Hamburg. In einer inklusiven Kita in Eimsbüttel hat die Kirche Eigenbedarf angemeldet. Die Kita ist besorgt: Wo sollen die 50 Kinder hin?
Beachtlich ragt die evangelische Christuskirche an der gleichnamigen U-Bahn-Haltestelle über die Dächer der anderen Gebäude hinweg. Gegenüber der Kirche befindet sich die Kindervilla Fruchtallee – von Vertrauten wird die Kindertagesstätte einfach nur „KiVi“ genannt. Vor 30 Jahren wurde die inklusive Einrichtung von Eltern gegründet, und seitdem ist sie eine wichtige Institution im Stadtteil Eimsbüttel. Doch nun steht sie vor dem Aus.
Denn das Gebäude der KiVi gehört der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde Eimsbüttel – und diese möchte die Räumlichkeiten nun für ihre eigene Zwecke nutzen. Der Mietvertrag läuft aus, die KiVi samt der 50 Kinder müssen raus. Bis zum Frühjahr 2023 muss das Gebäude geräumt sein – unabhängig davon, ob die KiVi bis dahin ein neues Zuhause gefunden hat, oder nicht.
Vertrag mit Kirche läuft aus: Kita in Eimsbüttel vor dem Aus
„Das hat was Absurdes“, beteuert die Kita-Leiterin Anke Wortmann. Noch im Jahr 2013 habe die Kirche bestätigt, dass sie die KiVi als langfristige Mieter behalten wollen. So konnte der Verein Kindervilla Fruchtallee e.V. Fördergelder in Anspruch nehmen, um in die Räumlichkeiten zu investieren – bis 150.000 Euro wurde in den Um- und Ausbau gesteckt. „Und dann kam sehr überraschend im Jahr 2016: Sie möchten das Gebäude selber benutzen. Damals war noch von Kündigung die Rede.“
In Verhandlung mit der Kirche konnten Eltern und Frau Wortmann einen befristeten Mietvertrag aushandeln: Fünf Jahre mit der Option auf eine Verlängerung von zwei Jahren. Dieser Vertrag mit der wahrgenommenen Verlängerungsoption läuft nun im Jahr 2023 aus.
Kirche meldet Eigenbedarf an – aus finanziellen Gründen
Auch Kerstin Biel ist sichtlich fassungslos – sie ist im Vorstand des gemeinnützigen Vereins und ihre Tochter besucht die KiVi: „Es war irgendwie klar, dass wir hierbleiben können. Das ist alles so widersprüchlich.“ Für sie stellt vor allem die Frage nach dem Warum: Warum läuft eine solch wichtige, soziale Einrichtung wie die KiVi nun Gefahr, vor dem Aus zu stehen? „Leider wird auch sehr deutlich: Es gibt kein Konzept für dieses Haus, keine konkreten Pläne. Wir sollen einfach erstmal raus, damit dann andere Räume frei werden, die sie dann teuer vermieten können.“
Der Grund für die Beantragung auf Eigenbedarf hat einen finanziellen Hintergrund: Das Gebäude ist zwar Eigentum der Kirche, doch der Grund und Boden gehört der Stadt. „Wenn wir das nicht selbst nutzen, müssen wir die Hälfte der Mieteinahmen an die Stadt abgeben“, so erklärt es Claudia Dreyer, die Vorsitzende der Kirchengemeinde Eimsbüttel.
