Hamburg. Jan Gerloff ist Schutzpolizist und spricht über die härteste Zeit in seinem Berufsleben. Anfeindungen seien seit Corona nicht selten.
Natürlich hat er die Pandemie verflucht, und das nicht zu knapp, so wie mutmaßlich jeder andere Mensch auf dem Planeten auch. Aber jemand, so sieht er es, müsse ja Ordnung schaffen und dafür sorgen, dass die Corona-Regeln eingehalten werden. Wie sonst soll der Wahnsinn je ein Ende finden?
Dieser Jemand ist Jan Gerloff, einer von mehr als 6500 Schutzpolizisten der Polizei Hamburg, die seit Beginn der Pandemie das von der Politik und der Verwaltung immer wieder neu gewebte Regelwerk zur Eindämmung der Seuche überwachen und durchsetzen müssen.
Allein Gerloff hat in dieser Zeit Hunderte Bürger, Gastronomen und Nachtschwärmer kontrolliert. Hat Ermahnungen ausgesprochen, Sanktionen verhängt und Strafverfahren eingeleitet. Der 33-Jährige sagt, er habe Verständnis dafür, dass der Tank bei vielen leer sei. Aber all das Lamentieren helfe ja doch nichts, wenn mit Omikron das nächste virale Schreckgespenst schon vor der Tür stehe.
Polizei Hamburg: Die härteste Zeit von Gerloffs Berufsleben
Gerloff, Spitzname „JJ“ (sprich Jay-Jay), arbeitet seit 2014 als Polizeihauptmeister in der Wache 46 an der Lauterbachstraße in Harburg. Zur Polizei ist er 2010 gekommen, als Schutzmann, wie schon sein Vater vor ihm. Er sei Beamter geworden, um anderen Menschen zu helfen, sagt Gerloff – und meint das völlig ernst. Mit dem Abendblatt spricht er als stellvertretender Vorsitzender der Fachgruppe Schutzpolizei im Landesverband der Gewerkschaft der Polizei (GdP) über die bisher härteste Zeit seines Berufslebens. Und vielleicht auch die undankbarste.
Von den Bürgern habe er seit Beginn der Seuche alles „von…bis“ erlebt, sagt er: viel Verständnis, aber auch harsche Kritik bis hin zu tätlichem Widerstand. Jetzt, mit der hochansteckenden Omikron-Variante in den Startlöchern, befürchtet Gerloff, dass sich die ganze Geschichte wiederholen könnte.
Corona: Polizei als Vermittler zwischen Nachbarn
Die Geschichte beginnt im Frühjahr 2020, als die Pandemie Fahrt aufnimmt und Hamburg im ersten Lockdown steckt. Von einigen Unterbrechungen abgesehen, wird sie bis heute fortgeschrieben. Damals ist die Situation für Gerloff und seine Kollegen völlig neu: Das Telefon klingelt pausenlos, immerzu rufen Bürger an, um sich über die Regelbrüche ihrer Mitmenschen zu beschweren, dazu die ständigen Personenkontrollen auf der Straße. Der Klassiker: Bürger X ruft bei der Polizei auf der 110 an und beschwert sich über Bürger Y (nicht selten der Nachbar), weil der in seiner Wohnung mit mehr Menschen feiere als erlaubt. In dieser Phase der Pandemie haben die Wände Ohren und die Nächte mehr als 1000 Augen.
Gerloff erinnert sich gut daran, dass es bei solchen Einsätzen häufiger Zoff gab. Einmal seien er und seine Kollegen zur Wohnung einer Krankenschwester ausgerückt, die zuhause eine Party schmiss, während die Infektionszahlen durch die Decke gingen. „Verständnis für unsere Maßnahmen hatte die Frau nicht gerade“, sagt der Beamte. „im Gegenteil: ihre Gäste wollten noch auf mich und meine Kollegen losgehen.“
Ausgerechnet in einem Kulturverein, wo 20 Männer zusammen tranken und spielten, stießen die Beamten wenig später hingegen auf Verständnis: „Da hieß es: Hey, ihr macht hier ja nur euren Job.“ Hin und wieder landeten durch die Corona-Kontrollen auch (schwere) Straftaten praktisch als „Beifang“ im Netz der Harburger Polizisten: Mal stießen sie in einer wegen Corona überprüften Kneipe auf Drogen, mal entdeckten sie im Restaurant falsch gelagerte Lebensmittel.
Corona-Regeln führen bei der Polizei zu Papierkrieg
Corona hat Gerloffs Alltag komplett durcheinandergewirbelt. Der ohnehin schon fordernde Job sei noch belastender geworden. „Corona kommt zu den alltäglichen Aufgaben hinzu, die normale Kriminalität geht ja weiter“, sagt er. „Ich schätze, dass Corona uns ein Drittel mehr Arbeit beschert“. Bei manchen Kollegen sei außerdem der Eindruck entstanden, dass in Sachen Corona-Kontrollen mal wieder Hamburgs Polizei den Kopf hinhalten müsse, obgleich dafür doch eigentlich die Bezirksämter zuständig seien.
Vor allem aber nervt Gerloff der enorme Verwaltungsaufwand: dass jedes eingeleitete Verfahren zu einem kleinen Papierkrieg ausufere. Mitunter habe er drei unterschiedliche Berichte über einen Maskenverstoß für verschiedene Behörden anfertigen müssen, sagt er. Noch immer landeten Verfahren aus dem Vorjahr auf seinem Schreibtisch, für die er nun Stellungnahmen schreiben müsse.
Als Polizist war Gerloff dazu angehalten, die Regeln mit Augenmaß durchzusetzen. Als Mensch taten ihm zuweilen jene „Corona“-Sünder leid, die sich überhaupt nicht bewusst waren, was sie denn falsch gemacht haben sollen. Letztlich aber habe die Polizei nur umgesetzt, was die Politik ihr vorgegeben habe. Viele Bürger hätten auch deshalb mit den Auflagen gehadert, weil sie deren Sinn nicht nachvollziehen konnten – aus Unkenntnis, Ignoranz oder Desinteresse.
Mit Reichsbürgern kann man nicht reden
Anfeindungen? „Sind nicht so selten“, sagt Gerloff und berichtet von Menschen, die sich bei Kontrollen den Beamten in den Weg gestellt oder versucht hätten, sie fortzudrängen. Auch habe er mit Querdenkern oder sogenannten Reichsbürgern zu tun gehabt – mit Menschen also, die für jede Ansprache komplett unerreichbar seien. „Das sind Fundamentalisten“, sagt er. Mit dem Fortschreiten der Pandemie, sagt er, sei deren Protest immer lauter und schriller geworden.
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Während manche Bürger die Polizisten mitunter als Blitzableiter für den eigenen Corona-Frust missbrauchen, zollen andere den Beamten Respekt, vor allem seien das ältere Menschen, die ihre Arbeit wertschätzten, sagt Gerloff. „Ich freue mich über ein Dankeschön, über jeden Menschen, der Verständnis für meine Arbeit aufbringt“, sagt er.
Weihnachten verbringt Gerloff zuhause bei seinen Eltern im Landkreis Harburg. Er freut sich auf ein paar unbeschwerte Tage vor dem Kamin und auf Gesellschaftsspiele bis spät in die Nacht - bevor der Corona-Irrsinn im neuen Jahr in die nächste Runde geht – und die Geschichte fortgesetzt wird.