Hamburg. Experten für stärkeren Schutz „vulnerabler“ Gruppen. Tests und FFP2-Masken für alle werden infrage gestellt. Die Hintergründe.

Die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) dürfte auch die Debatte um die FFP2-Maskenpflicht befeuern. So weisen die Experten der medizinischen Fachgesellschaft darauf hin, dass Atemschutzmasken nur beim richtigen Gebrauch besser wirken als OP-Masken. „Nicht alle Menschen können korrekt mit FFP2-Masken umgehen“, sagt Johannes Knobloch , Leiter des Arbeitsbereichs Krankenhaushygiene am UKE, ist Mitverfasser des Papiers. „Das ist nicht ganz einfach. Wir schulen unsere Mitarbeitenden darin.“ Inzwischen seien auch viele Schrottmasken auf dem Markt.

Im DGKH-Papier heißt es: „Sind die Voraussetzungen nicht gewährleistet, kann das Tragen einer FFP2-Maske mit einem höheren Ansteckungsrisiko verbunden sein als das Tragen eines chirurgischen Mund-Nasen-Schutzes.“ Ausdrücklich verweisen die Experten aber darauf, dass richtig getragene Masken vor einer Infektion schützen und ein zentraler Bestandteil der Schutzmaßnahmen seien. Die Impfkampagne solle intensiviert werden, denn die Vakzine schützten auch bei der aktuellen Omi­kron-Variante vor schweren Verläufen. Eine Impfpflicht sieht die DGKH eher kritisch.

Corona Hamburg: Schutz nur vor schweren Verläufen

„Schutz vor schweren Erkrankungen und Tod statt Schutz vor jeder Infektion“, heißt es weiter in dem aktuellen Papier. „Das anlasslose generalisierte Testen, zunehmend auch mit PCR-Tests, sowie die Empfehlungen zum Tragen von FFP2-Masken für die Allgemeinbevölkerung ... entbehren nicht nur jeglicher Evidenz, sondern führen auch zunehmend zur Ressourcenverknappung in den Bereichen des Gesundheitswesens.“ Das Festhalten an der bisherigen Strategie mit Kontaktverfolgung habe den öffentlichen Gesundheitsdienst „in Überlastung und Selbstblockade“ geführt.

Es sei absehbar, dass in der aktuellen Phase bis in den Frühsommer hinein ein relativ großer Anteil der Bevölkerung infiziert sein werde. Nun gehe es darum, die medizinische Infrastruktur sowie Alten- und Pflegeheime zu schützen. Dort müsse der Infektionsschutz intensiviert werden. Die etablierten Hygieneregeln wie Masken, Abstand und Lüften können dabei nur gebündelt wirken. Knobloch, Leiter des Arbeitsbereichs Krankenhaushygiene am UKE, ist Mitverfasser des Papiers. „Mit dem Impfen allein kommen wir nicht aus der Pandemie heraus – wir müssen die vulnerablen Gruppen weiter schützen“, sagt er. „Darauf müssen wir uns konzentrieren.“ Zugleich könnten die Nichtrisikogruppen wieder stärker zur Normalität zurückkehren.

Corona-Strategiewechsel notwendig

Da die Ausbreitung kaum mehr verhindert werden kann, stellt sich den Experten die Frage, welchen Preis die Fortsetzung der alten Strategie hat. „Die bisherigen Kollateralschäden für die Gesellschaft, die Gefährdung der medizinischen Versorgung übriger Erkrankungen sowie auch die wirtschaftlichen Folgeschäden sind schon jetzt gewaltig.“

Daher sei der Strategiewechsel hin zum Schutz der vulnerablen Gruppen „dringlich, notwendig, angemessen und sinnvoll“. Für die weniger Gefährdeten bedeutet das weniger Einschränkungen. So sollen die „inflationären Quarantäne­anordnungen für Kontaktpersonen“ ersetzt werden durch mehr Eigenverantwortung, also Symptomkontrolle und Selbsttests.

Neben dem Strategiewechsel fordert die DGKH einen anderen Stil der Politik: „Die Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern ist das A und O. Da sehe ich noch Verbesserungspotenzial“, sagt Knobloch, der Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie am UKE ist und das Papier mitverfasst hat.

Omi­kron-Welle könnte in Hamburg früher brechen

Darin heißt es: „Die Bevölkerung muss in die Lage versetzt werden, ohne Angst mitzuwirken und das an Krisenbewältigung mitzuleisten, was ihr auch im persönlichen Verhalten möglich ist. Keinesfalls darf die Kommunikation sich widerstreitenden Experten in Talkshows allein überlassen werden.“ Es gehe darum, den Strategiewechsel so zu kommunizieren, dass weder Angst noch „das Gefühl des Ausgeliefertseins in der Bevölkerung“ gesteigert würden.

