Hamburg. Eigentlich ist das Sitzenbleiben an Hamburgs Schulen gar nicht möglich. Wegen der Corona-Pandemie hat die Schulbehörde das freiwillige Wiederholen einer Klasse ausnahmsweise möglich gemacht - und fast 3000 Schülerinnen und Schüler haben das Angebot angenommen.
Wegen der Corona-Pandemie wiederholen in Hamburg deutlich mehr Schülerinnen und Schüler freiwillig eine Klasse. "Während im Schuljahr 2020/21 nur 1801 Schülerinnen und Schüler eine Klassenstufe wiederholten, sind es im laufenden Schuljahr 2854", teilte die Schulbehörde am Dienstag mit. Schulsenator Ties Rabe (SPD) betonte, eigentlich sei das Sitzenbleiben in Hamburg untersagt. Wiederholen dürften Schülerinnen und Schüler nur in besonderen Ausnahmefällen.
Wer schlechte Noten habe, bekomme kostenlose Nachhilfe. "Diesem Prinzip sind wir in der Pandemie ein Stück weit nicht treu geblieben." In dieser Zeit seien ausnahmsweise Wiederholungen zugelassen worden, wenn die Schüler dies wollten, sagte der Senator. Die Jugendlichen hätten das in großer Zahl in Anspruch genommen.
Aufgrund des erhöhten Anteils von Klassenwiederholungen sank die Zahl der Schulabgänger von 16 822 im Jahr 2020 auf 16 400 im vergangenen Jahr. Die meisten von ihnen - 9101 Jugendliche - verließen die Schule mit dem Abitur in der Tasche, 3053 mit einem mittleren Schulabschluss und 2672 mit einem ersten Schulabschluss. 945 Jugendliche verließen die allgemeinbildenden Schulen ohne Abschluss, rund 170 weniger als im Vorjahr.
Insgesamt besuchen im laufenden Schuljahr mehr als 250 000 Jungen und Mädchen in Hamburg eine staatliche oder private allgemein- oder berufsbildende Schule. "Das ist ein neuer Rekordwert", sagte Rabe. Allein an den allgemeinbildenden Schulen, also den 418 Grund-, Stadtteil- und Sonderschulen sowie Gymnasien zählte die Behörde im laufenden Schuljahr 203 704 Schülerinnen und Schüler. Das seien 3027 mehr als im vergangenen Schuljahr und 21 655 mehr als vor zehn Jahren. Besonders auffällig sei in diesem Jahr der starke Anstieg bei den Erstklässlern um 639. "Wenn das so bleiben würde, dann sind das jedes Jahr acht neue Grundschulen, die wir bauen müssten", sagte Rabe.
Mit der Schülerzahl stieg auch die Zahl der Schulbeschäftigten. Beim pädagogischen Personal gibt es inzwischen mehr als 19 100 Vollzeitstellen - rund 2900 mehr als vor zehn Jahren. Sorgenvoll blickt Rabe in diesem Bereich in die Zukunft: "In Hamburg muss fast jeder zehnte Abiturient eigentlich Lehrer werden, um unseren Bedarf zu decken." Schwierig sei auch der Schulbau, der durch überlastete Baufirmen und Lieferprobleme ins Stocken geraten könnte. "Im Moment geht es noch gut. Aber wir haben ja ein Programm vor uns, das bis 2030 jedes Jahr eine Steigerung vorsieht."
Rabe verteidigte den Kauf von mehr als 21 000 mobilen Luftfiltern für die gut 11 000 Unterrichts- und Fachräume in den Schulen gegen Kritik etwa aus Mecklenburg-Vorpommern, wo der Städte- und Gemeindetag den Nutzen der Geräte im Kampf gegen das Coronavirus anzweifelt. Experten hätten zum Einsatz der Geräte geraten, sagte Rabe. "Ich bin sehr, sehr froh, dass wir das gemacht haben." Welcher Weg letztlich der richtige gewesen sei, würden später die Geschichtsforscher entscheiden. "Ich will da nicht so tun als ob ich es so wie meine Kollegin, Ministerpräsidentin in Mecklenburg (Manuela Schwesig/SPD) alles besser weiß."
Die bildungspolitische Sprecherin der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Birgit Stöver, kritisierte, dass der rot-grüne Senat die Anzahl der Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst nicht noch weiter erhöht habe, obwohl es mehr Bewerberinnen und Bewerber als Plätze gegeben habe. Da müsse Rot-Grün umsteuern. "Denn bis die Lehrkräfte an Hamburgs Schulen ankommen, vergeht wertvolle Zeit. Zumal deutschlandweit ein Lehrkräftemangel vorherrscht."
Die Linken-Fraktionsvorsitzende Sabine Boeddinghaus forderte Rabe auf, mit den Schülervertreterinnen und -vertretern der Initiative #WirWerdenLaut direkt in Kontakt zu treten und sich mit deren Forderungen auseinanderzusetzen. Sie würden die Sicht der Schulbehörde nicht teilen, es gäbe keine pädagogisch sinnvollen Alternativen zu vollen Klassen und zu hohen Krankheitszahlen von Schülern und Lehrkräften.
Der AfD-Schulexperte Alexander Wolf sagte: "Mit großer Sorge sehen wir, dass der Anteil der Schüler mit nicht-deutscher Muttersprache auf rund 29 Prozent gestiegen ist." Im Schuljahr 2012/13 seien es noch 21 Prozent gewesen. "Die deutsche Sprache befindet sich auf dem Rückzug und Rot-Grün schaut zu."
© dpa-infocom, dpa:220208-99-28906/4