Hamburg. Rita Brockmann-Wiese erzählt vom Ehestress zu Weihnachten bis zum Paar, das dreimal heiratete – und sich ebenso oft trennte.
Als Familienanwältin hat Rita Brockmann-Wiese rund 40 Jahre lang ungezählte Scheidungen in Hamburg betreut. Was sie dabei erlebte, war so spannend, dass sie damit fünf Bücher füllen könnte. Sie hat erst mal mit einem angefangen: „Schluss. Aus. Vorbei! Wenn nur die Scheidung hilft“, heißt es und schildert in 20 Geschichten ihre ungewöhnlichsten Fälle. Die Juristin hat erbitterte Rosenkriege erlebt und die bizarren Blüten, die oft jahrelang aufgestauter Hass treibt, wie sie in einer neuen Folge des Podcasts „Morgens Theater, abends Zirkus“ erzählt.
Da ist zum Beispiel die Geschichte von Gina, eine Terrier-Dame, die sich zwei Männer gemeinsam angeschafft hatten. Als sie sich trennten, reklamierte jedes der beiden Herrchen Gina für sich. „Die Dynamik war genauso stark, als wenn man um ein Kind kämpft“, erzählt Rita Brockmann-Wiese. Kurios: Am Ende einigten sie sich auf ein Wechselmodell, wie man es sonst von Scheidungskindern kennt. Gina musste jede Woche umziehen.
Ehekrise zu Weihnachten: Familienanwältin erlebt die seltsamsten Situationen
Oder die Geschichte eines Ehepaars, das heiratete und sich scheiden ließ, wieder heiratete und sich scheiden ließ und dann noch einmal heiratete und sich – mittlerweile schon im hohen Alter – wieder scheiden ließ. Es ging immer um dieselben Streitpunkte. Klingt unterhaltsam, aber eine Trennung, so die Juristin, bedeutet immer eine Lebenskrise. „Auch wenn man weiß, dass jede zweite Ehe geschieden wird – wenn man selbst betroffen ist, zieht einem das den Boden unter den Füßen weg.“ Vor allem deshalb, weil sich nur selten beide Ehepartner zur selben Zeit innerlich aus der Beziehung verabschieden. Für den anderen bedeutet das Verletzungen und Schmerz.
Am meisten, hat Rita Brockmann-Wiese festgestellt, wird um die gemeinsamen Kinder gestritten – mehr als über Geld. „Die Interessen der Kinder geraten leicht aus dem Blickfeld, weil man damit die eigene Kränkung mit in die Auseinandersetzung einarbeitet“, sagt sie. „Manches Elternteil übersieht, dass die eigenen Interessen nicht immer identisch sind mit den Interessen der Kinder. Die eigenen Kränkungen sollte man möglichst mit einem Therapeuten aufarbeiten“, rät die Scheidungsanwältin.