Knobloch erwartet, dass die Omi­kron-Welle in der Hansestadt früher als anderswo brechen könne. Sollten die Prognosen von einem Höhepunkt Mitte Februar stimmen, würde dieser in Hamburg schon ein bis zwei Wochen vorher erreicht.

Hamburg: Seniorenheime stark von Corona-Infektionen betroffen

Auf diesem Scheitelpunkt ist Dänemark mit einer Inzidenz von über 5000 bald angekommen. Nun will der Nachbar Ende Januar alle Corona-Regeln streichen und Covid-19 nicht länger als Bedrohung für die Gesellschaft einstufen. Diesen Schritt hält Knobloch hierzulande für nicht angemessen: „Es wäre falsch, gar nichts mehr zu machen – es muss aber um eine Schwerpunktsetzung gehen.“

Pflegeeinrichtungen, vor allem Seniorenheime, haben sich in Hamburg erneut zu einem Schwerpunkt bei den Corona-Infektionen entwickelt. Aktuell wurden in 115 der knapp 150 Einrichtungen, in denen rund 16.000 Menschen betreut werden, Infektionen registriert. 545 Bewohner waren zum Zeitpunkt der letzten Erhebung am Montag infiziert. Innerhalb einer Woche starben 17 Menschen in Pflegeeinrichtungen. Das sind so viele wie seit Monaten nicht mehr.

Hamburg: Zahl der Todesfälle steigt signifikant an

„Wir haben in unseren Einrichtungen aber eine andere Situation als vor einem Jahr“, sagt Thomas Flotow, Geschäftsführer und Sprecher bei Pflegen & Wohnen, einem der großen Anbieter in Hamburg, der an 13 Standorten rund 2400 Menschen betreut. „Im vergangenen Jahr gab es bei den meisten Infizierten auch Komplikationen.“ Jetzt gibt es viele Infizierte, bei denen gar keine oder nur leichte Symptome auftreten. Festgestellt werden diese Infektionen in der Regel bei Routinetestungen. „Es gibt aber auch Fälle, da sind die Betroffenen schwer krank“, so Flotow. Wenn die Infizierten dann in einem hohen Alter sind und bereits an anderen schweren Krankheiten leiden, wird es schnell lebensgefährlich.

Unklar ist, wie viele der 17 in der vergangenen Woche gestorbenen Bewohner von Pflegeeinrichtungen mit und nicht an Corona gestorben sind. Im Vergleich zu den drei Vorwochen, in denen fünf, ein und drei Bewohner innerhalb einer Woche mit Corona in Hamburger Pflegeeinrichtungen starben, ist der Anstieg signifikant.

„Die Situation ist schwierig, aber beherrschbar“

Ungewöhnlich hoch ist die Zahl von 527 infizierten Mitarbeitern in Hamburger Pflegeeinrichtungen. Sie liegt deutlich höher als im Januar vergangenen Jahres, als etwa 300 Pflegekräfte gleichzeitig infiziert waren. Bei den Bewohnern dagegen liegt die Zahl der Infizierten mit 545 unter den Zahlen aus dem Januar 2021, als bei mehr als 700 Bewohnern Corona nachgewiesen wurde. „Die Situation ist schwierig, aber beherrschbar“, sagt Thomas Flotow zu den hohen Infektionszahlen bei Mitarbeitern.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Völlig anders als im vergangenen Jahr ist die Situation außerhalb der Pflegeheime und in anderen Altersgruppen. Machten im Januar 2021 die über 70-Jährigen noch mehr als 21 Prozent der Infizierten aus, so sind es jetzt gerade mal drei Prozent, wobei diese Altersgruppe 13,7 Prozent der Hamburger Bevölkerung ausmacht. Bei den Jüngeren breitet sich Corona dagegen explosionsartig aus. Kinder bis neun Jahre und die 10- bis 19-Jährigen sind deutlich überproportional belastet.

Corona Hamburg: Inzidenz bei jungen Leuten bei 3739

Auch bei den 20- bis 29-Jährigen liegt der Anteil an den Neuinfektionen über ihrem Bevölkerungsanteil. Erst bei den 40- bis 49-Jährigen ist es ausgeglichen. Ab dem Alter von 50 Jahren sind die Hamburger im Vergleich zu ihrem Anteil an der Bevölkerung deutlich weniger belastet.

An den Inzidenzzahlen für Hamburg lässt sich das eindrucksvoll ablesen. Bei den 10- bis 19-Jährigen liegt die Inzidenz mittlerweile, stand Montag, bei 3739. Bei den Kindern bis neun Jahre liegt sie bei 2824 und bei den 20- bis 29-Jährigen bei 2107. Bei den folgenden Altersgruppen fällt sie leicht, bei den über 50-Jährigen steil ab. Bei den 60- bis 69-Jährigen liegt die Inzidenz bei 669, bei den über 70-Jährigen bei 376.