert würde, könnten Sie bis 2033 im Amt sein. Wie wollen Sie in Erinnerung bleiben?

Fuchs: Als Architekt der digitalen Gesellschaft. Oder zumindest als ihr Statiker.