Hamburg. Nach Schließung des zweifelhaften Angebots im Hauptbahnhof sind viele verunsichert: Wirkt die Immunisierung? Ermittlungen gegen Arzt.

Zweifelhafte Impfangebote am Hauptbahnhof, gefälschte Impfpässe in Apotheken und immer mehr Internet-Glücksritter: Die Corona-Pandemie zeigt in Hamburg gerade ein hässliches Gesicht. Nach den Recherchen des Abendblatts hat das Bezirksamt Mitte zwar das Test- und Impfzentrum oberhalb von Gleis 5 und 6 geschlossen. Doch Dutzende, wenn nicht Hunderte Impfkandidaten, die dort Moderna gespritzt bekamen, sind verunsichert: Wirkt die Immunisierung? Sind meine Daten korrekt verarbeitet worden? Wird gesetzeskonform abgerechnet? Derzeit gibt es keinen Anlass, daran zu zweifeln. Doch die Umstände der Genehmigung, die Betreiberfirma und die mutmaßlich verantwortlichen Ärzte dort werfen bei Behörden und Experten Fragen auf.

Die Ärztekammer Hamburg erklärte, sie sei nicht mit der Zulassung von Impfzentren befasst, stehe aber im „engen Austausch“ mit der Sozialbehörde. Kammerpräsident Pedram Emami sagte: „Für die dort Geimpften wäre das Wichtigste aus meiner Sicht festzustellen, ob die Impfungen fachgerecht verabreicht wurden, sodass ein Impfschutz besteht.“

Hauptbahnhof Hamburg: Infektionsgefahr im Impfzentrum?

Die Sozialbehörde sieht sich nach Angaben einer Sprecherin im Vorgehen gegen das zweifelhafte Impfzentrum bestätigt. Der Bezirk habe nach entsprechenden Hinweisen sofort reagiert. Das Gesundheitsamt bemängelte fehlende Hygiene und die engen Räume. Eine Sprecherin des Bezirksamtes erklärte, die Lüftung sei unzureichend gewesen, die vom Abendblatt berichteten Vorwürfe zu fehlender Aufklärung und Ruhezeiten träfen offenbar zu. Schon bei dem zuvor dort betriebenen Testzentrum habe es Hygienemängel gegeben. Dennoch könne das Impfzentrum wieder öffnen, wenn die Mängel abgestellt seien. Das Bezirksamt spricht ausdrücklich von "Infektionsgefahr".

Das Impfzentrum am Hauptbahnhof wurde als Testzentrum am 1. Dezember eingerichtet. Je ein Din-A4-kleiner Zettel mit dem Aufdruck „Corona-Impfzentrum“ klebte auf jeder der drei Scheiben des Ladengeschäftes am Rande der Wandelhalle Richtung Gleis. Für die Terminvergabe im Internet zeichnete die Firma Eventus zunächst verantwortlich. Sie hat nach eigenen Angaben auch die Räume zur Verfügung gestellt. Auf eine Nachfrage antwortete Eventus, man habe nach Hinweisen auf „eventuelle Missstände“ selbst recherchiert und könne aktuell keine Stellung beziehen.

Die Betreibergesellschaft Hammonia Hospital, die sich als privatmedizinischer Dienstleister versteht, versicherte dem Abendblatt, alles sei korrekt gelaufen. Auch der Impfstoff, der anfangs aus „eigenen Vorräten“ gekommen sei, werde über Apotheken bezogen. „Die Lagerung des Impfstoffes erfolgt fachgerecht in einem ausschließlichen Impfstoff-Kühlschrank in den Räumen des Impfzentrums bei 5 Grad kontrollierter Temperatur, die fachgerechte Anlieferung durch die Apotheke unter strikter Einhaltung der vorgeschriebenen Kühlkette.“ Auf eine zweite Anfrage des Abendblattes nach der Schließung reagierte die „Virtuelle Klinik Betriebsgesellschaft mbH“ nicht.

Impfzentrum am Hauptbahnhof: Welche Rolle spielt der Arzt?

