Hamburg. Neuer Bildband des Segelschulschiffs mit Fotos von Kathrin Wahrendorff. Im Interview spricht Kapitän Nils Brandt über das Bordleben.
Das Schiff zierte den Zehn-Mark-Schein, galt als „Botschafterin in Weiß“ für das neue, friedliche Deutschland. Die Gorch Fock, gebaut von Blohm+ Voss, zählt zu den bekanntesten Segelschiffen der Welt. Die Kostenexplosion auf 135 Millionen Euro bei der überfälligen Sanierung sowie schwere Korruptionsvorwürfe bescherten der Gorch Fock in den vergangenen Jahren viele Negativ-Schlagzeilen. Nun aber kreuzt das Segelschulschiff der Marine wieder die Meere, die Ausbildungsfahrt führt sie derzeit mit einem Zwischenstopp in Lissabon zu den Kanaren.
Der Hamburger Medien-Unternehmer Oliver Wurm würdigt die Gorch Fock nun mit dem opulenten Bildband „Mythos Gorch Fock“. „Wir haben den Bilder-Schatz der Fotografin Kathrin Wahrendorff gehoben“, sagt Wurm, der für sein Grundgesetz-Magazin 2020 das Bundesverdienstkreuz erhielt. Kathrin Wahrendorff, die in Pinneberg lebt, hat als einzige Fotografin über drei Jahrzehnte immer wieder die Gorch Fock besucht, war auch bei längeren Reisen an Bord.
Ergänzt wird der Bildband mit einem ausführlichen Informationsteil über die Geschichte des Schiffes sowie einem großen Gespräch mit Kapitän Nils Brandt, der 2014 das Kommando auf der Gorch Fock übernahm. Für ihn ist es die letzte Fahrt als Kommandant. Er wird dann zur Marineschule Mürwik als Leiter Lehre wechseln. Im Buch spricht Nils Brandt über…
den Mythos Gorch Fock:
„Die Botschafterin-Funktion der Gorch Fock als weitgehend unbewaffnetes Schiff für die neue Bundesrepublik aus den 1960er- und 1970er-Jahren mag zwar nachgelassen haben. Aber ein solcher Großsegler erzeugt Sehnsüchte, erzeugt Romantik. Nach wie vor kommen Tausende an Bord, wenn wir das Schiff für Besichtigungen öffnen. Wenn wir Häfen wie Malaga oder Venedig anlaufen, empfangen uns Hunderte, manchmal Tausende. Als fraglich war, ob das Geld noch für die Sanierung reicht, haben wir viele Briefumschläge mit Fünfzig-Euro-Scheinen erhalten. Von Bürgern, die ihren Beitrag zum Erhalt des Schiffs leisten wollten. Natürlich habe ich alle Briefe zurückgeschickt.“
die teure Sanierung und den Korruptionsskandal:
„Das hat uns getroffen, sogar sehr getroffen. Niemand von der Besatzung trägt Verantwortung für diese Kostenexplosion. Umso stolzer bin ich auf meine Mannschaft. Wie sie immer neue Rückschläge verkraftet hat, wie sie trotz allem einen herausragenden Job gemacht hat, das ist für mich bewundernswert. Das Fehlverhalten Einzelner wurde als Munition gegen die Gorch Forck missbraucht. So rief zum Beispiel mein Schwiegervater mich an und sagte: ‚Wie schön, dass ich Dich noch erreiche, ich dachte, Du wärst im Knast.‘ Dies war ein Teil der Wahrnehmung von außen.“
ein mögliches Aus für die Gorch Fock:
„Zweieinhalbmal standen wir vor dem Untergang. Als die Kosten für die Sanierung die 35-Millionen-Marke gerissen haben, habe ich noch gedacht: Das ist nicht gut, aber uns geht es ja nicht so schlecht als Bundesrepublik Deutschland. Doch als die Kosten dann geradezu explodierten, hatte ich wirklich Angst um die Gorch Fock. Und als dann noch der Korruptionsskandal bekannt wurde, war mir klar, dass es nun ganz eng werden würde.“
den Wert der Ausbildung auf der Gorch Fock:
„Nach wie vor ist die Zeit auf der Gorch Fock ein ganz wichtiger Bestandteil der Ausbildung bei der Marine. Hier lernen die Kadettinnen und Kadetten Teambuilding. Wie oft erleben wir, dass die jungen Menschen, die zu uns an Bord kommen, die Tür ihres Spindes auflassen. Und der Kamerad, der unter ihnen in der Hängematte schläft, haut sich dann diese Tür in den Nacken. Der wahre Charakter zeigt sich, wenn wir im Dezember durch die Nordsee fahren. Bei Kälte, bei Windstärken von acht bis neun. Es geht einem nicht gut, man ist seekrank. Und dann kommt der Kamerad und reicht heißen Tee und Zwieback. Zudem zeigt unser Schiff die Dimension der See. Mit der Gorch Fock können Sie nicht einfach irgendwo ranfahren und parken, wenn das Wetter schlecht wird. Dann hängen Sie vielleicht im englischen Kanal fest, müssen warten bei schwierigsten Witterungsbedingungen. Das führt an die Grenze der körperlichen Leistungsfähigkeit.“
die neue Satelliten-Anlage, die jetzt auf einem Mast thront:
„Wir brauchen sie für die Besatzung, damit sie jederzeit ins Internet kann. Das war früher 20 Meilen außerhalb der Häfen nicht möglich. Inzwischen zählt dies zur Betreuungsverantwortung der Bundeswehr für die Mannschaft. Ich sehe das durchaus mit gemischten Gefühlen. Es kann dazu führen, dass die Leute in der Freizeit mehr über ihr Handy mit ihrem Familien- und Freundeskreis kommunizieren, statt mit ihren Kameradinnen und Kameraden an Bord von Angesicht zu Angesicht zu reden. Für uns wird die Führungsaufgabe damit schwieriger. Früher kriegten wir die Post beim Einlaufen in einem Hafen in einem Sack. Wir haben dann genau hingeschaut, ob jemand Post bekommt, die ihn emotional stark belastet. Zudem haben wir mit den Familien vereinbart, dass die Nachricht vom Tod eines nahen Angehörigen über uns an den Betroffenen weitergegeben wird. Jetzt haben wir jede Minute die Gefahr, dass jemand eine schlimme Nachricht über WhatsApp erfährt.“
Über Liebesbeziehungen an Bord:
„Unser Prinzip heißt: ‚Only see, don’t touch‘. Aber natürlich sind hier Beziehungen entstanden, auch Ehen. Wir kriegen das oft erst mit, wenn ein Paar händchenhaltend im Hafen von Bord geht. Und wenn die dann in ihrer Freizeit mal in ein Hotel gehen, ist das völlig in Ordnung.“
Über Gefahren an Bord:
„Wir tun unser Möglichstes, um durch eine intensive Vorbereitung und Ausbildung Unfälle zu verhindern. Wir bilden die Leute in Flensburg am Übungsmast aus, checken sie körperlich sehr gründlich. Aber Seefahrt ist nun mal ein Job, der Gefahren birgt.“
Profisegler Boris Herrmann:
„Ganz alleine in Rekordzeit um die Welt zu segeln, ist einfach eine großartige Leistung. Allein diese Anspannung, solch ein Gerät zu bewegen, das ja Geschwindigkeiten segelt, die mit dem normalen Segeln nichts zu tun haben. Boris Herrmann zolle ich ganz großen Respekt. Er hat unfassbar viel für den Segelsport geleistet. Und ist doch bei aller Popularität so nahbar geblieben. Uns verbindet dieser Wille zum Durchbeißen. Nicht aufzugeben in schwierigsten Situationen.“
Über seine Zeit auf der Gorch Fock:
„Wenn ich nach der Rückkehr verabschiedet werde, werde ich die Gorch Fock fast acht Jahre geführt haben. Diese späte Staffelübergabe entstand durch die Verzögerungen bei der Sanierung und war so nicht geplant. Aber das ist für mich eine Frage des Selbstverständnisses. Wenn ich eine Aufgabe beginne, möchte ich sie zu Ende bringen. Und es geht auch um meine Besatzung. Ich habe hier Kameradinnen und Kameraden, die jünger sind als meine jüngste Tochter. Da spüre ich eine fast väterliche Verbundenheit. Diese Solidarität, diese Freundschaft hat mich auch durch die schwierigen Zeiten gestützt und getragen.“