Hamburg. Immunität durch Vakzin länger als nach Infektion. Erst jedes sechste Kind ist vollständig immunisiert. Noch viele Termine frei.

Einen „unglaublichen Run“ auf Termine für Fünf- bis Elfjährige habe sie nach dem Start der Kinder-Impfungen im Dezember erlebt, sagt Claudia Haupt. Die Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Hamburgs impfte in ihrer Blankeneser Praxis auch sonnabends, um den Ansturm zu bewältigen. Ähnlich viel los gewesen sei in anderen Kinderarztpraxen.

Genauso lief es in dem von der Stadt eingerichteten Kinderimpfzentrum in der Pasmannstraße (Neustadt): Schon wenige Stunden nach der Online-Freischaltung waren viele Termine bis in den Januar hinein vergeben. Ganz anders sieht es nun Mitte Februar aus: Die Nachfrage ebbe erheblich ab, sagt Claudia Haupt. Auch Buchungen im Kinderimpfzentrum sind „deutlich zurückgegangen“, wie die Gesundheitsbehörde auf Abendblatt-Anfrage mitteilte.

Corona Hamburg: Arzt betrachtet Entwicklung sorgenvoll

Während 92,1 Prozent der Erwachsenen in Hamburg inzwischen eine oder mehrere Impfungen erhalten haben und immerhin 64,1 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen mindestens einmal gegen Corona geimpft worden sind, haben mit Stand Donnerstag laut Robert-Koch-Institut nur 25,8 Prozent der Fünf- bis Elfjährigen in Hamburg eine Erstimpfung gegen Sars-CoV-2 bekommen. Erst 17,4 Prozent haben zweimal eine Dosis des Kinderimpfstoffs von Biontech/Pfizer erhalten, also etwa jedes sechste Kind.

Privatdozent Dr. Robin Kobbe, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin am Uniklinikum Eppendorf (UKE), blickt mit Sorge auf diese Entwicklung. Zwar verliefen schon Infektionen mit der Delta-Variante bei Kindern überwiegend mild und es gebe Hinweise, dass Infektionen mit Omikron milder verlaufen als mit Delta, sagt Kobbe. Doch nach Angaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin mussten in dieser Woche bundesweit immerhin 51 Kinder und Jugendliche mit Covid-19 auf Kinderintensivstationen behandelt werden. Im Vergleich zu den Erwachsenen sei das wenig, „jedoch sind diese Zahlen nicht zu vernachlässigen und zudem in den Altersgruppen, in denen ein Impfstoff zugelassen ist, vermeidbar“, sagt Kobbe.

Angepasste Impfungen kommen nicht in naher Zukunft

„Ziel der Impfstoffentwicklung war immer, vorrangig schwere Krankheitsverläufe zu verhindern – und genau das tut die mRNA-Impfung auch zuverlässig bei Kindern und Jugendlichen, die mit Omikron in Kontakt kommen.“, sagt Kobbe weiter. „Dies sollte nicht aus den Augen verloren werden, auch wenn Durchbruchsinfektionen, entweder asymptomatisch oder mit milden Symptomen, mit Omikron deutlich häufiger auftreten“, so der Mediziner.

„Zudem wissen wir mittlerweile, dass eine Grundimmunisierung mit einer Effektivität von über 90 Prozent vor der gefürchteten PIMS-Folgeerkrankung schützt.“ Auf eine an die Omikron-Variante angepasste Impfung für Kinder zu warten oder auf die Zulassung eines Protein-Impfstoffs, mache keinen Sinn, da solche Impfstoffe für 5- bis 11-Jährige nicht in den kommenden Wochen oder Monaten zur Verfügung stehen werden.

Kinderimpfung wird allgemein gut vertragen

Die Kinderimpfung habe sich als sehr gut verträglich erwiesen, sagt Kobbe. Ihm zufolge treten Impfreaktionen wie Fieber, Schüttelfrost oder Kopfschmerzen nur selten auf. In einer Auswertung der Nebenwirkungen in den USA zeigten sich laut Kobbe nur sehr wenige Fälle einer mild verlaufenden Herzmuskelentzündung (Myokarditis): durchschnittlich vier Fälle auf eine Million Impfdosen.

Dass die Nachfrage nach Impfungen für 5- bis 11-Jährige ins Stocken geraten ist, hänge wohl zum einen damit zusammen, dass zuletzt viele Kinder in dieser Altersgruppe an Corona erkrankt seien und deshalb keine Impftermine wahrnehmen können, sagt Claudia Haupt, die Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Hamburgs. Zum anderen hielten etliche Eltern eine Impfung nicht mehr für dringlich, „etwa weil sie denken, von der vorherrschenden Omikron-Variante gehe keine besondere Gefahr für Kinder aus.“ Auch die Aussicht auf den Frühling und Lockerungen, die nicht von Impfungen bei Kindern abhängig gemacht werden könnten, tragen nach Haupts Einschätzung dazu bei, dass Eltern ihre Kinder im Alter zwischen 5 und 11 nicht impfen lassen.

Biontech-Vakzin schütze „sehr gut vor schweren Verläufen"

Dabei gebe es weiterhin gute Argumente für die Kinderimpfung, sagt die Kinderärztin. Auch sie betont, das Biontech-Vakzin mit der geringeren Dosis schütze „sehr gut vor schweren Verläufen, auch bei einer Infektion mit Omi­kron“. Zudem zeichne sich ab, dass nach einer durchgemachten Infektion die Immunität nicht so lange anhalte wie nach einer Impfung. Auch wenn das Infektionsgeschehen in Hamburg zurückgeht: Spätestens im Herbst könnten neue Corona-Varianten auftreten, wobei niemand sagen kann, ob diese Mutanten für Kinder gefährlicher sein werden oder nicht. Claudia Haupt glaubt, es wäre besser, vor dem Herbst eine möglichst hohe Impfquote bei Kindern zu erreichen.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Dem Vernehmen nach herrscht weitestgehend Einigkeit unter Kinderärzten, dass eine Impfung für 5- bis 11-Jährige mit schweren Vorerkrankungen ratsam ist – so lautet auch die Empfehlung Stiko. Bei der Frage, ob auch gesunde Kinder besser fahren mit einer Impfung, gibt es allerdings unterschiedliche Auffassungen. Die Stiko hatte erklärt, dass auch gesunde Kinder auf Wunsch der Eltern geimpft werden könnten. Claudia Haupt sagt: „Ich persönlich impfe gerne auch gesunde 5- bis 11-Jährige auf Wunsch der Familien.“

Corona Hamburg: Impfungen für Kinder ohne Termin

Nach Ansicht der Gesundheitsbehörde hat die zurückgehende Nachfrage nach der Kinderimpfung in Hamburg auch eine „positive Seite“: Derzeit könnten impfwillige Kinder sehr kurzfristig zum Zuge kommen, sagt Sprecher Martin Helfrich. In dem speziellen Impfzentrum in der Neustadt waren Impfungen zuletzt ohne Termin zu bekommen: "Selbst ohne vorherige Terminvereinbarung können dort Impfungen verabreicht werden.“ Die Behörde gehe „davon aus, dass die Nachfrage auf einem geringeren Niveau verbleibt, welches perspektivisch auch gut durch die kinder- und jugendmedizinischen Praxen abgedeckt werden kann“.