Der mit dem Unternehmen offenbar in Beziehung stehende Arzt Dr B. wird nicht bei der Ärztekammer Hamburg gelistet, wohnt offenbar in Schleswig-Holstein und betreibt in Hamburg einen privatärztlichen Notdienst. Impfkandidaten berichteten, es habe bei ihnen am Hauptbahnhof kein Aufklärungsgespräch und keine anschließende Ruhemöglichkeit gegeben. Ein Arzt sei nicht vor Ort gewesen, auf Nachfrage sei Dr. B. per Telefon herbeigerufen worden.

Die Sozialbehörde erklärte, sie nehme die Berichterstattung zum Anlass, die Tätigkeit des Arztes zu überprüfen. In einem anderen Fall werde bereits gegen ihn ermittelt. B. war vor Jahren wegen vielfachen Abrechnungsbetruges verurteilt worden.

Corona: Gefälschte Impfpässe in Hamburg

Mit den Bescheinigungen vom Impfen am Hauptbahnhof ließen sich auch digitale Impfpässe ausstellen. An der Rechtmäßigkeit des Verfahrens gibt es aktuell keine Zweifel. Doch berichten Apotheker immer wieder von Versuchen, sich digitale Impfzertifikate zu erschleichen. Ungeimpfte haben es wegen vorherrschender 2G-Regeln im Alltag schwerer. Dieser Betrug taucht täglich im vertraulichen Lagebericht der Polizei auf. Jeden Tag werden Verfahren eingeleitet. In den vergangenen Wochen wurden immer wieder Blanko- oder teilweise bereits ausgefüllte Impfpässe bei Drogendealern entdeckt, die den Handel mit den Fälschungen als zusätzliche Einnahmequelle für sich entdeckt hatten.

Apothekerkammer-Präsident Kai-Peter Siemsen wollte aus „ermittlungstaktischen“ Gründen nicht alle Tricks der mutmaßlichen Impfpass-Fälscher verraten. Doch er wies auf Merkmale in gefälschten gelben Pässen hin, die man „aus Erfahrung“ schnell erkenne. So schauten die Apotheker genau auf die Impfdaten und die Stempel sowie Unterschriften der Ärzte. Sind sie akkurat in einer Reihe angeordnet, weckt das schon den Verdacht der Apotheker. Vier-, fünfmal am Tag hat Siemsen allein in seiner Apotheke Zweifel an den Dokumenten, die ihm zur Ausstellung eines digitalen Impfzertifikats vorgelegt werden.

Er prüft den Impfpass und erzeugt einen QR-Code, den der Impfling dann mit dem Handy und zum Beispiel der Corona-Warn-App oder der CovPass-App in einen digitalen Impfpass umwandeln kann. Siemsen fragt bei Ärzten nach, schaut skeptisch, wenn der Impfpass hergestellt wurde, nachdem die Impfung stattgefunden haben soll oder bittet die auffälligen Kunden um mehr Zeit. Dann kann er recherchieren oder gleich die Polizei benachrichtigen.

Gefälschte Impfpässe: Was sich bessern muss

Einen Impfpass zu fälschen, ist inzwischen eine Straftat. Doch Siemsen würde sich wünschen, dass es eine Art Zentralregister gibt, in dem man über anonymisierte Daten eine Impfung abfragen könne. Zurzeit haben zwar zum Beispiel die Chargen des Impfstoffs von einem bestimmten Tag eine Nummer, nicht aber die individuell verabreichte Dosis. Doch wer darin geübt ist, gefälschte Rezepte zu erkennen, der schaut auch bei Impfpässen und unbekannten Kunden genau hin. Leichtgemacht wird es den Apothekern, wenn der Impfpass außer den Corona-Dosen keinen weiteren Eintrag aufweist. Das weckt sofort den kriminalistischen Sinn.

In einem gänzlich anderen Fall von Internet-Dienstleistungen rund um die Corona-Pandemie geht die Staatsanwaltschaft Hinweisen und Anzeigen aus der Hamburger Ärzteschaft nach. Der schillernde Dr. A. wirbt im Netz mit verschiedenen Angeboten, die bereits bundesweite Aufmerksamkeit hervorriefen. In einzelnen Medien ließ sich A. für sein „unkonventionelles Vorgehen“ feiern. Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft sagte, Gegenstand der Anzeigen gegen A. sei „die Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, Corona-Selbsttestzertifikaten sowie Privatrezepten – jeweils online“.