Nach Weihnachten trennen sich besonders viele Paare
Achtung: Die kommenden Wochen bedeuten für Ehen eine besondere Belastungsprobe: Das Weihnachtsfest naht. Und danach trennen sich besonders viele Paare. „Das stimmt wirklich“, sagt die Juristin. „Anwälte haben Hochsaison vor Weihnachten – da wird darum gestritten, wo die Kinder den Heiligen Abend verbringen.“ Können sich die Eltern nicht einigen, wird das in einem einstweiligen Anordungsverfahren entschieden, unter welchem Tannenbaum die Kinder das Weihnachtsfest feiern. In einem Jahr hatte Brockmann-Wiese gleich fünf Anordnungsverfahren. „Und nach Weihnachten müssen die Familienanwälte oftmals bei Trennungskrisen beraten. Da fällt vielen auf, dass die erhoffte Harmonie nicht mehr da ist, und fangen an zu grübeln, ob die Beziehung noch Sinn macht. Scheidungsanwälte haben über Weihnachten Ferienverbot.“
Wobei man nicht unbedingt einen besonders ausgebufften Anwalt oder trickreiche Anwältin braucht, um bei einer Scheidung das meiste für sich herauszuholen. Denn der, so Brockmann-Wiese, ist nicht immer besonders gut in dem, was entscheidend ist: „die Streitfragen zu versachlichen und die Emotionen – also die Verletzungen – herauszuhalten.“ Einen gemeinsamen Scheidungsanwalt haben Paare, auch wenn sie das so formulieren, streng genommen übrigens nicht. „Rein juristisch hat dann eine Partei einen Anwalt und die andere hat keinen“, sagt die Hamburgerin. „Meist ist in diesen Fällen aber vorher schon alles geregelt, und man geht nur noch zum Termin, um sich das vom Staat absegnen zu lassen.“
Kinder sind Belastungsprobe für viele Ehen
Das war bei einem anderen Fall, den sie in ihrem Buch schildert, anders: Ein Baulöwe hatte sich nach Jahrzehnten jüngeren Frauen zugewandt und wollte sich von seiner eigenen scheiden lassen, ihr aber nicht die Hälfte des Vermögens abtreten. Sein Steuerberater riet ihm, das Ganze drei Jahre lang vorzubereiten, um seine Einkünfte glaubhaft zu reduzieren und Vermögenspositionen abzubauen, die sich offiziell in Luft auflösen, ihm aber in Wahrheit erhalten bleiben. „Doch die Frau war plietsch, sie hatte zur Beweisführung alle möglichen Schriftstücke über die wirtschaftliche Situation ihres Mannes gesammelt, sie in einem Schließfach gebunkert und dann zum richtigen Zeitpunkt gezückt, nämlich bei der gemeinsamen Verhandlung mit zwei Anwälten“, berichtet Brockmann-Wiese. „Da wurde ihr Mann plötzlich ganz kleinlaut und fing an, sie zu siezen.“
Eine andere Belastungsprobe für viele Ehen sind Kinder. Zunächst sind die Eltern überglücklich, doch nach durchwachten Nächten merken sie, wie anstrengend es ist. „Eine Ehe verändert sich massiv durch Kinder“, sagt die Juristin Brockmann-Wiese.
„Man sollte Respekt vor dem anderen haben – auch vor seinem Anderssein“
Auch Kinder leiden immer unter einem Trennungsprozess. Studien aus den USA zeigten, so die Anwältin, dass das sogar bei erwachsenen Kindern der Fall ist. „Umso wichtiger ist es, wie die Eltern ihre Konflikte austragen. Manche benötigen vielleicht eine Mediation, anderen helfen Vierer-Gespräche mit den beiden Anwälten.“ Das immer weiter verbreitete Wechselmodell sieht sie skeptisch. „Es ist nicht leicht für Kinder, wenn sie jede Woche umziehen müssen. Da steht nicht unbedingt das Wohl der Kinder im Vordergrund.“
Das Kind werde immer wieder aus seiner Umgebung, vielleicht auch dem Freundeskreis herausgerissen und müsse sich gut organisieren, um alles dabeizuhaben, was es in der Woche braucht. Das Nestmodell allerdings, bei dem das Kind immer in der Familienwohnung bleibt, aber Papa und Mama jede Woche aus- und einziehen, das müsse man sich erst mal leisten können. Schließlich braucht man dafür drei Wohnungen. Und: „Das ist aus meiner Sicht eine künstliche Welt.“
Rita Brockmann-Wiese ist übrigens nach so vielen Scheidungen selbst immer noch glücklich verheiratet. Das, sagt sie, hat vielleicht auch damit zu tun, dass sie aus ihrer beruflichen Erfahrung weiß, wie furchtbar Scheidungen sind. Ihr Rezept? „Man sollte Respekt vor dem anderen haben – auch vor seinem Anderssein – und nicht versuchen, ihn zu ändern.“