Hamburg. Robin Kobbe spricht über Vorteile und Nebenwirkungen des Biontech-Vakzins für Fünf- bis Elfjährige – und seine Erwartung an die Stiko.
Vom 13. Dezember an soll der Biontech/Pfizer-Impfstoff für Kinder auch in Deutschland ausgeliefert werden. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat das Vakzin bereits für Mädchen und Jungen von fünf bis elf Jahren zugelassen, wobei ihnen eine Dosis verabreicht werden soll, die einem Drittel der empfohlenen Menge für Erwachsene entspricht.
Dem Lieferanten zufolge werde der Kinderimpfstoff etwa am 15. Dezember in Hamburg eintreffen, sagte Senatssprecher Marcel Schweitzer am Dienstag. Er kündigte „ein städtisches Angebot in zentraler Lage“ an. Daneben sollen Kinderärzte impfen, und es werde Impfangebote in sechs Kinderkliniken geben.
Corona in Hamburg: UKE-Mediziner ist überzeugt vom Kinder-Impfstoff
Was ist bisher aus klinischen Studien über die Verträglichkeit des Kinder-Impfstoffs bekannt? Wie lassen sich Risiken gegen den Nutzen abwägen? Darüber sprach das Abendblatt mit Privatdozent Dr. Robin Kobbe vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit einem Diplom für pädiatrische Infektiologie der Universität Oxford wirkt im ständigen Arbeitskreis der Kompetenz- und Behandlungszentren für Krankheiten durch hochpathogene Erreger beim Robert-Koch-Institut mit.
Gilt immer noch, dass eine Corona-Infektion bei Kindern überwiegend mild verläuft und schwere Verläufe sehr selten sind?
Robin Kobbe: Ja. Auch seit die leichter übertragbare Delta-Variante das Infektionsgeschehen dominiert, ist das Risiko für schwere Verläufe bei infizierten Kindern im Alter zwischen fünf bis elf Jahren nicht gestiegen und immer noch deutlich geringer als bei Erwachsenen. Weniger als ein Prozent der betroffenen Kinder müssen im Krankenhaus behandelt werden, von diesen wiederum müssen etwa fünf Prozent auf eine Intensivstation. Das ist in der gegenwärtigen Lage der Pandemie allerdings kein Grund zur Entwarnung.
Warum nicht?
Robin Kobbe: Weil die Fünf- bis Elfjährigen noch nicht gegen Sars-CoV-2 geimpft sind, infizieren sich in dieser Altersgruppe gerade sehr viele Kinder – damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass in den Kliniken wieder Kinder mit schweren Verläufen behandelt werden müssen. Allein in einer Erhebung der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie, die rund ein Drittel der bundesweiten Fälle registriert, sind seit Beginn der Pandemie mehr als 2000 Krankenhausaufenthalte von mit Sars-CoV-2 infizierten Kindern dokumentiert. Zudem wurden knapp 500 Fälle des gefürchteten PIMS-Syndroms (Pediatric Inflammatory Multisystem) erfasst. Dem Robert-Koch-Institut wurden bisher 35 Todesfälle im Alter unter 18 Jahren gemeldet.
Viele Eltern dürften sich fragen: Überwiegt der Nutzen der Kinder-Impfung die möglichen Risiken?
Robin Kobbe: Aus meiner Sicht überwiegt eindeutig der Nutzen der Kinder-Impfung. Die Zulassungsstudien von Biontech/Pfizer mit mehr als 4600 Kindern im Alter zwischen fünf und elf Jahren haben gezeigt, dass der Impfstoff mit einem Drittel der Erwachsenendosis in dieser Altersklasse sehr sicher ist. Bei Geimpften zwischen fünf und elf Jahren kam es zu vergleichbaren Impfreaktionen lokaler Art wie Rötungen, Schwellungen und Schmerzen an der Einstichstelle wie bei jungen Erwachsenen. Deutlich seltener traten Impfreaktionen wie Kopfschmerzen, Müdigkeit, Fieber und Schüttelfrost auf. Der Zulassungsstudie zufolge war die Wirksamkeit des Impfstoffs bei Kindern mit über 90 Prozent ähnlich hoch wie bei Erwachsenen. Die Wahrscheinlichkeit, schwer an Covid-19 zu erkranken, ist in der Gruppe der Fünf- bis Elfjährigen deutlich höher, als gravierende Nebenwirkungen durch diese Impfung zu bekommen. Meine Frau und ich haben nicht gezögert, unsere beiden Söhne, zehn und dreizehn Jahre alt, auch auf ihren eigenen Wunsch hin impfen zu lassen, den Jüngeren schon vor einiger Zeit „off-label“, also im Rahmen der Therapiefreiheit.
Eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) steht noch aus. Deren Vorsitzender Thomas Mertens sagte vor Kurzem, er würde ein siebenjähriges Kind derzeit wohl nicht impfen lassen. Jenseits der Zulassungsstudie gebe es keine Daten über die Verträglichkeit des Impfstoffs in der Gruppe der Kinder zwischen fünf und elf Jahren. Aussagen über Langzeitschäden seien kaum möglich. Wie beurteilen Sie das?
Robin Kobbe: Weder in der Zulassungsstudie noch in fortlaufenden Beobachtungen in den USA und Israel, wo schon Kinder ab fünf Jahren millionenfach geimpft wurden, wurde bislang von schweren Impfnebenwirkungen wie Herzmuskelentzündungen (Myokarditis) berichtet. Ich erwarte auch nicht, dass diese seltenen, meist mild verlaufenden Herzmuskelentzündungen häufiger auftreten als bei Erwachsenen (in Israel ein Fall unter 26.000 geimpften Männern und ein Fall unter 218.000 Frauen), sondern eher seltener angesichts der geringeren Dosis für Kinder. Im Übrigen ist die Wahrscheinlichkeit einer Herzmuskelentzündung durch die natürliche Infektion mindestens fünfmal höher.
Was Langzeitschäden angeht …
Robin Kobbe: … so treten entsprechende Beschwerden durch eine Impfung nicht erst nach Jahren auf, sondern in zeitlicher Nähe zur Impfung und dauern dann lange Zeit an. Bei den mRNA-Impfstoffen, die weltweit schon milliardenfach verabreicht wurden, gibt es bisher keine Hinweise auf solche Langzeitschäden. Deshalb teile ich die Einschätzung von Herrn Mertens nicht. Natürlich kann man grundsätzlich seine private Meinung äußern, was ich ja auch tue. Aber sich so als Sprecher der beratenden Stiko zu äußern – im Übrigen noch bevor die Kommission offiziell ihre Entscheidung anhand der Datenauswertung und Modellierungen bekannt gegeben hat – finde ich problematisch.
Wären nicht dennoch mehr Impfdaten für Kinder ab fünf Jahren wünschenswert?
Robin Kobbe: Natürlich hätten wir gerne mehr Studien, Zahlen und Langzeiterfahrungen. Aber wir befinden uns in einer kritischen Lage der Pandemie. Wie lange wollen wir warten? Unsere Kinder haben ein Recht darauf, Zugang zu Impfstoffen zu bekommen, die für sie zugelassen sind und die sie und andere schützen. Dabei sehe ich neben dem Schutz vor schweren Verläufen auch den Gewinn an sozialer Teilhabe und den Nutzen für die psychische Gesundheit jedes einzelnen Kindes.
Erwarten Sie, dass die Stiko eine Empfehlung zunächst für bestimmte Gruppen aussprechen wird, etwa nur für Kinder mit Vorerkrankungen?
Robin Kobbe: Ich hoffe, dass die Stiko eine Empfehlung für alle Fünf- bis Elfjährigen geben wird. Für vorerkrankte Kinder ist der Nutzen einer Corona-Impfung zwar höher, deshalb macht es Sinn, diese Gruppe zuerst zu impfen. Dabei sollte es aber nicht bleiben, denn auch die wenigen schweren Verläufe zuvor gesunder Kinder können verhindert werden. Mein Eindruck ist, dass die Mehrheit der Hamburger Kinderärzte bereit ist, auch ohne eine uneingeschränkte Stiko-Empfehlung all jene Kinder zu impfen, die – bzw. deren Eltern – das wollen. Ich rate Hamburger Familien dazu, diese Impfangebote wahrzunehmen, um auch ihre Kinder zwischen fünf und elf Jahren vor schweren Verläufen zu schützen.
Über aktuelle Erkenntnisse zur Wirkung von Corona-Impfstoffen bei Kindern spricht Robin Kobbe auch am kommenden Mittwoch, 15. Dezember, von 18.30 bis 19.30 Uhr an der Gesundheitsakademie des Universitätsklinikums Eppendorf (UKE). Der Vortrag wird live auf abendblatt.de übertragen.
Weitere Informationen zur Sonderreihe „COVID-19 Aktuell“ an der Gesundheitsakademie finden Sie hier.