Aus diesem Grund sollen andere Gebäude frei und anschließend vermietet werden, bei denen auch der Grund und Boden Eigentum der Kirche ist: Die neuen Mieteinnahmen könne die Kirche dann für gemeinnützige Arbeit nutzen. „Manchmal hört sich das so an, als ob wir nur noch wirtschaftliche Aspekte haben – aber wir sind natürlich gehalten auch, nicht im Sinne von Profit-Maximierung – aber wir müssen gucken, wie wir unsere Arbeit finanzieren.“
Kirche schmeißt Kita in Eimsbüttel raus: "moralisch fragwürdig“
Anke Wortmann ist von der Argumentation der Gemeinde nicht überzeugt: „Aus der Sicht der Kirche mag das verständlich sein, sie haben natürlich das Recht dazu. Dennoch ist es moralisch fragwürdig.“
Der Verein der KiVi stehen nun vor der Aufgabe, eine neue Immobilie für zu finden. Nicht ganz einfach, bei den Rahmenbedingungen, die eine Kita erfüllen muss: Das potenzielle Gebäude muss barrierefrei und im Erdgeschoss sein, eine mindestens 150qm bespielbare Außenfläche besitzen – und am besten in Eimsbüttel sein. „Wir suchen so intensiv, wir sind so viele engagierte Eltern, die ihre Freizeit verwenden, um Immobilien zu suchen.
Inklusive Kita in Eimsbüttel sucht neue Bleibe
Wir haben einfach nichts in Aussicht. Wir sind echt in Not.““, sorgt sich Kerstin Biel. Sie seien nun nach mehreren Anfragen im Gespräch mit der Kirche, für ein weiteres freiwerdendes Gebäude – eine definitive Zusage gebe es aber nicht. Anke Wortmann bleibt skeptisch: „Ich weiß nicht, ob das eher etwas ist, um uns hinzuhalten – wir hoffen natürlich, dass sie es ernst meinen. Aber es gibt nichts, was so richtig darauf hindeutet.“
Gemeinde-Vorsitzende Claudia Dreyer schließt die Option, dass die KiVi doch noch in der Fruchtallee bleiben kann, definitiv aus. „Wir haben auch andere Immobilien und bereits konkrete Sachen mit ihnen besprochen – das waren auch völlig einvernehmliche, freundliche Gespräche.“ Im Januar soll es damit weitergehen. Frau Dreyer hat eher einen anderen Eindruck über das Mietsuche der KiVi: „Ich hab‘ das Gefühl, dass sie eigentlich jetzt erst, als ich sie im Frühjahr angerufen habe, das ernst genommen haben – und da ist jetzt natürlich auch ein gewisser Druck dahinter.“
Der befristete Mietvertrag sei damals im Jahr 2016 extra großzügig ausgefallen, damit sich die KiVi in aller Ruhe was Neues suche könne. „Ich möchte ungern als die böse Kirchengemeinde dargestellt werden, die aus reiner Profit-Gier die Kinder auf die Straße setzt. Das Bild passt nicht zu unserer Gemeinde.“
Mögliches Ende der Kita in Eimsbüttel bereitet Eltern Sorgen
Die KiVi ist durch ihr Inklusions-Leitbild nicht nur für Kinder mit Entwicklungsproblemen – auch im Erwachsenenalter bleibt sie eine wichtige Anlaufstelle. Ehemalige bleiben in Kontakt, absolvieren Praktika, arbeiten später selbst in der KiVi. Auch Sarah Dörr ist angewiesen auf das spezielle Angebot der Kita – ihr jüngerer Sohn Karl hat Trisomie 21: „Die KiVi bedeutet viel für Karl: Er macht hier Physio, Logo – ich weiß, dass die Erzieher sich auskennen, dass auch Heilpädagogen vor Ort sind.“ Sie glaubt nicht, dass sie für ihren Sohn so schnell einen neuen und guten Kita-Platz in der Nähe finden kann. Ein mögliches Ende der KiVi bereitet ihr Sorgen: „Für uns wäre das wirklich dramatisch – dann wäre er im schlimmsten Fall zu Hause.“
Die Kinder der KiVi wissen nichts von der Problematik – noch tollen sie unbeschwert durch die große Villa, lachen und spielen. Zum Anlass der Vorweihnachtszeit dekorieren sie gerade ein selbstgemachtes Lebkuchenhaus: Bunte Smarties, Gummibärchen und Kekse verschönern das Häuschen. Kleine Schoko-Menschen am unteren Rand halten Schilder hoch: „Helft uns!“ und „KiVi bleibt!“ steht darauf geschrieben.